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SRF-Arena zur Elternzeit: «Als die Frauen noch am Kochherd waren?»

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Die SRF-Arena zur Elternzeit: mit Rémy Wyssmann, Kris Vietze, Moderator Sandro Brotz, Corina Gredig und Sarah Wyss. Bild: srf/arena
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«Zu Ihrer Zeit, als die Frauen noch am Kochherd waren?» – «Arena» um Elternzeit eskaliert

Mehr Elternzeit für alle – oder doch lieber weniger, aber flexibler? In der «Arena» von SRF kämpften vier Parteien um das letzte Wort am Wickeltisch.
20.06.2025, 23:0621.06.2025, 09:00
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Die Debatte um die Einführung einer nationalen Elternzeit gewinnt an Fahrt. Mehrere politische Vorstösse fordern eine gemeinsame Elternzeit für Mutter und Vater – mit verlängerter Dauer oder neuer Aufteilung. Das Ziel: mehr Gleichstellung und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Besonders viel Diskussionen löste ein Vorschlag aus dem Nationalrat aus: die heutigen 16 Wochen Elternurlaub – 14 für Mütter, 2 für Väter – sollen nicht verlängert, sondern neu aufgeteilt werden. Acht Wochen sollen als gesetzlicher Mutterschutz reserviert bleiben, die übrigen acht sollen künftig frei zwischen Mutter und Vater verteilt werden können. Ein Vorschlag ohne Mehrkosten, dafür mit viel Konfliktpotenzial.

Wie viel, das zeigte die «Arena» von SRF vom Freitagabend. Gestritten über Verantwortung und Gleichstellung haben sich:

  • Corina Gredig, Nationalrätin GLP/ZH
  • Rémy Wyssmann, Nationalrat SVP/SO
  • Sarah Wyss, Nationalrätin SP/BS
  • Kris Vietze, Nationalrätin FDP/TG

Zwei Vorschläge oder der Status Quo

Der Vorschlag, den die FDP in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates eingebracht hat, tönt verlockend: Eine flexibilisierte Elternzeit ohne Mehrkosten für den Staat. Ja, wenn das nicht der Traum der Liberalen ist.

Doch so sehr die linken Parteien seit der Verkündigung des Vorhabens auf die Barrikaden gehen und es als «perfiden Angriff auf die Gleichstellung» bezeichnen, so wenig interessiert das die FDP. «Wir versuchen, die Emotionen rauszunehmen aus dem Ganzen», sagt dazu die Thurgauer FDP-Nationalrätin Kris Vietze zu Beginn der «Arena».

Ein Argument, das die Stadtbasler SP-Nationalrätin Sarah Wyss «so hässig» macht. Sie kritisiert, dass das mittlerweile mehrheitsfähige Vorhaben einer Elternzeit missbraucht werde, um eine «Abbauvorlage auf dem Rücken der jungen Mütter» zu machen.

Wyss ist aber überzeugt, dass mit der Familienzeit-Initiative, die 18 Wochen für Mütter und 18 Wochen für Väter fordert, eine politische Gegenforderung auf das Parkett komme, welche das Parlament unter Druck setzen werde.

«Abbauvorlage auf dem Rücken der jungen Mütter»: Sarah Wyss.Video: srf/arena

Weder das eine noch das andere will die SVP. «Wir sollten den Status Quo beibehalten», sagt der Solothurner SVP-Nationalrat Rémy Wyssmann, und vergisst dabei die Rolle seiner Partei, als die Kommission mit 15 zu 9 Stimmen das Vorhaben beschloss. Die flexibilisierte Elternzeit lehnt er ab, weil man «gar nicht mehr vorankomme mit allen Revisionen». Und die Familienzeit-Initiative könne man finanziell nicht stemmen – vor allem Kleinbetriebe nicht.

Das Parlament bewegt sich also einmal mehr zwischen Fortschritt, Rückschritt und Gleichstand – nichts Neues soweit. Doch schauen wir genauer an, welche Ziele die Parteien mit ihren Forderungen verfolgen.

Flexible Elternzeit schafft Flexibilität

Den Vorschlag mit der flexiblen Elternzeit verteidigt FDP-Nationalrätin Kris Vietze damit, dass so «ein nationaler Grundstandard geschaffen werde, den sich die Schweiz leisten könne, weil er nichts koste». Was die Kantone oder Firmen dann draufsetzen möchten, sei ihnen überlassen.

Mit der Vorlage werde den Eltern aber «mehr Flexibilität» gegeben – und so würden die Männer mit der Care-Arbeit zum Zug kommen. Denn Vietze ist überzeugt: «Einige Frauen wollen früher zurück zur Arbeit.»

Auch die Zürcher GLP-Nationalrätin Corina Gredig möchte den Eltern mehr Freiheiten geben. Aber nicht, indem man den Müttern schon nach den ersten acht Wochen Zeit wegnehme, um sie den Vätern zu geben.

Was bringt eine flexiblere Elternzeit? Kris Vietze und Corina Gredig. Video: srf/arena

Sie glaubt nicht an Vietzes Argument, dass viele Frauen bereits acht Wochen nach der Geburt wieder arbeiten möchten. In der Realität würden die meisten Frauen mehrere Monate unbezahlten Urlaub nehmen müssen, um sich an die neue Situation zu gewöhnen – psychisch wie physisch. «Elternzeit heisst, dass die jungen Familien auch Zeit brauchen. Die bisherigen 14 Wochen sind dabei das absolute Minimum für die Frauen», sagt sie.

Viel mehr gibt es zu der Wirkung des Vorhabens nicht zu sagen – oder es wird zumindest in der «Arena» nicht gemacht. Für deutlich mehr Gesprächsstoff sorgte, was sich Mitte-Links von der Familienzeit-Initiative erhofft.

Familienzeit-Wunderpille

Je 4,5 Monate bezahlte Elternzeit sollen Mütter und Väter erhalten, fordert die Familienzeit-Initiative. Maximal ein Viertel der Elternzeit soll gleichzeitig von beiden Elternteilen bezogen werden (warum, bleibt übrigens bis zum Schluss der Sendung offen). Und die Initiative sieht eine 100-prozentige Lohnfortzahlung für die niedrigsten Einkommen während der Elternzeit vor. Kostenpunkt: 1,2 bis 2,3 Milliarden Franken.

Doch was soll diese Rieseninvestition bringen, ausser die längsten bezahlten Ferien im Arbeitsleben bis zur wohlverdienten Pensionierung?

GLP-Nationalrätin Corina Gredig erhofft sich einen Anstieg der Geburtenrate – um bis zu 0,2 Kinder pro Frau. Im Jahr 2024 lag die Gesamtfertilitätsrate in der Schweiz mit 1,29 Kindern pro Frau erneut auf einem historischen Tiefstand. «Studien zeigen, dass familienfreundliche Massnahmen wie die Elternzeit die Geburtenrate erhöhen können – wenn auch nicht ins Unermessliche», sagt sie.

SVP-Nationalrat Rémy Wyssmann ist davon unbeeindruckt. Der 58-jährige Politiker sagt: «Zu meiner Zeit hatten wir ohne Elternzeit eine höhere Quote …» Da kommt es aus Sarah Wyss herausgeschossen: «Zu ihrer Zeit, als die Frauen noch am Kochherd waren?» Noch heute sei es so, dass Frauen dreimal so viel Care-Arbeit wie Männer machen würden. Um dies zu ändern, brauche es eine ausgeglichene Elternzeit.

Wyssmann vs. Wyss über die Geburtenquote und Care-Arbeit.Video: srf/arena

Wyssmann geht auf die Care-Arbeit nicht detailliert ein. Stattdessen erwähnt er, dass sich KMUs keine 18-wöchige Elternzeit leisten können – im Gegensatz zu Grossunternehmen und Staatsbetrieben. «Die kleine Wirtschaft wird diskriminiert», sagt er.

Auf den Einwand von Moderator Sandro Brotz, dass der Vize-Präsident des Schweizer KMU-Verbands sich für «eine staatlich geregelte Familienzeit» ausgesprochen hat, um «Frauen schneller und in höherem Pensum zurück in den Arbeitsmarkt» zu führen, sagt Wyssmann salopp: «Die Funktionäre in Bern haben Null Ahnung. Dass er das sagt, ist klar, denn er hat studiert, aber musste nie an der Front (in einem KMU) arbeiten.»

In KMUs gearbeitet hat dafür Corina Gredig. Die GLP-Nationalrätin betont, dass viele Grossunternehmen bereits freiwillig eine bezahlte Elternzeit anbieten. Mit der Initiative würden gleich lange Spiesse geschaffen – zum Vorteil für die Attraktivität der KMUs. Und auch Sarah Wyss betont, dass KMUs durch die Initiative Erwerbsausfallentschädigungen erhalten würden – und so auch den Ausfall finanzieren könnten.

Aber in der Schweiz werde debattiert, als ob 18 Wochen Elternzeit bereits ein Staatsbankrott wären. SP-Nationalrätin Sarah Wyss sagt dazu: «Wir machen einen riesigen Bogen um das Thema, während ganz Europa vorwärtsmacht.»

Womit auch die Bilanz der Sendung gezogen war: Fortschritt? Ja, aber nur, wenn er nichts kostet – oder zu einem späteren Zeitpunkt kommt.

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159 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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dodo, dodo?
20.06.2025 23:22registriert Mai 2020
Arena ist ein TV Format das keine Meinungen bildet.
Keine Diskussion-Kultur.
Alle wüten in ihrem Mist herum. Es wird nicht zugehört. Eine wirkliche Diskussion findet nicht statt. Alle kläffen herum. mir tun die jugendlichen leid die da eingespannt werden.
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Rupolditor Luzius ⸸
20.06.2025 23:26registriert November 2020
Keine Ahnung wie das die Schweden machen. Müssten nach unserer Bürgerlichen Logik schon lange Bankrott sein....
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Firefly
20.06.2025 23:21registriert April 2016
"«Arena» um Elternzeit eskaliert"

Gefühlt scheint gerade alles ein bisschen zu eskalieren. Jeder zwängelet sein Ding durch und alle streiten.
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