Italiens Regierungschefin Georgia Meloni hat im Fall eines inhaftierten Anarchisten, der in einen Hungerstreik getreten ist, zur Besonnenheit aufgerufen. Die Tonlage habe sich sicherlich zu sehr verschärft, schrieb Meloni am Samstag in einem Brief, den die Zeitung «Corriere della Sera» online veröffentlichte. «Ich fordere alle, angefangen bei den Angehörigen der Fratelli d'Italia, auf, sie (die Tonlage) wieder auf ein Niveau der aufrichtigen und respektvollen Auseinandersetzung zu bringen.»
Der Gefangene Alfredo Cospito befindet sich seit mehr als 100 Tagen im Hungerstreik. Damit protestiert er gegen seine erschwerten Haftbedingungen. Hintergrund ist, dass die Justiz einen Bombenanschlag 2006 und Schüsse auf einen Manager 2012 als Terror eingestuft hat. Der zu lebenslanger Haft Verurteilte sitzt damit unter Haftbedingungen ein wie Grössen der Mafia. Der Fall bestimmt seit Tagen die Nachrichten in Italien.
Meloni, die sich bislang in der Affäre zurückhielt, ärgerte sich in dem Brief, dass italienische Journalisten sie am Freitag bei ihrem Berlin-Besuch vor versammelter internationaler Presse und Bundeskanzler Olaf Scholz dazu befragten, statt Interesse daran zu zeigen, was sie gerade für Italien mache. «Der Grund, weshalb ich bisher nicht eingeschritten bin ist, dass ich versucht habe, einen Streit nicht zu nähren, den ich für alle kontraproduktiv halte.»
Die Affäre um den Mittfünfziger Cospito löste in Italien und anderen Ländern Protestaktionen von Sympathisanten aus, wie beispielsweise den Brandanschlag auf ein italienisches Botschaftsauto in Berlin. In Rom begann die Politik über den für die Haftbedingungen verantwortlichen Paragrafen zu streiten. Rechte warfen den Sozialdemokraten vor, sich der Mafia zu beugen, weil Parteivertreter Cospito im Gefängnis besuchten. Melonis Parteifreund Giovanni Donzelli sprach im Parlament über Informationen aus dem Justizministerium, wonach Cospito mit zwei Mafiosi Kontakt gehabt habe, die ihn zum Weitermachen aufgerufen hätten.
Das sei geheim gewesen, lautete der Vorwurf danach. Die Staatsanwaltschaft in Rom nahm Ermittlungen dazu auf. Der Justizminister widersprach der Darstellung, Donzelli und sein Parteikollege Andrea Delmastro, von dem die Informationen kamen, hätten die Geheimhaltung gebrochen. Meloni sieht keinen Grund, dass die beiden - anders als gefordert - zurücktreten müssen, wie aus dem Brief hervorgeht. (sda/dpa)