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Russland: Warum aus Putins Gesundheit ein Geheimnis gemacht wird

Russian President Vladimir Putin chairs a cabinet meeting via videoconference at the Novo-Ogaryovo state residence, outside Moscow, Russia, Tuesday, Jan. 24, 2023. (Mikhail Klimentyev, Sputnik, Kremli ...
Wie gesund ist Putin? Die Wahrheit weiss wohl kaum jemand.Bild: keystone

«Die goldene Regel der Zaren» – warum aus Putins Gesundheit ein Geheimnis gemacht wird

Über den Gesundheitszustand von Wladimir Putin gibt es die wildesten Hypothesen. Manche sagen, er sei schwer krank, andere behaupten, er sei unsterblich. Aber, so erinnert «Le Figaro», die Gesundheit der Kreml-Chefs ist seit jeher Staatsgeheimnis.
29.01.2023, 12:5029.01.2023, 13:38
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Warum wird über die Gesundheit von Staatsoberhäuptern, vor allem in autoritären Regimen, so heftig spekuliert? Ein gutes Beispiel ist derzeit Wladimir Putin. Der Kreml-Boss wurde von Beobachtern der internationalen Politik tausendmal zu Grabe getragen, nur um dann in den nächsten Wochen auf den Fernsehbildschirmen zu erscheinen, gesund und munter wie immer.

Noch im Januar war es der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, der Wladimir Putin für schwer krank hielt – und zwar seit langem.

«Wir wissen es einfach, wir haben Quellen»
Kyrylo Budanow, Interview auf ABCnews, Januar 2023

Ist das wirklich so? Die eiserne Faust des ehemaligen KGB-Agenten scheint nicht nachzulassen, obwohl einige Leute behaupten, sie hätten ihn zittern sehen.

In Wirklichkeit wissen nur wenige über seinen wahren Gesundheitszustand Bescheid, und dafür gibt es einen guten Grund, erklärt Guillaume Perrault, Chefredakteur von «Le Figaro» und Dozent an der Sciences Po Paris. Es gibt einen regelrechten Kult der Geheimhaltung um die Gesundheit der Kreml-Chefs. Das ist eine russische Besonderheit, ein Erbe der UdSSR.

«Die goldene Regel für einen kranken roten Zaren scheint zu sein: ‹Gestehe niemals›»
Guillaume Perraultle figaro

Dieses Gesetz des Schweigens beruht auf mehreren Herausforderungen:

  • Zunächst einmal ist in einem extrem personalisierten Machtsystem die Stärke eines Anführers der ultimative Garant für Macht.
  • Zweitens ist der Schutz dieser Informationen Teil eines «moralischen Vertrags zwischen dem Führer und dem Staatsapparat, die sich stillschweigend verpflichten, ihre gegenseitige Erhaltung zu fördern».
  • Die Stellung zu halten entspricht dem tiefen Wunsch eines Teils der Bevölkerung nach Sicherheit. Ja keine Ungewissheit und keinen unvermeidlichen Bruderkrieg zwischen den Thronfolgern.

Um seine Aussagen zu untermauern, untersucht Guillaume Perrault in seinem Artikel, wie die früheren «Väter der Völker» mit jeder Information, die irgendeine Schwäche verriet, umgingen – besser gesagt: wie sie diese verbargen.

Lenin kuriert sich heimlich beim «Feind von gestern» aus

Lenin litt an Arteriosklerose, einer Krankheit, die durch die Ansammlung von Fettablagerungen in den Arterien verursacht wird und Schlaganfälle begünstigt. Im April 1922 liess er sich von der Kreml-Apotheke mit Beruhigungsmitteln versorgen. Er ist nicht der einzige bolschewistische Führer, der sie benötigte.

ARCHIVE --- VOR HUNDERT JAHREN AM 7. NOVEMBER 1917 BEGINNT NACH GREGORIANISCHER ZEITRECHNUNG DIE OKTOBERREVOLUTION IN RUSSLAND. ZU DIESEM ANLASS STELLEN WIR IHNEN DIESES BILD ZUR VERFUEGUNG --- Russia ...
Lenin war bereits in einem schlechten Gesundheitszustand, als die UdSSR gegründet wurde, und er starb etwas mehr als ein Jahr später an einem Schlaganfall.Bild: AP

In einem Brief an Stalin erwähnt er «das Gold, das die Partei für unvermeidliche Reisen von Mitgliedern des Zentralkomitees nach Deutschland ausgibt, die heimlich zum gestrigen Feind reisten, um sich einer medizinischen Behandlung auf höchstem Niveau zu unterziehen».

Zwischen Mai 1922 und 1923 wurde Lenin Opfer mehrerer Schlaganfälle. In der Zwischenzeit wurde er von etwa 15 russischen und deutschen Spezialisten behandelt, während die Macht langsam in die Hände von Stalin, Trotzki, Sinowjew und Bucharin gleitet.

«Lenin scheint Stalin gebeten zu haben, ihm Gift zu besorgen, um sich gegebenenfalls selbst zu töten»
Guillaume Perraultle figaro

Als sich sein Zustand verschlechterte, zögerte das Politbüro nicht, Lenin unter dem Vorwand, ihn vor Überanstrengung zu bewahren, zu isolieren. Besuche und Briefwechsel werden eingestellt. Und als er 1923 nach einem weiteren Schlaganfall aphasisch wurde, weihte man nur die bolschewistischen Kader in das Geheimnis ein. Selbst am Vorabend seines Todes – am 21. Januar 1924 – behauptete die Partei weiterhin, dass er sich weiter erhole.

Stalin und die Angst vor weissen Kitteln

Auch bei Stalin tauchten Gerüchte über seinen sich verschlechternden Gesundheitszustand auf, allerdings erst sehr spät, im Jahr 1953. Stalin wurde in der UdSSR und in den Ländern des Ostblocks als «lebender Gott» angesehen. Er war paranoid, verschanzte sich hinter seinem kleinen Kreis von Getreuen und zögerte nicht, Köpfe rollen zu lassen, wenn jemand eine Verschwörung anzettelte.

Portrait des sowjetischen Staatschefs Josef Stalin, undatierte Aufnahme. Stalin wurde am 6. Dezember 1878 als I. W. Dschugaschwili in Georgien geboren und starb am 5. Maerz 1953 in Moskau. Der sowjeti ...
Josef Stalin.Bild: keystone

Besonders misstrauisch war er gegenüber den Ärzten des Kremls. Er liess 1938 zwei von ihnen zum Tode verurteilen und ab 1950 weitere verhaften, indem er Dossiers anlegte, welche diese wegen Spionage und Terrorismus belasteten. Ab 1952 war er davon überzeugt, dass sein Leibarzt zusammen mit anderen «Weisskitteln» eine Verschwörung gegen ihn plane. Der Grund: die Tatsache, dass Professor Winogradow ihn für «nicht gesund» hielt. Es folgen Verhöre und Folter.

«Stalin liess seine eigene Krankenakte vernichten, nachdem sein persönlicher Arzt verhaftet wurde»
Guillaume Perraultle figaro

Am Abend des 22. März 1953 wurde Stalin von seinen Wachen gefunden, als er bewusstlos auf dem Boden lag und einen heftigen Schlaganfall erlitten hatte. Die Mitarbeiter liessen mehrere Stunden verstreichen, bevor sie Ärzte rufen liessen. Noch als er im Sterben lag, begann der unvermeidliche Kampf um die Nachfolge.

Breschnew und seine hübschen Krankenschwestern

Wie «Le Figaro» ausführlich berichtet, veranschaulicht das Ende von Breschnews Herrschaft noch mehr, wie gut gehütet das Geheimnis der Gesundheit war. Breschnew war 57 Jahre alt, als er an die Macht kam. Er war charismatisch, ein Lebemann, Raucher und Trinker, der sich mit «Barbituraten, Anxiolytika und Schlaftabletten» abmühte. Wie Lenin litt er an Arteriosklerose und verschwand immer häufiger in Kliniken. «Offiziell war jedoch nach grosser sowjetischer Tradition alles in Ordnung», heisst es in «Le Figaro».

West German Chancellor Helmut Schmidt, right, is welcomed by Soviet Party leader Leonid Brezhnev, upon his arrival at the airport in Moscow, Russia on Monday, June 30, 1980 for a two-day official visi ...
Breschnew (links) gemeinsam mit Helmut Schmidt.Bild: AP

Er nahm die Dienste der 25 Jahre jüngeren Krankenschwester Nina Koroviakova in Anspruch. Sie wurde seine Vertraute und er konsultierte sie sogar in politischen Angelegenheiten, sehr zum Missfallen des Politbüros.

«Nach und nach übte Nina einen grossen Einfluss auf den Zaren aus»
Guillaume Perraultle figaro

Am Ende seines Lebens sagte er, dass er eine Pflegerin, «eine junge und attraktive Georgierin mit dem Spitznamen ‹Djuna›», in Anspruch nehmen würde. Doch obwohl der körperliche und geistige Verfall Breschnews offensichtlich war, hielt die Parteiführung bis zu seinem Tod Ende 1982 den Kreml-Chef an der Macht. Die offizielle Propaganda zeigte ihn in guter Gesundheit. Mit gutem Grund: Die Kader zogen einen «geschwächten, sogar etwas lächerlichen Breschnew» dem Risiko einer ungewissen Nachfolge vor.

«Seit Mitte der 1970er Jahre ist das Staatsgeheimnis von Breschnews Krankheit übrigens nur noch ein offenes Geheimnis. Die westliche Presse berichtet offen darüber.»
Guillaume Perraultle figaro

So könnte es Putin wie seinen Vorgängern ergehen: Einige sehen es als unvermeidlich an, dass «wie zur Zeit der Zaren der Herrscher sich weigert, abzudanken, und auf dem Thron stirbt, und das Land darunter leidet», so Perrault deshalb.

(jod)

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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dumpster
29.01.2023 15:06registriert November 2015
Möge ihn der Blitz auf seinem goldenen Klo treffen. Ein heftiger Schlaganfall, Infarkt oder Fenstersturz tut's auch. Hauptsache bald.
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Manudein
29.01.2023 13:06registriert April 2022
"Zwischen Mai 1922 und 1923 wurde Stalin Opfer mehrerer Schlaganfälle" - nein, das war Lenin, nicht Stalin. Stalin erlitt erst 1953 einen Schlaganfall, nach einem ausschweifenden Trinkgelage.
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Martin Baumgartner
29.01.2023 13:06registriert Juni 2022
Wenn die sterblichen Überreste von Lenin aus seinem Mausoleum genommen werden und der Sarg neu ausgekleidet wird, könnten wir davon ausgehen, dass es um Putins Gesundheit nicht so gut steht.
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