Der ukrainischen Armee ist bei ihrer Gegenoffensive offenbar ein lange ersehnter Erfolg gelungen. Der Generalstab in Kiew vermeldete am Sonntagmorgen einen Durchbruch im Süden: Beim Dorf Werbowe im Gebiet Saporischschja verdrängten die Truppen «den Gegner aus seinen Stellungen und setzen sich an den erreichten Positionen fest».
Am Wochenende kursierten bereits Meldungen, wonach die Ukrainer mit gepanzerten Fahrzeugen russische Befestigungen – Minenfelder, Gräben und Betonblöcke, sogenannte «Drachenzähne» – nahe dem Ort überwinden konnten.
Laut dem US-amerikanischen Institut für Kriegsstudien ISW handelt es sich um die am besten befestigte russische Verteidigungslinie der Region.
Der Befehlshaber der ukrainischen Truppen an der Südfront, Brigadegeneral Olexander Tarnawskyj, bestätigte den Durchbruch am Wochenende in einem Interview mit dem US-Sender CNN. Militärblogger berichten inzwischen auch von Kämpfen in Werbowe selbst.
Ein heftiger Schlag war den Ukrainern nur wenige Tage zuvor gelungen, als Raketen in das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim einschlugen. Mehrere Offiziere wurden dabei getötet.
Seit dreieinhalb Monaten läuft die ukrainische Gegenoffensive zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete. Die grossen Erfolge blieben bislang jedoch aus. Für Militärexperten kommt das zwar wenig überraschend – mit einem Durchmarsch der Ukrainer rechneten die wenigsten, vielmehr mit einem längeren, zermürbenden Voranrobben.
Doch schon allein psychologisch sind Durchbrüche wie jener bei Werbowe oder die Attacke auf die Schwarzmeerflotte wichtig. Nicht zuletzt, um die westlichen Verbündeten bei der Stange zu halten. Präsident Wolodimir Selenski warnte kürzlich in einem Interview mit dem «Economist» eindringlich: Zwar höre er die Erklärungen westlicher Politiker, dass sie immer an der Seite der Ukraine stünden. «Aber ich sehe, dass er oder sie nicht hier ist, nicht bei uns», so Selenski. Einige Partner könnten die jüngsten Schwierigkeiten der Ukraine auf dem Schlachtfeld als Anlass sehen, uns zu Verhandlungen mit Russland zu zwingen, sagte Selenski. Aber das sei ein schlechter Moment, denn Putin sehe das auch.
Selenski spricht inzwischen selbst davon, dass sich der Krieg möglicherweise lange hinziehen könne. Umso wichtiger ist es für die Ukraine, die Unterstützung des Westens nicht zu verlieren. Überzeugen lassen sich die Partner in Europa und den USA nun einmal am besten mit Erfolgen auf dem Schlachtfeld.
Und auch strategisch ist die Region um Werbowe wichtig. Ziel der Truppen an der Südfront ist es, bis ans Asowsche Meer vorzudringen. Die russisch besetzte Stadt Tokmak, die den Invasoren als Nachschub-Knotenpunkt dient, ist dabei ein wichtiges Ziel der Ukrainer. Sie soll mit Artillerie ins Visier genommen werden. Der Durchbruch von diesem Wochenende ist ein Schritt dorthin.
Mit heftigem Artilleriebeschuss auf die ukrainischen Truppen bei Werbowe. Den Durchbruch erkauften sich die Ukrainer teuer, die Verluste waren hoch, wie ein ukrainischer Offizier dem «Wall Street Journal» sagte: «Wir setzen uns durch. Wir zerstören sie. Aber der Preis…»
Wie das US-Institut ISW berichtet, greift Russland nun überdies auf eine eigentlich schon ausgebootete Ressource zurück: Wagner. Die Kämpfer des getöteten Söldnerführers Jewgeni Prigoschin sollen dem ISW zufolge zurück an die Front und vor allem im Süden von Bachmut eingesetzt werden. Grossen Einfluss dürften sie nicht haben, schätzt das Institut. Um wie viele Kämpfer es sich handelt, sei unklar. (aargauerzeitung.ch)