Lange hat es gedauert, aber jetzt ist er da: Der offizielle Bericht des EU-Parlaments zum Verhältnis mit der Schweiz. Auf über dreissig Seiten hat Berichterstatter Lukas Mandl, Abgeordneter der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), eine Auslegeordnung über die vielfältigen Aspekte des bilateralen Konstrukts gemacht. Am Mittwoch wurde der Bericht von der Plenarversammlung in Strassburg mit grosser Mehrheit angenommen.
Er habe sich damals für den Job beworben, weil der abtretende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Abschiedsrede es als eines seiner grössten Versäumnisse bezeichnet hatte, mit der Schweiz keine Einigung erzielt zu haben. Also habe er einen Beitrag zur Besserung leisten wollen, so Mandl, der sich selbst als «Freund der Schweiz» bezeichnete und sich in der Rolle des Vermittlers offensichtlich wohl fühlte.
Jetzt Debatte im @EUparliament über Bericht @lukasmandl Verhältnis 🇨🇭🇪🇺 Interesse, naja, hält sich in Grenzen pic.twitter.com/57RO3Rn2hF
— Remo Hess (@remohess) October 3, 2023
Nun, über zwei Jahre später, muss sich auch beim 44-Jährigen eine gewisse Ernüchterung eingestellt haben. Nicht nur, dass der Neustart der Verhandlungen nach einer langen Sondierungsphase weiter auf sich warten lässt. Auch auf EU-Seite scheint man zunehmend das Interesse an der Schweiz verloren zu haben. Bezeichnend dafür ist die Zahl an EU-Parlamentariern, welche sich überhaupt für die Debatte interessierten. Gerade mal eine Handvoll EU-Volksvertreter verschlug es am Dienstagabend in den Strassburger Plenarsaal zur Debatte, die kurz nach 20 Uhr, zwischen einer Aussprache zum Kosovo und dem EU-Verhältnis zu Usbekistan, angesetzt wurde.
Unter jenen, die das Wort ergriffen, finden sich stets die gleichen Namen, vorderhand aus den Grenzregionen der Nachbarländer. Da wäre der südbadische EU-Abgeordnete Andreas Schwab, mittlerweile so etwas wie ein Schweiz-Experte, der dem Bundesrat mit einem wohlwollenden «Hopp Schwiiz!» Mut zusprach.
Der französische Abgeordnete der Macron-Fraktion, Christophe Grudler, aus der Franche-Comté, der den Schweizern die Vorzüge eines Energieabkommens versuchte schmackhaft zu machen (wohl nicht ohne Hintergedanken an die französischen Atomindustrie).
Der österreichische Sozialdemokrat Andreas Schieder pochte auf die volle Personenfreizügigkeit, wobei er gleichzeitig die Stärkung des Arbeitnehmerschutzes verteidigte. Und dann waren da noch ein paar Versprengte wie die Grüne und deutsch-schweizerische Doppelbürgerin Anna Deparnay-Grunenberg aus Stuttgart («Schweiz-EU, der Beziehungsstatus ist kompliziert») oder der Lega-Abgeordnete Alessandro Panza, der die EU-Kommission vor «Paternalismus» warnte und die Schweizer Souveränität hochhielt.
Inhaltlich bietet der Bericht indes kaum Neuigkeiten. Das EU-Parlament mahnt den Bundesrat insbesondere mit Blick auf die EU-Wahlen im Frühjahr 2024 zur Eile. Es erachtet das Verhältnis als «unausgeglichen» und das Modell der einzelnen bilateralen Abkommen als veraltet. Abgesehen von Nuancen stellt es sich vollumfänglich hinter die EU-Kommission: Neben der dynamischen Rechtsübernahme, der Einhaltung des Entsenderechts beim Arbeitnehmerschutz (Flankierende Massnahmen) sieht auch das EU-Parlament eine verbindliche Rolle des Europäischen Gerichtshof (EuGH) als unverzichtbar bei der Streitschlichtung.
Daneben gibt es aber auch neue Forderungen, die mit dem institutionellen Verhältnis nichts zu tun haben. So fordern die EU-Parlamentarier das Ende des Wiederausfuhrverbots für Waffen zugunsten der Ukraine, die Teilnahme der Schweiz an der sogenannten «Repo»-Taskforce der G7-Länder zur Aufspürung von Russengeldern und die Übernahme der EU-Sanktionen gegen China wegen Verletzung der Menschenrechte.
Das Kapitel Aussen- und Sicherheitspolitik war dem Berichterstatter Lukas Mandl besonders wichtig. Er stellte es gleich zu Anfang an den Bericht, da er gerade hier mehr Luft für konstruktive Zusammenarbeit ausmacht. Und er stellt klar: Hätte die Schweiz die Russlandsanktionen nicht von Anbeginn des Angriffskriegs übernommen, «hätte ich meine Rolle als Chefverhandler zurückgelegt», so der Österreicher. (bzbasel.ch)
Sehr gut. Endlich ist Dampf im Kessel. Alle Forderungen sind berechtigt. Fertig mit Beobachten und Schwurbeln. International machen wir wirklich nicht die beste Falle. Jetzt werden die Schrauben angezogen.