International
Lateinamerika

17 Tote bei Protesten in Peru – das steckt dahinter

epa10394496 A man shields a child as he runs for cover during the protests in the vicinity of the Juliaca airport, in Juliaca, Peru, 07 January 2022. Protest demonstrations against the government of D ...
Ein Mann hält ein Kind schützend an sich, während er sich am Flughafen in Juliaca in Deckung zu bringen versucht.Bild: keystone

Lage eskaliert: 17 Tote nach gescheiterter Besetzung von peruanischem Flughafen

Insgesamt 17 Menschen sind in der Stadt Juliaca, im Süden Perus, bei Zusammenstössen mit der Polizei ums Leben gekommen. Der tödlichste Vorfall seit Beginn der Proteste im Dezember. Das steckt dahinter.
10.01.2023, 19:1910.01.2023, 21:23
Mehr «International»

Der Generalstreik

Seit der Absetzung des peruanischen Präsidenten am 7. Dezember 2022 sind im südamerikanischen Land grosse Tumulte ausgebrochen. Die Proteste richten sich gegen die Regierung von Übergangspräsidentin Dina Boluarte. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der Staatschefin, die Auflösung des Kongresses und die Freilassung des inhaftierten Ex-Präsidenten Pedro Castillo.

Um gegen die neue Regierung zu protestieren, riefen diverse Organisationen im Süden des Landes zu einem Generalstreik auf, der am 4. Januar begann. Im Rahmen dieser Streiks blockierten Demonstrierende in verschiedenen Regionen die Strassen und gerieten so immer wieder mit der Polizei in Konflikt.

Noch nie eskalierten die Proteste aber so sehr wie am vergangenen Montag. Ort des Geschehens war Juliaca, die Hauptstadt der Provinz San Román im Süden des Landes. Um den Streik zu unterstützen, waren im Vorfeld bereits Menschen aus angrenzenden Gemeinden angereist.

Der Flughafen im Visier

epa10394490 Police and military guard the vicinity of the Juliaca airport in Juliaca, Peru, 07 January 2022. Protest demonstrations against the government of Dina Boluarte left at least 12 injured on  ...
Die Polizei versuchte den Flughafen Juliaca am 7. Januar vor den Protestierenden abzuschirmen.Bild: keystone

Im Rahmen des Generalstreikes versuchte eine Gruppe von Protestierenden am 6. Januar den Flughafen Juliacas zu besetzen. Dieses Vorhaben ist nicht neu: Bereits im Dezember forcierten Protestierende die temporäre Schliessung dreier Flughäfen in Peru. Der Polizei Juliacas gelang es zwar, die Demonstrierenden mit Tränengas auseinanderzutreiben, aus Sicherheitsgründen musste der Flughafen dennoch seinen Betrieb einstellen. Er kündigte aber eine schnelle Wiederöffnung an.

Dazu sollte es aber nicht so schnell kommen. Die Protestierenden stiessen rund um den Flughafen immer wieder mit den Sicherheitskräften zusammen. Am Montagabend eskalierte die Situation, als es den Demonstrierenden gelang, in das Innere des Flughafens einzudringen. Die Polizei reagierte mit tödlicher Gewalt. Insgesamt wurden am Montag 17 Personen getötet und über 100 verletzt.

Wie das medizinische Personal gegenüber der Presse sagte, muss die Polizei aus nächster Nähe mit scharfer Munition auf die Demonstrierenden geschossen haben. Zudem soll sie in der Stadt selbst auch randaliert haben, wie diverse Videos auf Twitter zeigen:

Der peruanische Regierungschef Alberto Otárola verteidigte die Reaktion der Sicherheitskräfte. Am Montag sollen sich über 9000 Menschen dem Flughafen genähert haben. 2000 von ihnen hätten «einen gnadenlosen Angriff auf die Polizei und die Einrichtungen» gestartet und dabei auch «improvisierte Waffen» eingesetzt. Schlussendlich machte er in seiner Rede Castillo für die Unruhen verantwortlich. Die jetzige Regierung versuche den Frieden und die Ruhe von 33 Millionen Peruanerinnen und Peruanern zu verteidigen.

«Wir werden nicht nachlassen, die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.»

Der Kampf für Castillo

Vor allem im Süden Perus kämpft die Bevölkerung für die Wiedereinsetzung von Pedro Castillo ins Präsidentenamt. Sie sympathisieren mit dem Mann, der selbst aus ärmeren Verhältnissen stammt und eine steile Politikkarriere hingelegt hat.

FILE - Peruvian President Pedro Castillo gives a press conference at the presidential palace in Lima, Peru, Oct. 11, 2022. On Wednesday, Dec. 7, 2022, Castillo faces a third impeachment attempt by Con ...
Pedro Castillo während einer Pressekonferenz am 11. Oktober 2022.Bild: keystone

Vor seiner Wahl zum Präsidenten hatte der 53-Jährige noch nie ein politisches Amt inne. Er war in einer bäuerlichen Familie aufgewachsen, seine Eltern konnten weder lesen noch schreiben. Castillo hingegen machte sich später genau das zur Aufgabe: Er wurde Lehrer in einer Grundschule. Nationale Popularität erlangte er erstmals 2017, als er einen Lehrerstreik anführte und eine Verhandlung mit der Regierung erreichte. 2020 verkündete er schliesslich seine Kandidatur für das Präsidentenamt, welches er überraschend gegen die Konkurrentin Keiko Fujimori gewann.

Aufgrund seiner bäuerlichen Herkunft und seiner Beschäftigung als Lehrer konnte er viele Wählende auf seine Seite ziehen. Sein Einstieg ins Amt im Juli 2021 gestaltete sich allerdings als schwierig: Sowohl die Corona-Pandemie als auch die steigenden Preise wegen des Ukraine-Krieges setzten ihn unter Druck. Währenddessen gestaltete sich seine Beziehung mit dem Kabinett als schwierig.

Wegen verschiedener Vorwürfe und Meinungsverschiedenheiten räumten immer wieder wichtige Minister ihre Posten – von Ende Juli 2021 bis August 2022 gab es satte 67 Ministerwechsel. Auch zwei Amtsenthebungsverfahren überstand er während dieser Zeit.

Lawmakers celebrate after verbally voting to remove President Pedro Castillo from office in Lima, Peru, Wednesday, Dec. 7, 2022. Peru's Congress voted to remove Castillo from office Wednesday and ...
Kongressabgeordnete gratulieren sich gegenseitig zur erfolgreichen Amtsenthebung Castillos am 7. Dezember 2022.Bild: keystone

Der frühere Dorfschullehrer wollte im Dezember dem dritten Misstrauensvotum in diesem Jahr zuvorkommen, indem er den Kongress auflöste. Sein Kabinett und die Opposition warfen ihm daraufhin einen Staatsstreich vor – Castillo wurde des Amtes enthoben, festgenommen und zunächst für sieben Tage in Untersuchungshaft genommen. Nach einer ersten Anhörung ordnete das Gericht allerdings 18 Monate weitere Untersuchungshaft an. Gegen ihn laufen einige Ermittlungsverfahren wegen Korruptions- und Plagiatsvorwürfen. Er ist allerdings nicht der Einzige: Auch gegen zahlreiche Parlamentarier wird wegen verschiedener Vorwürfe ermittelt.

Düstere Aussichten

Im Süden und Südosten Perus, wo Castillo in ländlichen Gegenden besonders viele Anhänger hat, aber auch in der Hauptstadt Lima, kommt es seit seiner Absetzung immer wieder zu gewaltsamen Protestaktionen sowie Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Regierung von Castillos Nachfolgerin Dina Boluarte verhängte deshalb am 14. Dezember für 30 Tage den Ausnahmezustand über das ganze Land. Seit Beginn der Proteste sind insgesamt 46 Protestierende gestorben.

Im Bemühen, die angespannte Lage zu beruhigen, deutete Präsidentin Dina Boluarte am 20. Dezember 2022 vor der Presse an, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sogar auf Dezember 2023 vorzuziehen. Angesichts der Proteste hatte Boluarte zunächst nach eigenen Worten vorgezogene Wahlen im April 2024 statt zum regulären Termin 2026 angestrebt.

Peru's President Dina Boluarte speaks during a news conference at government palace in Lima, Peru, Thursday, Jan. 5, 2023. Protests against Boluarte that followed the ouster of her predecessor, P ...
Dina Boluarte an einer Pressekonferenz am 5. Januar, nachdem die Proteste gegen ihre Regierung nach den Feiertagen wieder an Fahrt aufgenommen hatten.Bild: keystone

Damit habe sie alles getan, was in ihrer Macht gestanden sei, wandte sie sich im Anschluss an die blutigen Proteste vom Montag an die Demonstrierenden. Doch der Anhängerschaft geht das noch immer nicht schnell genug. Aus diesem Grund dürften die Proteste auch in der kommenden Zeit nicht abreissen.

(saw, mit Material der Nachrichtenagenturen sda und dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Zwei Tote bei Aufständen in Peru
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
14 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
trollo
10.01.2023 20:18registriert Januar 2016
Könnte jemand diese Proteste hier einordnen. Ich weiss gerade nicht, gegen wen oder für wen ich sein soll.
Sind das Proteste von Verfassungsdelegitimierern oder von Unterdrückten?
Ich möchte keinesfalls in die falsche Ecke gestellt werden.
203
Melden
Zum Kommentar
14
Heftige Sturmböen erfassen Sessel in Cervinia (IT) bei Zermatt

Wer den Gründonnerstag im Wintersportgebiet Cervinia (IT) verbrachte, wird den Skitag so schnell wohl nicht vergessen. Im italienischen Skigebiet, das an Zermatt angrenzt, wechselte das Wetter am Donnerstagnachmittag abrupt, sodass der Sessellift geschlossen werden musste.

Zur Story