Seit der Absetzung des peruanischen Präsidenten am 7. Dezember 2022 sind im südamerikanischen Land grosse Tumulte ausgebrochen. Die Proteste richten sich gegen die Regierung von Übergangspräsidentin Dina Boluarte. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der Staatschefin, die Auflösung des Kongresses und die Freilassung des inhaftierten Ex-Präsidenten Pedro Castillo.
Um gegen die neue Regierung zu protestieren, riefen diverse Organisationen im Süden des Landes zu einem Generalstreik auf, der am 4. Januar begann. Im Rahmen dieser Streiks blockierten Demonstrierende in verschiedenen Regionen die Strassen und gerieten so immer wieder mit der Polizei in Konflikt.
Peru general strike: Indigenous andean communities are moving giant rocks to place at the barricades, without machinery. Inca style coordinated team work. pic.twitter.com/vBgqGEgtAF
— Ollie Vargas (@OllieVargas79) January 8, 2023
Noch nie eskalierten die Proteste aber so sehr wie am vergangenen Montag. Ort des Geschehens war Juliaca, die Hauptstadt der Provinz San Román im Süden des Landes. Um den Streik zu unterstützen, waren im Vorfeld bereits Menschen aus angrenzenden Gemeinden angereist.
Im Rahmen des Generalstreikes versuchte eine Gruppe von Protestierenden am 6. Januar den Flughafen Juliacas zu besetzen. Dieses Vorhaben ist nicht neu: Bereits im Dezember forcierten Protestierende die temporäre Schliessung dreier Flughäfen in Peru. Der Polizei Juliacas gelang es zwar, die Demonstrierenden mit Tränengas auseinanderzutreiben, aus Sicherheitsgründen musste der Flughafen dennoch seinen Betrieb einstellen. Er kündigte aber eine schnelle Wiederöffnung an.
Juliaca. Perú
— Manuel (@Manuel66155739) January 10, 2023
Helicópteros del gobierno de #DinaBoluarte contra manifestantes pacíficos
Hay 18 muertos pic.twitter.com/3GJY9uUyAE
Dazu sollte es aber nicht so schnell kommen. Die Protestierenden stiessen rund um den Flughafen immer wieder mit den Sicherheitskräften zusammen. Am Montagabend eskalierte die Situation, als es den Demonstrierenden gelang, in das Innere des Flughafens einzudringen. Die Polizei reagierte mit tödlicher Gewalt. Insgesamt wurden am Montag 17 Personen getötet und über 100 verletzt.
Además del vendedor ambulante de chupetes y adoquines, el interno de medicina que auxiliaba a heridos, otra persona asesinada ayer por disparos de la policía nacional en Juliaca era una rescatista voluntaria del grupo animalista Entrepatas de Juliaca, tenía 17 años. pic.twitter.com/W8t5lDAkkE
— Jacqueline Fowks (@jfowks) January 10, 2023
Wie das medizinische Personal gegenüber der Presse sagte, muss die Polizei aus nächster Nähe mit scharfer Munition auf die Demonstrierenden geschossen haben. Zudem soll sie in der Stadt selbst auch randaliert haben, wie diverse Videos auf Twitter zeigen:
Ni en los dominicales de ayer, ni en los noticieros de esta mañana, presentan los ataques de la policía contra la población de Juliaca.
— Diego Lazo (@diegolazoh) January 9, 2023
En relato sobre lo que pasa en Puno está muy parcializado, esto genera repudio, quien termina pagando son sus reporteros, en la calle. pic.twitter.com/nGbDHglsLd
Der peruanische Regierungschef Alberto Otárola verteidigte die Reaktion der Sicherheitskräfte. Am Montag sollen sich über 9000 Menschen dem Flughafen genähert haben. 2000 von ihnen hätten «einen gnadenlosen Angriff auf die Polizei und die Einrichtungen» gestartet und dabei auch «improvisierte Waffen» eingesetzt. Schlussendlich machte er in seiner Rede Castillo für die Unruhen verantwortlich. Die jetzige Regierung versuche den Frieden und die Ruhe von 33 Millionen Peruanerinnen und Peruanern zu verteidigen.
Vor allem im Süden Perus kämpft die Bevölkerung für die Wiedereinsetzung von Pedro Castillo ins Präsidentenamt. Sie sympathisieren mit dem Mann, der selbst aus ärmeren Verhältnissen stammt und eine steile Politikkarriere hingelegt hat.
Vor seiner Wahl zum Präsidenten hatte der 53-Jährige noch nie ein politisches Amt inne. Er war in einer bäuerlichen Familie aufgewachsen, seine Eltern konnten weder lesen noch schreiben. Castillo hingegen machte sich später genau das zur Aufgabe: Er wurde Lehrer in einer Grundschule. Nationale Popularität erlangte er erstmals 2017, als er einen Lehrerstreik anführte und eine Verhandlung mit der Regierung erreichte. 2020 verkündete er schliesslich seine Kandidatur für das Präsidentenamt, welches er überraschend gegen die Konkurrentin Keiko Fujimori gewann.
Aufgrund seiner bäuerlichen Herkunft und seiner Beschäftigung als Lehrer konnte er viele Wählende auf seine Seite ziehen. Sein Einstieg ins Amt im Juli 2021 gestaltete sich allerdings als schwierig: Sowohl die Corona-Pandemie als auch die steigenden Preise wegen des Ukraine-Krieges setzten ihn unter Druck. Währenddessen gestaltete sich seine Beziehung mit dem Kabinett als schwierig.
Wegen verschiedener Vorwürfe und Meinungsverschiedenheiten räumten immer wieder wichtige Minister ihre Posten – von Ende Juli 2021 bis August 2022 gab es satte 67 Ministerwechsel. Auch zwei Amtsenthebungsverfahren überstand er während dieser Zeit.
Der frühere Dorfschullehrer wollte im Dezember dem dritten Misstrauensvotum in diesem Jahr zuvorkommen, indem er den Kongress auflöste. Sein Kabinett und die Opposition warfen ihm daraufhin einen Staatsstreich vor – Castillo wurde des Amtes enthoben, festgenommen und zunächst für sieben Tage in Untersuchungshaft genommen. Nach einer ersten Anhörung ordnete das Gericht allerdings 18 Monate weitere Untersuchungshaft an. Gegen ihn laufen einige Ermittlungsverfahren wegen Korruptions- und Plagiatsvorwürfen. Er ist allerdings nicht der Einzige: Auch gegen zahlreiche Parlamentarier wird wegen verschiedener Vorwürfe ermittelt.
Im Süden und Südosten Perus, wo Castillo in ländlichen Gegenden besonders viele Anhänger hat, aber auch in der Hauptstadt Lima, kommt es seit seiner Absetzung immer wieder zu gewaltsamen Protestaktionen sowie Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Regierung von Castillos Nachfolgerin Dina Boluarte verhängte deshalb am 14. Dezember für 30 Tage den Ausnahmezustand über das ganze Land. Seit Beginn der Proteste sind insgesamt 46 Protestierende gestorben.
Im Bemühen, die angespannte Lage zu beruhigen, deutete Präsidentin Dina Boluarte am 20. Dezember 2022 vor der Presse an, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sogar auf Dezember 2023 vorzuziehen. Angesichts der Proteste hatte Boluarte zunächst nach eigenen Worten vorgezogene Wahlen im April 2024 statt zum regulären Termin 2026 angestrebt.
Damit habe sie alles getan, was in ihrer Macht gestanden sei, wandte sie sich im Anschluss an die blutigen Proteste vom Montag an die Demonstrierenden. Doch der Anhängerschaft geht das noch immer nicht schnell genug. Aus diesem Grund dürften die Proteste auch in der kommenden Zeit nicht abreissen.
(saw, mit Material der Nachrichtenagenturen sda und dpa)
Sind das Proteste von Verfassungsdelegitimierern oder von Unterdrückten?
Ich möchte keinesfalls in die falsche Ecke gestellt werden.