Die wohl einzige gute Nachricht an diesem Samstag war: Israel, die USA, Grossbritannien und die anderen Verbündeten schienen gut informiert gewesen zu sein. Schon Tage zuvor wurden die Warnungen der Amerikaner vor einem Schlag Irans gegen Israel konkreter. Und Stunden bevor in Washington die ersten Meldungen zu den hundertfachen iranischen Drohnen- und Raketenangriffen eintrafen, kündigte das Weisse Haus an, der US-Präsident werde seinen Wochenendurlaub Rehoboth Beach, im nahegelegenen Bundesstaat Delaware vorzeitig abbrechen.
Noch während die iranischen Drohnen in der Luft waren, landete Joe Biden mit seinem Helikopter «Marine One» an seinem Amtssitz. Im sogenannten «Situation Room» traf er sofort mit seinen wichtigsten Sicherheitsberatern zusammen. Anwesend waren sein Verteidigungsminister Lloyd Austin, Aussenminister Antony Blinken, aber auch CIA-Chef Bill Burns und sein nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan. Die Vizepräsidentin Kamala Harris schaltete sich per Videoanruf dazu. Zwei Stunden dauerte die Sitzung an.
I just met with my national security team for an update on Iran’s attacks against Israel. Our commitment to Israel’s security against threats from Iran and its proxies is ironclad. pic.twitter.com/kbywnsvmAx
— President Biden (@POTUS) April 13, 2024
Noch in der Nacht sickerte von Bidens Sicherheitsteam nach dessen Telefonat mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu durch: «Der US-Präsident wird weiterhin mit Partnern in der Region zusammenarbeiten, um eine weitere Eskalation zu verhindern.» Das klingt zwar reichlich dünn, aber es ist das erste wichtige Ziel der amerikanischen Regierung: einen Flächenbrand im politisch hochexplosiven und instabilen Nahen Osten verhindern.
Denn was das iranische Regime in dieser Nacht getan hat, könnte eine Kettenreaktion auslösen, die globale Folgen haben würde. Die Regierung in Teheran bemühte sich zwar, ihren massiven Angriff gegen Israel als «eine Reaktion auf die Aggression des zionistischen Regimes» gegen die eigenen «diplomatischen Räumlichkeiten in Damaskus» zu etikettieren. «Die Angelegenheit kann als abgeschlossen betrachtet werden», liess die iranische UN-Vertretung die Öffentlichkeit wissen.
Doch diese vermeintliche Vergeltungsaktion gegen das israelische Staatsgebiet, teils in dicht besiedelten Gegenden wie die Hauptstadt Jerusalem, ist so masslos, dass auch die US-Regierung davon überrascht scheint. Sie ist so masslos, dass die israelische Regierung und zugleich auch die US-Führung sie nicht unbeantwortet lassen können. Wie diese Antwort nun aussehen wird, darüber müssen sich Joe Biden und seine Sicherheitsberater jetzt den Kopf zerbrechen.
Conducted on the strength of Article 51 of the UN Charter pertaining to legitimate defense, Iran’s military action was in response to the Zionist regime’s aggression against our diplomatic premises in Damascus. The matter can be deemed concluded. However, should the Israeli…
— Permanent Mission of I.R.Iran to UN, NY (@Iran_UN) April 13, 2024
Der politische Druck, sowohl in Israel als auch in den USA, ist extrem hoch. Die Republikaner und ihr Anführer Donald Trump verbreiteten noch während der iranische Angriff und die massiven Abwehrbemühungen der Israelis, Briten und Amerikaner lief, eine einfache Lesart der Situation im Nahen Osten. «Das wäre niemals passiert, wenn ich Präsident gewesen wäre», veröffentlichte Trump in einer Stellungnahme.
Es ist ein Argument, das niemand überprüfen kann und das bei seinen Anhängern aber Anklang findet. Trump nutzte es schon bei Putins Angriff gegen die Ukraine und bei der Terror-Attacke der Hamas gegen israelische Zivilisten. Aber auch Republikaner, die längst mit Trump gebrochen haben, wie sein ehemaliger Sicherheitsberater John Bolton, sehen die Biden-Regierung als verantwortlich für den iranischen Angriff an.
Eine Perversion dieser Lesart war noch am Samstagabend bei einem Wahlkampfauftritt von Donald Trump in Pennsylvania zu beobachten. Dort riefen seine Anhänger lauthals «Genozide-Joe, Genozide-Joe». Es ist eigentlich ein Schlachtruf der linken Biden-Kritiker, die seit Monaten gegen dessen Israel-Politik und die vielen toten Zivilisten im Gazastreifen demonstrieren. Trumps Anhänger widmen diesen «Völkermord-Ruf» nun um als Vorwurf gegen Biden, der angeblich Israel in Gefahr bringen würde. Trump schien dankbar für diesen neuen Schlachtruf seiner Anhänger. «Sie liegen nicht falsch, sie liegen nicht falsch», lobt er sie vom Podium aus.
Trumps Anhänger pervertieren den Schlachtruf der pro-Palästinenser Proteste mit "Genocide-Joe" und wenden in auf den Angriff Irans gegen Israel an. Trump: "Damit liegen sie nicht falsch". pic.twitter.com/TmNegA8bQc
— Bastian Brauns (@BastianBrauns) April 14, 2024
Immer mehr schwerwiegende Kriege und Konflikte sind in der Tat während Joe Bidens Präsidentschaft entstanden. Ob verantwortlich oder nicht – die Warnungen der US-Regierung, ob an Putin, die Hamas oder an Iran, sind wirkungslos geblieben. Mitten im Wahlkampf müssen Joe Biden und sein Regierungsteam nicht nur die ganz realen Kriege und ihre Eskalation fürchten, sondern auch ein öffentliches Bild, das ihr Handeln als schwach aussehen lässt.
Noch in der Washingtoner Nacht trat Bidens Sicherheitskabinett ein zweites Mal im «Situation Room» zusammen. Obwohl es zwischenzeitlich hiess, der US-Präsident werde sich aus seinem Oval Office mit einer Rede an die Nation wenden, geschah bis Mitternacht nichts mehr. Es ist zumindest in Indiz dafür, wie unklar der amerikanischen Regierung derzeit noch ist, wie sie rhetorisch und mit welchen Konsequenzen reagieren soll.
Zu viel steht innen- und aussenpolitisch auf dem Spiel, als dass jetzt Fehler passieren dürfen. Die massiven Proteste in den USA gegen die humanitäre Lage im Gazastreifen könnten dann nur Vorgeschmack gewesen sein. (Mehr dazu lesen Sie hier). Sollten Irans Verbündete, die Nuklearmächte Nordkorea, Russland und womöglich auch China, im Nahen Osten wegen einer US-Reaktion auf den Plan treten, wären die Folgen unabsehbar und womöglich kaum noch kontrollierbar. Es droht ein geopolitisches Erdbeben.
Die israelische Regierung kann auf unumstössliche Unterstützung aus Washington bauen. «Vielen Dank Potus für dein eisernes Engagement. Das Volk Israel hat keinen grösseren Freund als die Vereinigten Staaten», schrieb sie auf der Plattform X. Das erste Statement des Weissen Hauses lautete dementsprechend: «Unsere Unterstützung für die Sicherheit Israels ist unerschütterlich. Die Vereinigten Staaten werden dem israelischen Volk zur Seite stehen und es bei der Verteidigung gegen diese Bedrohungen aus dem Iran unterstützen.»
Aber wie, ist zur Stunde unklar. Joe Biden steht mit dem unerwartet umfassenden Angriff gegen Israel vor der wohl schwersten Entscheidung seiner Präsidentschaft. Jeder Schritt könnte der falsche sein. Eine Reaktion könnte darum noch ein wenig auf sich warten lassen. Dass es aber eine geben wird, das steht in Washington ausser Frage.
Verwendete Quellen:
Das war ein angekündigter, sehr begrenzter Angriff. Entweder kann der Iran nicht mehr oder, was auch naheliegend ist, er will keinen direkten Krieg riskieren.
Der Ball liegt nun wieder bei den Israelis. Reagieren oder abhaken und wenn, wie reagieren. Absolut gefährlich mit grossem Potenzial zur Eskalation, einverstanden.
Ihr schreibt aber derart in Superlativen, legt Fokuse, als wäre das der unausweichliche Beginn des Dritten Weltkrieges. Als müsse es nun geschehen. Billige Effekthascherei.