Nachdem Papst Franziskus die Massaker an den Armeniern als «Völkermord» bezeichnet hat, zieht die türkische Regierung ihren Botschafter aus dem Vatikan zurück. Der Papst machte die politisch brisante Äusserung am Sonntag bei einer Gedenkmesse im Petersdom, in deren Mittelpunkt der Heilige Gregor von Narek stand.
Im letzten Jahrhundert habe es «drei gewaltige und beispiellose Tragödien» gegeben. Die erste dieser Tragödien, die «weithin als 'erster Völkermord des 20. Jahrhunderts' gilt», habe das armenische Volk getroffen, sagte der Papst.
Es sei seine Pflicht, die Erinnerung an die unschuldigen Männer, Frauen, Kinder, Priester und Bischöfe zu würdigen, die «sinnlos» ermordet worden seien, verteidigte er seine Äusserung. «Das Böse zu verbergen oder abzustreiten ist genauso wie eine Wunde bluten zu lassen, ohne sie zu bandagieren», sagte er.
Zuvor war mit Spannung erwartet worden, ob der Papst den Begriff Völkermord in den Mund nehmen würde. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches, die einen Genozid nach wie vor abstreitet, soll nach Berichten türkischer Medien hinter den Kulissen versucht haben, Papst Franziskus vom Gebrauch des Begriffes abzuhalten.
Das Aussenministerium in Ankara bestellte denn nach der Äusserung des Papstes auch den Vatikan-Vertreter ein und verlangte eine «Erklärung», wie die Nachrichtensender NTV und CNN-Türk berichteten. Das türkische Aussenministerium erklärte offiziell zu der Papst-Äusserung, man sei enttäuscht und traurig. Franziskus stelle damit die Botschaft von Frieden und Dialog während seines Türkei-Besuches im November infrage.
Anschliessend beorderte die Türkei ihren Botschafter aus dem Vatikan zurück. Das türkische Aussenministerium erklärte, das türkische Volk werde die Äusserung des Papstes nicht anerkennen. Diese sei von Vorurteilen geprägt und verfälsche die Geschichte. Die Aussage des Papstes sei diskriminierend, weil sie nur das Leiden der christlichen Armenier und nicht das der Muslime und anderer Gruppen erwähne.
Bereits im Jahr 2006, als Jorge Mario Bergoglio noch Erzbischof von Buenos Aires war, hatte er die Türkei aufgefordert, die Massaker als «das grösste jemals von der ottomanischen Türkei begangene Verbrechen gegen das armenische Volk und die Menschheit insgesamt» anzuerkennen. Ankara legte daraufhin Beschwerde ein und zitierte den Apostolischen Nuntius ins Aussenministerium.
Als Franziskus die Massaker an den Armeniern knapp drei Monate nach seinem Amtsantritt als Papst, Anfang Juni 2013, als «ersten Genozid des 20. Jahrhunderts» bezeichnete, protestierte die Türkei ebenfalls offiziell. «Absolut inakzeptabel» sei diese Äusserung, hiess es in einer Erklärung des Aussenministeriums in Ankara. Wieder wurde der vatikanische Botschafter zu einem Gespräch zitiert.
Im Vatikan wurde der Begriff bereits von Papst Johannes Paul II. benutzt. Sowohl vor als auch während seines Armenien-Besuchs 2001 bezeichnete er die Verfolgung als «Genozid». Er unterzeichnete sogar zusammen mit dem armenischen Kirchenführer ein Dokument, in dem es hiess, auf die Geschehnisse werde allgemein Bezug genommen «als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts».
Historiker schätzen, dass bis zu 1,5 Millionen Armenier durch die Osmanen zu Zeiten des Ersten Weltkriegs umgebracht wurden. Am 24. April 1915 begann die damalige Regierung des Osmanischen Reiches mit der Verhaftung der Armenier und zwangen Hunderttausende zu Gewaltmärschen in die syrische Wüste. (sda/afp/dpa/apa)