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6 Schweizer Polizisten vor Gericht – was George Floyd damit zu tun hat

Des personnes manifestent avant l'ouverture du proces en appel des six policiers lausannois, acquittes en premiere instance dans l'affaire de la mort de Mike Ben Peter, le lundi 1 juillet 20 ...
Vor dem Gericht demonstrierten Aktivistinnen und Aktivisten am Montag für Gerechtigkeit im Fall «Mike».Bild: keystone

6 Schweizer Polizisten vor Gericht – was George Floyd damit zu tun hat

Der Nigerianer Mike Ben Peter verstarb während seiner Verhaftung. Nach Freisprüchen für sechs Lausanner Polizisten startete am Montag der Berufungsprozess – mit zwei neuen Gutachten aus den USA.
02.07.2024, 04:09
Julian Spörri / ch media
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Im Zuge der Black-Lives-Matter-Debatte sorgte der Fall «Mike» schweizweit für Schlagzeilen. Der nigerianische Dealer Mike Ben Peter erlitt 2018 bei einer Polizeiintervention in Lausanne einen Herzstillstand, während ihn Beamte in Handschellen am Boden fixiert hielten. Schnell wurde sein Schicksal mit jenem des Afroamerikaners George Floyd in den USA verglichen, der erstickte, weil ihm ein Polizist neun Minuten lang auf den Hals kniete.

Am Montag startete in Renens VD im Fall «Mike» der Berufungsprozess. Das Lausanner Strafgericht hatte die sechs angeklagten Stadtpolizisten letzten Sommer erstinstanzlich vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Die Familie des Opfers zog das Urteil weiter.

Die Freisprüche erfolgten aus zwei Gründen: Zum einen stellte das Gericht keine Verletzung der Sorgfaltspflichten fest. Eine gefesselte Person in Bauchlage muss zwar so schnell wie möglich in eine andere Position gebracht werden, doch der starke Widerstand des damals 39-jährigen Mike Ben Peter habe dies verunmöglicht.

Zum anderen kam das Gericht mit Verweis auf die beiden offiziellen Gutachten zum Schluss, dass ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen polizeilichen Versäumnissen und dem Todesfall nicht bewiesen sei. Verschiedene Faktoren wie die Stresssituation, das Übergewicht und die Herzrhythmusstörungen des Mannes hätten sein Herzversagen ausgelöst.

Der Anwalt der Opferfamilie, Simon Ntah, kritisierte diese Argumentation am Montag:

«Mike Ben Peter ist durch Polizeigewalt gestorben. Er ist nicht das erste Opfer. Das Urteil der ersten Instanz hat uns gezeigt, dass er auch nicht das letzte sein wird.»
Simon Ntah, avocat de la famille de Mike Ben Peter (gauche), La veuve de Mike Ben Peter, Bridget Efe (2e gauche) et le frere de Mike Ben Peter (droite) arrivent pour ouverture du proces en appel des s ...
Anwalt Simon Ntah mit der Witwe des verstorbenen Mike Ben Peter.Bild: keystone

Bekannter Gutachter wird nicht vorgeladen

Die Familie hat zwei eigene Expertisen bei amerikanischen Professoren eingeholt, darunter der Rechtsmediziner Michael Freeman. Er war einer der Gutachter, die nach dem Tod von George Floyd in den USA für eine Expertise ausgewählt wurden. Die zwei neuen Gutachten kämen zum Schluss, dass Mike Ben Peter wegen der Positionierung in der Bauchlage und der «gewaltsamen Polizeikontrolle» verstorben sei, sagte Ntah. Er rief die Knietritte und den Einsatz von Pfefferspray in Erinnerung.

Der zuständige Staatsanwalt sah dies anders. Keines der Gutachten bestätige, dass der Verstorbene zwangsläufig überlebt hätte, wenn die Bauchlage früher beendet worden wäre, sagte Laurent Maye. Die Anwältin einer der Polizisten, Odile Pelet, lehnte jegliche Anspielungen zum Fall George Floyd ab:

«Wir sind nicht in den USA, sondern in Renens».

Das Kantonsgericht entschied sich, die beiden von der Opferfamilie beauftragten Gutachter nicht vorzuladen. Der Entscheid war absehbar – private Expertisen stossen bei Richterinnen und Richtern generell auf wenig Kredit.

Einen Etappensieg konnte die Opferfamilie trotzdem verbuchen. Auf Antrag ihres Anwalts wird das Gericht den Fall «Mike» neben des Strafbestands der fahrlässigen Tötung auch unter dem Gesichtspunkt des Amtsmissbrauchs unter die Lupe nehmen.

Im Verlauf der Woche halten die Parteien ihre Plädoyers. Das Gericht wird seinen Entscheid nächsten Montag eröffnen. (aargauerzeitung.ch)

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87 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ausgesperrt Aka oh nei!
02.07.2024 06:07registriert April 2024
Ja, soll aufgeklärt werden. Aber generell hat ein Drogendealer wohl auch Menschenleben auf dem Spiel... Er hat sich gewehrt, weil er wohl zünftig Dreck am Stecken hatte und seine Familie probiert es jetzt mit der Rassismusschiene. Es war nicht einfach eine Verkehrskontrolle die übers Ziel Hinausschoß, weil er schwarz war (so verstehe ich den Artikel jedenfalls).
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Naraffer
02.07.2024 06:41registriert März 2014
Ich bin hier klar pro Polizei. Was war die Alternative? Ihn mit Bauschaum fixieren?
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Hadock50
02.07.2024 06:40registriert Juli 2020
Polizisten in der Schweiz haben eine sehr gute Ausbildung, und sicher alles Richtig gemacht.
Der Vergleich mit Polizeigewalt ist daher absurd.
Ich hoffe jeder weiterzug endet mit einem Freispruch für die Polizei.
Die "Opfer" Familie hat zu viel Geld und Zeit....
🙄
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