Es ist eine deutliche Eskalation in einer ohnehin brandgefährlichen Lage: Bei einer Explosion in Beirut ist der zweithöchste Anführer der islamistischen Hamas im Ausland, Saleh al-Aruri, ums Leben gekommen. Während Israels Militär Berichte über eine gezielte Tötung von Saleh al-Aruri nicht kommentieren wollte, kündigte die Hisbollah-Miliz im Libanon am Dienstagabend Vergeltung an.
Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Die Explosion ereignete sich vor einem Büro der Hamas in einem südlichen Stadtteil Beiruts, der als Hochburg der vom Iran unterstützten Hisbollah gilt. Die genauen Hintergründe der Explosion blieben zunächst unklar. Schnell kam aber der Verdacht auf, dass es sich um eine gezielte Tötung handeln könnte – mutmasslich durch Israels Armee oder im Auftrag Israels.
Augenzeugen sagten, ein Gebäude sei von einem Angriff einer Drohne getroffen worden, ebenso ein Auto, aus dem Zivilschützer nach dem Brand eine verkohlte Leiche zogen. Teile eines Gebäudes waren nach der Explosion komplett zerstört. Libanesische Medien berichteten, Al-Aruri sei in einer Wohnung getötet worden. Aus Hamas-Quellen hiess es, in der Gegend habe eine Palästinensergruppe am Abend ein Treffen abgehalten.
Videos nach der Explosion zeigten mindestens ein brennendes Auto nahe einer belebten Strasse. Auch Sirenen von Krankenwagen waren zu hören. Über der Gegend stieg weisser Rauch auf, auf der Strasse lagen Glassplitter. Bald darauf versammelten sich Hunderte Anhänger der Hisbollah in der Nähe. In einem palästinensischen Flüchtlingslager im Süden des Libanons kam es zu Demonstrationen.
Die «Washington Post» berichtete unter Berufung auf eine anonyme Quelle aus US-Verteidigungskreisen, das israelische Militär sei für den Angriff in Beirut verantwortlich. Israels Militär kommentierte die Berichte bis jetzt noch nicht. Die Hamas bestätigte den Tod des stellvertretenden Leiters ihres Politbüros. Zudem sollen zwei Anführer ihrer Kassam-Brigaden getötet worden sein, der bewaffnete Arm der Gruppierung. Insgesamt wurden sieben Menschen getötet, wie auch die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete.
Mit dem Tod Al-Aruris rückt die Hisbollah einen Schritt näher an eine grössere militärische Konfrontation mit Israels Armee. Zwischen den beiden kommt es seit Beginn des Gaza-Kriegs zunehmend zu Gefechten nahe der gemeinsamen Grenze – den wohl schwersten seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006.
Saleh al-Aruri war einer der palästinensischen Anführer der Terrororganisation Hamas und Gründungskommandeur der Kassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas. Israel sah Al-Aruri als Drahtzieher von Anschlägen im Westjordanland. Er galt deshalb schon länger als mögliches Anschlagsziel. Er soll für die Aktivitäten des militärischen Hamas-Arms im Westjordanland zuständig gewesen sein. Israel und die Hamas hatten im Sommer – schon vor Beginn ihres laufenden Kriegs – Drohungen ausgetauscht. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte dabei, Al-Aruri wisse «sehr genau, warum er und seine Freunde sich versteckt halten».
Saleh Al-Aruri war Berichten zufolge 58 Jahre alt und verbrachte insgesamt zwölf Jahre in israelischen Gefängnissen vor seiner Freilassung 2010. Er genoss Privilegien als Gesprächspartner von Hisbollah-Chef Nasrallah, der sich nur selten öffentlich zeigt. Israels Armee hatte Al-Aruris Haus im Westjordanland Ende Oktober zerstört.
Die Explosion ereignete sich am Abend vor dem 3. Jahrestag der Tötung von General Ghassem Soleimani der iranischen Revolutionswächter (IRGC). Die USA hatten ihn 2020 im Irak durch einen Drohnenangriff getötet. Eine Rede Nasrallahs am Mittwoch war zum Jahrestag der Soleimani-Tötung angekündigt. Kürzlich war zudem der ranghohe iranische General Sejed-Rasi Mussawi bei einem mutmasslich israelischen Luftangriff in Syrien getötet worden.
Die Hisbollah-Miliz hat Vergeltung angekündigt. Das «Verbrechen» in Beirut sei «eine gefährliche Attacke auf den Libanon» und dessen Volk und Sicherheit, teilte die Miliz am Dienstagabend mit. «Dieses Verbrechen wird niemals ohne Antwort oder Strafe vorübergehen.» Die Hisbollah habe «den Finger am Abzug» und ihre Kämpfer seien «in höchster Stufe der Bereitschaft».
Israel sei nach drei Monaten Krieg unfähig, Gaza zu «unterwerfen», und greife deshalb zu Mitteln wie Attentaten, erklärte die schiitische Bewegung. Der Tod Al-Aruris sei eine Fortsetzung der Tötung des ranghohen iranischen Generals Sejed-Rasi Mussawi, der jüngst bei einem mutmasslich israelischen Luftangriff in Syrien ums Leben kam.
Die Hisbollah unternahm noch am Abend ihren ersten Angriff auf Israel nach dem Tod Al-Aruris. Sie habe eine Gruppe israelischer Soldaten nahe der Grenze angegriffen, teilte die Miliz mit. Dabei habe es Tote und Verletzte gegeben. Der regelmässige Beschuss zwischen der Hisbollah und Israels Armee nahe der Grenze hat seit Beginn des Gaza-Kriegs vor drei Monaten zugenommen.
Für Bemühungen im Gaza-Krieg um eine erneute Feuerpause oder auch die Freilassung von Geiseln bedeutet Al-Aruris Tod ein Rückschlag. Die Zeitung «Haaretz» berichtete unter Berufung auf arabische Diplomaten, dass die Gespräche durch das «Attentat» zum Stillstand gekommen seien. Al-Aruri selbst soll einer der Unterhändler gewesen sein für die Freilassung von Geiseln aus Gewalt der Hamas vergangenen Monat.
Israels Militär kommentierte Berichte über eine gezielte Tötung Al-Aruris auf Anfrage nicht.
Der Sicherheitsberater der israelischen Regierung versucht aber offensichtlich die Lage nach dem Tod des Hamas-Anführers zu entschärfen. Der mutmassliche Angriff galt allein der Hamas, betonte Mark Regev dem US-Sender MSNBC. «Wer auch immer das getan hat, es muss klar sein, dass dies keine Attacke auf den libanesischen Staat war. Es war nicht einmal eine Attacke auf die Hisbollah.»
Er sagte weiterhin: «Wer auch immer diesen Angriff ausgeführt hat, ist sehr chirurgisch genau vorgegangen und hatte es auf ein Hamas-Ziel abgesehen. Denn Israel ist im Krieg», sagte er, ohne den Satz zu Ende zu führen.
Der ranghohe Berater von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, Israel habe keine Verantwortung für den Vorfall übernommen. Regev sagte zugleich, Israels Führung habe in der Vergangenheit führende, an der Tötung israelischer Zivilisten beteiligte Terroristen als legitime Ziele benannt. Dies sei aber ein genereller Grundsatz und habe nichts mit der aktuellen Situation zu tun.
Israelische Medien spekulierten, Regev habe mit dem Interview versucht, die libanesische Hisbollah von einer harschen Reaktion abzuhalten. Israelischen Medienberichten zufolge rechnet die Armee etwa mit dem Beschuss von Raketen grösserer Reichweite. In den vergangenen Monaten beschränkten sich die Konfrontationen zwischen Israels Armee und der Hisbollah auf die Grenzregion zwischen den beiden Ländern. Seit Beginn des Gaza-Kriegs gab es dort immer wieder gegenseitigen Beschuss.
Danny Danon, ranghohes Mitglied in Netanjahus Likud-Partei, gratulierte Israels Militär, Geheimdiensten und Sicherheitskräften auf X zur Tötung Al-Aruris. Berichten zufolge untersagte der israelische Kabinettssekretär den Ministern, sich zu dem Vorfall zu äussern. Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich schrieb auf X: «Alle deine Feinde werden umkommen, Israel.» Israel hatte zuvor alle Hamas-Mitglieder zum Ziel erklärt, die an Planungen der Massaker vom 7. Oktober beteiligt waren – unabhängig von ihrem Aufenthaltsort.
Der libanesische Militärexperte und frühere General Chalil Hilo bezeichnete die Situation als «sehr gefährlich». Die Hisbollah werde einen «Angriff in ihrer Hochburg in Beirut nicht tolerieren». Hinweise darauf könnte es am Mittwoch geben – in einer am Abend geplanten Rede von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.
Der geschäftsführende libanesische Premierminister Nadschib Mikati sprach von einem «israelischen Verbrechen, das den Libanon auf jeden Fall in eine neue Phase der Konfrontationen führen will».
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die israelische Regierung aufgefordert, «jedes eskalierende Verhalten, insbesondere im Libanon, zu vermeiden». Das teilte der Élyséepalast in Paris am Dienstagabend nach einem Telefonat Macrons mit Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, Medienberichten zufolge mit. Frankreich werde diese Botschaften der Zurückhaltung weiterhin an alle direkt oder indirekt beteiligten Akteure in dem Gebiet weitergeben, hiess es.
Irans Aussenamtssprecher Nasser Kanaani machte Israel für den Tod des Hamas-Vertreters verantwortlich und verurteilte die mutmassliche Attacke. Sie sei «Ergebnis der Verzweiflung und einer schweren und irreparablen Niederlage gegen palästinensische Widerstandsgruppen», sagte Kanaani laut einer Mitteilung seines Ministeriums. Kanaani forderte zudem eine Reaktion durch den UN-Sicherheitsrat. (lak/sda/dpa)
Wie überrascht jetzt alle tun. Zuerst ein Massaker sondergleichen ausführen und sich dann feige im Nachbarland verstecken. Wie alle nun nach Worten der Vergeltung ringen…