Die Barbarei der russischen Truppen in der Ukraine ist abscheulich, ihre Inkompetenz erstaunlich. Mehr als 7000 russische Soldaten sollen nach verlässlichen Angaben in Putins Krieg bereits gefallen sein, darunter mindestens drei Generäle, mindestens 14’000 Verletzte kommen dazu. Zum Vergleich: Das sind mehr als die gesamten Verluste der Amerikaner in den 20 Jahren im Irak und in Afghanistan.
Die Kombination von Barbarei und Inkompetenz ist kein Zufall. Sie entsteht, wenn ein absoluter Herrscher zu lange an der Macht bleibt. Das ist keine neue Erkenntnis. Man kann es bei Shakespeare nachlesen oder bei «Game of Thrones» nachgucken. Oder man kann sich ganz einfach an das Gesetz von Lord Acton halten: Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut.
Unter Putin ist Russland eine Kleptokratie geworden. Eine schmale Elite suhlt sich in einem fast unvorstellbaren Reichtum und verschwendet die Erträge aus den Rohstoffen für Jachten, Villen an der Côte d’Azur, Herrschaftshäuser in London und Chalets in Gstaad. Putin selbst hat sich für mehr als eine Milliarde Dollar ein Schloss bei Sotschi bauen lassen – mit eigener Eishockeyhalle, Strip-Bar und goldenen WC-Besen.
Anders als in der Volkswirtschaft funktioniert unter korrupten Umständen die Trickle-down-Ökonomie. Die Schandtaten der Elite sinken langsam nach unten. Jeder, der kann, versucht sich einen Teil des Kuchens abzuschneiden.
Im Ernstfall rächt sich das: Russische Lastwagen versinken im Morast, weil die billigsten Pneus eingekauft und zum höchsten Preis verrechnet wurden. Russische Generäle werden eine leichte Beute von ukrainischen Sondereinheiten, weil sie im ungesicherten Smartphone-Netz ihre Befehle erteilen müssen und deshalb leicht geortet werden können.
Weil absolute Herrscher gottgleich und wie der Papst unfehlbar sind, müssen für die Pannen Sündenböcke gefunden werden. Putin soll zwei seiner Geheimdienst-Bosse unter Hausarrest gestellt haben, weil ihre Informationen nichts mit der Realität zu tun hatten. Dabei müsste er sich selbst an der Nase nehmen. Wer Jahrzehnte isoliert in einer Machtblase lebt, umgibt sich mit Speichelleckern und Jasagern. Niemand im Kreml wagt es heute noch, Putin die Fakten zu präsentieren.
Wer in einer Machtblase lebt, verliert zudem jegliche Empathie, auch gegenüber dem eigenen Volk. In seiner jüngsten Wutrede spricht Putin von «Verrätern und Abschaum». Gleichzeitig wird heute in Russland verhaftet, wer auch nur ein weisses Blatt in die Höhe hält. Eine Säuberungswelle im grossen Stil bahnt sich an. Renommierte Publikationen wie der «Economist» sprechen bereits von einer Wiederkehr des Stalinismus, einer der schrecklichsten Perioden in der Geschichte der Menschheit.
In China ist Präsident Xi Jinping bald zehn Jahre an der Macht. Der nächste Volkskongress wird beschliessen, dass er nicht – wie bisher üblich – zurücktreten muss, sondern bis an sein Lebensende weiter regieren darf.
Wie Putin befindet sich auch Xi in einer Machtblase und wie der russische Präsident verfolgt auch er hochfliegende Ziele. Die Kommunistische Partei hat er bereits gesäubert. Mit der Belt and Road Initiative entsteht ein globales Netz, das die Welt mit China verbinden wird. In Sachen künstlicher Intelligenz und Biotech will man die führende Nation werden. Die ursprünglich rein defensiv ausgerichtete Armee wird modernisiert und für offensive Zwecke umgemodelt, mit Flugzeugträgern beispielsweise.
Der chinesische Präsident ist überzeugt, dass sein «Sozialismus mit chinesischen Charakteristika» der Demokratie weit überlegen sei. Er macht sich über die westliche Dekadenz lustig und spricht von einem unaufhaltsamen Niedergang der Supermacht USA.
Auch das chinesische Modell wird jedoch zunehmend brüchig. Das zeigt sich derzeit bei der Bekämpfung der Corona-Krise. Trotz superharten Lockdowns haben die Chinesen die Pandemie nicht in den Griff bekommen. In Hongkong sollen die Zustände derzeit schlimmer sein als zu den schlimmsten Zeiten in New York. In der Vorzeigestadt Shenzhen musste ein neuer Lockdown verordnet werden, Shanghai könnte bald folgen. Bitter auch, dass der chinesische Impfstoff offenbar gegen Omikron nicht wirkt – und dass die Impfverweigerer-Rate in China noch höher ist als im Westen.
Mit dem Fall der Berliner Mauer schien der Siegeszug der liberalen Weltordnung des Westens alternativlos zu sein, doch mit der Finanzkrise begann ihr Niedergang. Die Heuchelei war zu offensichtlich geworden: Die gleichen Politiker und Ökonomen, die noch vor Kurzem den Schwellenländern Korruption vorwarfen, hielten nun die eigene korrupte Finanzwirtschaft mit einer Geldschwemme der Zentralbanken am Leben. Die Politik der westlichen Demokratien verkam derweil immer mehr zu einer parteipolitischen Schlammschlacht, unfähig, die realen Probleme zu lösen.
Wenn Putin in der «Financial Times» den Tod des Liberalismus verkündete und seine «gelenkte Demokratie» als Alternative pries, dann konnte er mit Beifall rechnen, nicht nur in Russland. Für rechte Populisten im Westen wurde der russische Präsident zu einer Lichtgestalt und zum Beschützer des Abendlandes.
Die Vorstellung, dass sich China mit wachsendem Wohlstand hin zu Demokratie und Rechtsstaat im westlichen Sinn entwickeln würde, erwies sich ebenfalls als Illusion. Vordenker wie Parag Khanna schwärmen heute von einer «asiatischen Zukunft», in welcher der westliche Liberalismus keinen Platz hat. Das autoritäre Modell von Singapur ist das Mass aller Dinge.
Putin hat mit seinem Krieg gegen die Ukraine eine neue Zeitenwende eingeleitet. Ist die liberale Demokratie damit wieder rehabilitiert? Können wir wieder an 1989 anknüpfen? Nicht ganz. In den USA hat das Majorzsystem dazu geführt, dass zwei ungefähr gleich starke Parteien sich eine Politschlacht liefern, die schon beinahe bürgerkriegsähnliche Züge aufweist.
In der Schweiz sorgen Proporzsystem und direkte Demokratie dafür, dass solche Auswüchse nicht möglich sind. Eine Flut von teils unsinnigen Initiativen sorgt auch bei uns für Verschleisserscheinungen.
«Es ist gesagt worden, dass die Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen sei – ausser allen anderen, die ausprobiert wurden», hat Winston Churchill einst erklärt. Die Ereignisse in der Ukraine beweisen einmal mehr, wie recht der grosse Staatsmann damit hatte. Sie zeigen aber auch, dass die Demokratie niemals gottgegeben ist. Sie muss stets von Neuem verteidigt werden.
Sagt das bitte auch unseren SVP Politikern und unseren CEOs. Denen hats wohl auch schon unlängst ins Hirn geschissen. Insbesondere dem Mann aus Herrliberg dürfte dieser Rat endlich seinen Seelenfrieden geben.
Schade um die niedrige Wahlbeteiligung in der Schweiz. Hier haben wir die Hand am Hebel.