Eigentlich wollte er ja ruhig bleiben. «Für die Welt verborgen.»
Doch nun hat sich der 2013 zurückgetretene Papst Benedikt wieder zu Wort gemeldet – und dabei ausgerechnet über das wohl heikelste Thema geschrieben: den sexuellen Missbrauch an Kindern in der katholischen Kirche.
In einem Aufsatz (hier kannst du ihn Wort für Wort lesen) legte der 91-Jährige dar, was seiner Ansicht nach die Gründe für die Krise in der katholischen Kirche seien.
Diese hatte im Februar zu einem Anti-Missbrauchs-Gipfel im Vatikan geladen, nachdem Missbrauchsskandale in Ländern wie Deutschland, den USA oder Chile ans Tageslicht gekommen waren.
Nicht das Problem sind für Benedikt etwa das Zölibat oder die Machtstrukturen.
Der Deutsche sieht viel eher die 1968er-Jahre als Ursache für die Missbräuche. «Zu der Physiognomie der 1968er-Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde», schreibt das ehemalige Kirchenoberhaupt.
Unabhängig davon hätte sich zeitgleich «ein Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte».
Benedikt fragt: «Wieso konnte Pädophilie ein solches Ausmass erreichen?» Und liefert die Antwort gleich nach. Es sei die «Abwesenheit Gottes» gewesen.
Weiter heisst es: In den Jahren von 1960 bis 1980 seien «die bisher geltenden Massstäbe in Fragen Sexualität vollkommen weggebrochen» und eine «Normlosigkeit entstanden, die man inzwischen abzufangen sich gemüht hat».
Bendedikt schildert einige Erfahrungen, die er in der damaligen Zeit gemacht hat:
Der ehemalige Papst wird nächste Woche 92 Jahre alt – und wünscht sich ganz offensichtlich die Zeit vor 1968 zurück. Zur Erinnerung: Das war jene Zeit, als unverheiratete Paare keinen Sex haben durften und in der die Homosexualität nicht nur verachtet wurde, sondern an vielen Orten der Welt strafbar war.
Während in der Kirche aber weiterhin geschwiegen wurde, machten die Achtundsechziger plötzlich ihren Mund auf. Sie sprachen das Thema Sex an, brachen die Tabus und befreiten sich aus der sexuellen Unterdrückung.
Bei der katholischen Kirche hat es 50 Jahre länger gedauert, bis man im Vatikan Handlungsbedarf sah und das Thema bei einem Gipfel ansprach. Zufrieden waren die Opferverbände nach dem Missbrauchs-Gipfel von Februar dennoch nicht. Es bleibt nach wie vor viel zu tun.
Was man definitiv nicht machen sollte: Das Rad der Zeit zurückdrehen. So zumindest die Reaktionen in den sozialen Medien nach Benedikts Aufsatz. Hier einige Beispiele:
Zu den Einlassungen von Herrn #Razinger (aka #BenediktXVI) zum #Missbrauchsskandal kommt mir wieder das hier in den Sinn pic.twitter.com/RBrgWE7jJh
— Hajo Thelen (@hajo_thelen) 12. April 2019
Man lasse sich das mal auf der Zunge zergehen:
#Papst Benedikt XVI. : Die Hippies aus den 60er Jahren sind Schuld das so viele Priester Kinder missbrauchen!!
— Mingafan (@ThomasGermany01) 12. April 2019
Schlimm, so etwas vom ehemaligen Papst Benedikt #benediktXVI lesen zu müssen. Die Achtundsechziger seien mitverantwortlich für die pädosexuellen Übergriffe in der Kirche. #missbrauchsskandal #Pädosexualität Die Kirche sei wehrlos gewesen. Quo vadis ecclesia catholico? https://t.co/Pif5h0sWe4
— Eckhard Friauf (@EckhardFriauf) 12. April 2019
Vielen fehlen die Worte ...
Ich würde das gerne mit einem Kommentar tweeten, aber mir fehlen schlichtweg die Worte...Vielleicht: Unfassbar und gleichzeitig so exemplarisch.https://t.co/AuhFvfK0Pa via @CNAdeutsch
— MadameSurvivante (@MmeSurvivante) 11. April 2019
Papst Benedikt erhält für seinen Aufsatz allerdings auch Zuspruch. Etwa von Kardinal Robert Sarah, der eine wichtige Stimme der katholischen Kirche ist.
In die teils gehässigen Reaktionen gegen #Papst #Benedikt können dessen Kritiker jetzt auch Kardinal @Card_R_Sarah einbeziehen. Er lobt Benedikts jüngstes Schreiben ausdrücklich. https://t.co/mhY8f2Zb8i
— Gregor Brand (@GregorBrand) 12. April 2019
Er bedankt sich beim Deutschen für dessen Mut, das Wort ergriffen zu haben. Seine Analyse der Krise sei von einer «kapitalen Wichtigkeit». Der 91-jährige Ex-Papst steht mit seiner Meinung also nicht alleine da. (cma)