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Interview

Darum ist Bernhard Elsener kein Experte im Fall Morandi-Brücke mehr

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Am 14. August 2018 kollabierte die Morandi-Brücke in Genua bei strömendem Regen. 43 Menschen kamen beim Unglück ums Leben, 566 verloren ihr Zuhause. Bild: AP/AP
Interview

«Enormer Druck» – darum ist Bernhard Elsener kein Experte im Fall der Morandi-Brücke mehr

Als Experte untersuchte der Schweizer ETH-Professor Bernhard Elsener acht Monate lang den Einsturz der Morandi-Brücke in Genua. Jetzt schmiss er den Bettel hin. Grund dafür waren die enorme Arbeitsbelastung – und die Angst.
04.05.2019, 13:0104.05.2019, 13:30
Helene Obrist
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Bei dem Kollaps der Morandi-Brücke in Genua im August 2018 verloren 43 Menschen ihr Leben. Über 500 mussten ihr Zuhause verlassen. Nach dem verheerenden Einsturz begann die Diskussion um die Schuldfrage. Wie konnte es so weit kommen?

Bernhard Elsener ist Professor für Materialwissenschaften und Korrosionsexperte.
Bernhard Elsener ist Professor für Materialwissenschaften und Korrosionsexperte.bild: eth

Im Verlauf der Untersuchungen wandten sich die italienischen Behörden auch an einen Schweizer Sachverständigen. Bernhard Elsener ist ETH-Professor und Korrosionsexperte. Er wurde gebeten, Trägerteile der Brücke zu untersuchen, die bei dem Einsturz in die Tiefe fielen.

Herr Elsener, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie vom Einsturz der Morandi-Brücke erfahren haben?
Natürlich. Ich war an der ETH und mein Sohn hat mich angerufen. Der Einsturz war ein hochdramatischer Moment. In lebhafter Erinnerung geblieben ist mir aber etwas anderes.

«Als ich die Belastung auch körperlich gespürt habe, habe ich mich dafür entschieden, meine Rolle als Experte aufzugeben.»
Bernhard Elsener

An was erinnern Sie sich besonders?
In einem Dok-Film, der auf RSI gezeigt wurde, sah ich, wie es in den ersten Tagen nach dem Einsturz ausgehen hat und unter welchen Umständen und mit welchen bescheidenen Geräten Polizei und Feuerwehr die Toten bergen mussten. Das war prekär. Als ich als Experte zwei Wochen nach dem Einsturz vor Ort war, war vieles bereits beseitigt. Nur noch die grössten und schwersten Betonbrocken lagen noch da.

Die Reportage drei Monate nach dem Einsturz der Morandi-Brücke:

Über acht Monate lang haben Sie darauf den Einsturz der Morandi-Brücke untersucht. Jetzt schmeissen Sie hin. Warum?
Die zeitliche Belastung wurde zu gross. Ich unterrichte Mitte Februar bis Ende Juni in Sardinien als Professor für Materialwissenschaften. Jede zweite Woche bin ich also in Sardinien. Den Rest des Monats habe ich in Genua verbracht. Das war zu viel für mich und meine Familie. Als ich die Belastung auch körperlich gespürt habe, habe ich mich dafür entschieden, meinen Rücktritt einzureichen.

War es wirklich nur die zeitliche Belastung? In einem Interview mit RTS erklärten Sie, dass etwas mit den Trägern der Brücke nicht stimmte. Darauf wurden Sie harsch von den Anwälten und der italienischen Staatsanwältin kritisiert.
Meine Aussage war eine Tatsache, die schon bekannt war. Ich wurde kritisiert, weil ich in meiner Rolle als Experte darüber gesprochen habe. Der zunehmende Druck war aber auch sonst spürbar.

Video: watson

Können Sie dies genauer beschreiben?
Am Anfang der Untersuchung war die Atmosphäre kollegial und offen. Das hat sich zunehmend verschlechtert. Zusätzlich kam die riesige Arbeitslast dazu.

Wie wurde Ihre Arbeit dadurch beeinflusst?
Entscheidungen und Vorgehensweisen von uns Experten wurden zunehmend hinterfragt und kritisiert. Das artete in ein stetiges Rechtfertigen aus und der ganze Prozess verzögerte sich enorm.

«Der Druck war enorm. Wegen der vielen Opfer und des riesigen mediale Echos will man seine Arbeit natürlich möglichst gut machen.»
Bernhard Elsener

Können die Experten in Zukunft überhaupt noch unabhängig arbeiten?
Da habe ich keinerlei Zweifel. Beide sind absolut integre Personen und müssen sich keine Sporen mehr abverdienen. Ich bin mir sicher, dass sie bei Beeinflussungsversuchen entsprechend protestieren und handeln werden.

Gegenüber dem Blick sagten Sie, die Anfrage sei eine grosse Ehre und Anerkennung für Ihr berufliches Schaffen. Haben Sie das Engagement als Experte unterschätzt?
Absolut. Als ich und meine zwei italienischen Kollegen im September 2018 bei der Untersuchungsrichterin vorsprachen, haben wir damit gerechnet, dass uns Berge von Akten übergeben werden. Doch das war nicht der Fall. Es gab keine Unterlagen. Wir mussten vor Ort die Brückenteile untersuchen. Alles musste zuerst organisiert werden. Das war ein enormer zeitlicher und organisatorischer Aufwand.

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Nach dem folgenschweren Einsturz hat der Betreiber Autostrade per l'Italia 500 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Autobahnbrücke sowie für Hilfszahlungen an die Stadt Genua zugesagt.Bild: AP

Wann hätte das Gutachten ursprünglich stehen sollen?
Am Anfang hiess es Weihnachten 2018. Doch dieser Termin wurde relativ schnell nach hinten verschoben. Irgendwann hiess es dann Februar 2019. Und im Februar dann, es werde Juni…

Was war das Problem?
Man hat die Komplexität des Verfahrens unterschätzt. Das Spezielle war zudem, dass wir Experten stets mit den Konsulenten aller beteiligten Parteien zusammen Treffen abgehalten haben. Da waren jeweils vierzig Leute an einer Besprechung anwesend. Das hat die Untersuchung zusätzlich erschwert und verkompliziert.

Haben auch Ihre Kollegen die zeitliche Belastung und den Druck gespürt?
Der Druck war enorm. Wegen der vielen Opfern und des riesigen medialen Echos will man seine Arbeit natürlich möglichst gut machen. Ein zweiter Kollege hat mir gesagt, dass er ebenfalls auf die Bremse treten müsse, wenn es so weiter gehe. Er steht kurz vor dem Burnout.

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quelle: epa/ansa / luca zennaro
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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bratansauce
04.05.2019 13:48registriert Juni 2018
Italien verkommt mehr und mehr zu einem Schwellenland. Hier ein weiterer Beweis dafür.
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FrancoL
04.05.2019 14:18registriert November 2015
Wer erinnert sich noch an die grossen Sprüche des Innenministers Salvini? Wer hat jemals wieder etwas gehört? Niemand. Das zeigt dass ein Salvini nicht einmal in der Lage ist eine recht einfache Aufgabe innert Frist zu lösen. Er wäre es den Toten und Anwohner schuldig gewesen.
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Olmabrotwurst vs. Schüblig
04.05.2019 13:21registriert Dezember 2014
Ich bin gespannt wie es in 10 Jahren aussieht und wer dann verantwortlich wird für den Bau.
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