Entgegen Befürchtungen, dass Russland den Gashahn nicht wieder aufdrehen könnte, deutete Kremlchef Wladimir Putin in der Nacht zum Mittwoch Lieferungen auch nach der Wartung an. «Gazprom erfüllt seine Verpflichtungen, hat sie stets erfüllt und ist gewillt, weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen», zitiert die russische Agentur Interfax Putin. Normalerweise werden zudem am Vortag geplante Liefermengen bei Netzbetreibern angemeldet. Entsprechende Anmeldungen sind laut dem Netzbetreiber Gascade Voraussetzung für den Transport nennenswerter Mengen. Das Unternehmen betreibt die beiden Empfangspunkte von Nord Stream 1 im vorpommerschen Lubmin. Zunächst standen entsprechende Anmeldungen, bei denen es sich erst einmal um vorläufige Angaben handelt, noch aus.
Bis kurz vor dem planmässigen Abschluss der Routinewartung der Leitung stand Gaslieferungen ab Donnerstag zumindest aus Sicht des Betreibers der Pipeline, der Nord Stream AG, nichts im Weg. Nach Aussage eines Unternehmenssprechers müsste die Nord Stream AG den Markt andernfalls in festgelegter Weise informieren. Eine entsprechende Meldung gab es auch bis zum Mittwochvormittag nicht. Am Dienstagnachmittag floss laut Betreiberwebsite trotz Wartung eine geringe Menge Gas durch die Leitungen. Dieser Fluss sei technisch bedingt gewesen, berichtete der NDR unter Berufung auf die Nord Stream AG. Laut den Plänen der Betreiber sollen die Leitungen wieder ab Donnerstag, 6 Uhr, zur Verfügung stehen.
Putin warnte in der Nacht zum Mittwoch vor einem weiteren Absenken der Liefermenge. Sollte Russland eine in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten, drohe Ende Juli die Durchlasskapazität nochmals deutlich zu fallen. «Dann gibt es nur 30 Millionen Kubikmeter am Tag.» Die Pipeline kann pro Tag theoretisch mehr als 167 Millionen Kubikmeter transportieren. Die in Kanada reparierte Turbine wurde wegen der westlichen Sanktionen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine lange zurückgehalten. Zuletzt hatte Kanada entschieden, die Turbine an Deutschland zu übergeben.
Kremlchef Putin brachte erneut die weitgehend parallel verlaufende, fertiggestellte, aber nicht betriebene Pipeline Nord Stream 2 ins Spiel. Nach der russischen Invasion in die Ukraine setzte Deutschland das Genehmigungsverfahren für den Betrieb der Leitung aus. «Eine Route haben sie geschlossen, bei der zweiten die gaspumpenden Aggregate unter Sanktionen gestellt», zitierte Interfax Putin. Putin hatte schon in der Vergangenheit erklärt, der Betrieb von Nord Stream 2 könnte die Gaspreise senken. Denkbar wäre, dass Moskau die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 durch die Drosselung von Nord Stream 1 erzwingen will.
Schon vor Beginn der jetzigen Wartung und Stilllegung von Nord Stream 1 vor anderthalb Wochen hatte der russische Staatskonzern Gazprom die Lieferungen durch die mehr als 1200 Kilometer lange Pipeline auf 40 Prozent gedrosselt und dies mit der fehlenden Turbine begründet. Sie ist laut Gazprom für die Kompressorstation Portowaja wichtig, die wiederum für den Betrieb von Nord Stream 1 essenziell sei. Aus Sicht der Bundesregierung diene die Turbine Russland nur als Vorwand zur Drosselung der Gaslieferung. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums handele es sich lediglich um eine Ersatzturbine. Laut Putin geht Ende Juli allerdings eine andere Turbine regulär in Reparatur. (saw/sda/awp/dpa)