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Die zweifelhaften Bemühungen der russischen Soldatenmütter

Die zweifelhaften Bemühungen der russischen Soldatenmütter

Russische Mütter klagen über die schlechte Ausstattung ihrer mobilisierten Söhne. Putins «Spezialoperation» in der Ukraine stellen sie dabei nicht in Frage. Wieso sie vom Staat trotzdem verfolgt werden, zeigt die aktuelle Reportage aus Moskau.
13.12.2022, 11:14
Inna Hartwich, Moskau / ch media
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Olga Zukanowa will ihren einzigen Sohn vor dem Fronteinsatz in der Ukraine bewahren. Der 20-jährige russische Wehrdienstleistende soll zu ihr nach Samara an der Wolga zurückkommen. Schliesslich sei sie «eine gewöhnliche Frau» und «eine normale Mutter», die nicht wolle, dass auf ihr Kind geschossen werde.

Russian Communist Party members and supporters listen to the Soviet anthem as they gather at Pillar Hall of the House of the Unions to mark the 100th anniversary of the USSR's establishment, in M ...
Viele Soldatenmütter wollen die Wiederrichtung der Sowjetunion erreichen - so wie diese Teilnehmerinnen an der Hundertjahrfeier der Kommunistischen Partei, die am vergangenen Wochenende stattfand.Bild: keystone

Dafür hat sie sich mit einigen anderen Frauen quer durch Russland zum «Rat der Mütter und Ehefrauen» zusammengetan. Seit September ziehen sie zu den Militäreinheiten ihrer Söhne und Ehemänner, schreiben Beschwerdebriefe an die Ministerien, fordern ein Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin.

Im gleichen Lager wie die Weltverschwörer

Sie prangern die Missstände bei der Mobilisierung an, verlangen wärmere Stiefel für ihre Söhne, moderne Waffen, bessere Vorbereitung. Jedoch: Die «militärische Spezialoperation», wie der Krieg in der Ukraine in Russland offiziell heisst, stellen sie dabei nicht in Frage.

Ebenso wenig hinterfragen sie, unter welchem Dach sie ihren Zusammenschluss registriert haben. Die «Volksunion für die Wiedergeburt Russlands», dessen Teil der «Rat» nun ist, setzt sich für die Wiedererrichtung der Sowjetunion ein, hetzt gegen die «jüdische Oligarchie», spricht sich gegen die 5G-Mobilfunkmasten und die Covid-Impfungen aus.

Die meisten Frauen, die sich «vom Staat nicht den Mund verbieten lassen wollen», wie sie sagen, begeben sich bewusst und bereitwillig auf den Pfad der Weltverschwörung. Für viele von ihnen ist Putin ein CIA-Agent, der ihr Land «in Namen des Westens» zerstören und «das besondere russische Volk» der «Gier» dieses Westens preisgeben wolle.

epa10361992 Russian President Vladimir Putin during his meeting with Russian Constitutional Court Chairman Valery Zorkin at the Kremlin in Moscow, Russia, 12 December 2022. EPA/MIKHAEL KLIMENTYEV / SP ...
Wladimir Putin wird von manchen vorgeworfen, ein CIA-Agent zu sein.Bild: keystone

Olga Zukanowa, die Wortführerin des Rates, will auf Fragen dazu nicht eingehen. Ein persönliches Interview sagt sie zunächst zu, dann verschiebt sie es wieder, verweist auf Zeitknappheit und vor allem auf das «Ausländische Agenten»-Gesetz, das seit dem 1. Dezember noch verschärft worden ist.

Dadurch ist jeder, der Kenntnisse und Erkenntnisse über die russische Armee an Aussenstehende weitergibt, potenzieller «Agent», weil er dem «Feind» in die Hände spiele. Deshalb lädt sie lediglich zu «Pressekonferenzen» des Rates ein, die alle paar Tage online stattfinden und eine Art Hilfeschrei der Frauen sind. Fragen stellen können die Journalisten dabei nicht.

Verzweifelte Suche nach der Leiche des Sohnes

Nach und nach ergreifen die Mütter und Ehefrauen das Wort und erzählen ihre Geschichte. Da ist Zukanowa selbst, deren Sohn erst im Juni, als Putins «Spezialoperation» bereits Monate andauerte, als Wehrdienstleistender zur Armee ging.

Im Juli folgte der Eid, im August habe der Sohn am Telefon berichtet, man dränge ihn zur Unterschrift als Vertragssoldat. «Wir wollten ihn nicht freikaufen, alles sollte ehrlich ablaufen. Der Staat hat doch versprochen, keine Wehrdienstleistenden an die Front zu schicken.»

FILE - Russian recruits stand waiting to take a train at a railway station in Prudboi, Volgograd region of Russia, Sept. 29, 2022. Since Russian President Vladimir Putin announced his mobilization on  ...
Russische Rekruten in der Region Wolgograd.Bild: keystone

Da ist auch Sinaida Kurbatowa aus der Region Woronesch, dessen Sohn sich gleich nach der Ausrufung der Mobilisierung einziehen liess und bereits acht Tage danach an der Front in der Ukraine umkam. Die Mutter bekam zuerst die Leiche ihres Kindes und Wochen später einen Brief seiner Militäreinheit, in dem es hiess, der Sohn – zu dem Zeitpunkt längst tot – durchlaufe eine Vorbereitung für seinen Kampfeinsatz.

Irina Tschistjakowa aus Petrosawodsk in Karelien berichtet derweil, wie sie seit Monaten alles in Bewegung setze, um ihren Sohn Kirill wiederzufinden. Mehrmals sei sie bereits selbst im Kampfgebiet gewesen, habe etliche Leichen gesehen, ihren «Jungen» aber nicht gefunden. Nun glaubt sie, ihr Sohn sei in ukrainischer Gefangenschaft, überprüfte Informationen gebe ihr niemand.

Die Frauen halten teils ganze Mappen von Schreiben in die Kamera, verlangen nach «Gerechtigkeit». Dem Staat passen ihre Aktionen dennoch nicht. Die Frauen organisieren sich selbst, aus eigenem Antrieb. Unkontrolliertes Engagement aber ist kaum gefragt in Russland. Zukanowa und ihre Mitstreiterinnen werden verfolgt, ihr Einsatz wird derzeit auf «Extremismus» geprüft.

Schuld am ganzen Unglück ist der Westen

Der «Rat der Frauen und Mütter» wiederholt oft das offizielle Narrativ, der Kreml sei vom Westen dazu «gedrängt» worden, die «Spezialoperation» in der Ukraine zu beginnen. Das «aufbegehrende Volk», als das sich die Soldatenmütter sehen, begehrt nicht gegen das Putin-Regime auf und ebenso wenig gegen den Krieg. Es kritisiert lediglich, wie die Mobilisierung ausgeführt wird. Erst dadurch merken sie, wie viel schief läuft in einem System, das sie kaum je hinterfragt haben.

Die Repressionen richteten sich gegen jeden Andersdenkenden, sagen sie erstaunt, die Behörden liessen sie einfach stehen, statt Antworten gebe es Strafen. Die Führung halte die Menschen arm, die Wirtschaft liege darnieder, der Staat habe das Monopol auf Information übernommen und niemand interessiere sich für die individuellen Probleme der Menschen.

Es ist, als ob sie erwachten und merkten, was um sie herum passiert. «Wie kann das sein?», rufen sie, manche weinend, in die Kamera – und haben eine Antwort, die nicht das System Putin kritisiert, sondern die USA, den Westen, die Reichen anprangert.

Sie beten antisemitische Verschwörungstheorien herunter, und niemand von ihnen zuckt auch nur zusammen. Schuld daran, dass die russische Führung ihre Söhne und Ehemänner als Leibeigene des Staates betrachtet, ist nach ihrer Auffassung nicht der russische Staat, sondern der Westen, der dem russischen Staat diktiere, wie er das russische Volk zugrunde richten könne. Offenbar macht der Glaube an das «Grosse Komplott» ihre Verzweiflung erträglicher. (aargauerzeitung.ch)

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Majoras Maske
13.12.2022 13:08registriert Dezember 2016
In Russland ist einfach immer der Westen schuld. Am Fall der Sowjetunion, an der Macht Putins, an Putins Angriff, am Versagen der eigenen Armee... Vermutlich auch noch für den Zaren, Rasputin... So einfach kann man sich das alles machen...
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G. Laube
13.12.2022 11:37registriert April 2020
Kann es sein, dass diese Frauen einfach nur ungebildet sind, oder spielt der IQ auch eine Rolle?
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Gitarrenmensch
13.12.2022 13:02registriert Mai 2021
Sieh an, sieh an, die Soldatenmütter halten Putin für einen CIA-Agenten und schwurbeln sonst alles mögliche an Verschwörungsmythen zusammen.
Kann es sein, dass dem Vladi gerade seine eigene Strategie, zwecks Spaltung Verschwörungsmythen zu verbreiten auf die Füsse fällt?
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