Belarus wählt – das ist kein Witz, sondern trauriger Ernst. Der Herrscher des osteuropäischen Landes beabsichtigt, sich wiederwählen zu lassen, und das jetzt schon zum sechsten Mal. Seit 1994 ist Alexander Lukaschenko im Amt, damit hält er souverän einen sicheren Platz unter den zehn dienstältesten Diktatoren der Welt, die meisten von ihnen aus Afrika. Die Wahl am kommenden Sonntag hat er vorziehen lassen. Lukaschenko fühlt sich missverstanden und möchte einiges geraderücken, was seine Legitimität betrifft. Zu diesem Zweck hat er sehr viele internationale Wahlbeobachter eingeladen, die bei dieser Wahl eine wichtige Rolle spielen sollen.
Lukaschenko wird von der EU nicht als Präsident anerkannt. Er hatte die Wahlen im August 2020 aller Wahrscheinlichkeit verloren, sich aber durch massive Wahlfälschungen im Amt bestätigen lassen. Gegen die Scheinwahl protestierten über die Monate hinweg Hunderttausende Menschen im ganzen Land. Die wichtigen Kandidatinnen und Kandidaten gegen ihn wurden eingesperrt oder mussten fliehen. 2021 holten seine Sicherheitskräfte zu einem finalen Schlag gegen alle Proteste im Land aus, sperrten Menschen ein, folterten andere, liessen Politiker verschwinden. Seither ist es totenstill im Land, wirkliche Opposition ist nur im Ausland möglich. In Belarus treten bei der Wahl nebst Lukaschenko ein Stalinist, ein regimetreuer Halblinker, ein antieuropäischer Liberaler und eine gewendete Unternehmerin an. Fast alle sprachen sich schon vorauseilend für Lukaschenkos Wiederwahl aus. Wahlkampf auf belarussisch.
Dafür, dass das alles mit rechten Dingen zugeht, sollen nun die eingeladenen internationalen Gäste bürgen. Akkreditiert sind 456 Wahlbeobachter aus 49 Staaten. Das ist eine beeindruckende Zahl, darunter sind auch Wahlbeobachter aus westlichen Staaten. Nur: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die solche Missionen sonst übernimmt, hat Lukaschenko aussperren lassen.
Sein Regime lädt westliche Beobachter lieber gezielt ein, aus Lettland, aus Bulgarien oder aus der Schweiz. Der Basler Grossrat Eric Weber, der Zuger SVP-Kantonsrat Patrik Kretz und der Baselbieter Wilhelm Wyss, ehemaliges Vorstandsmitglied der SVP Münchenstein und Gründer des Vereins Russisch-Schweizerische Freundschaft werden nach Minsk reisen. Der freut sich schon auf die Reise: «Minsk ist eine extrem saubere, gut organisierte Stadt», wo man seine Meinung «frei» äussern könne. Die Schweizer Wahlexperten werden in guter Gesellschaft sein mit ausgewählten Beobachtern aus Simbabwe, der Zentralafrikanischen Republik und anderen Ländern, die auf eine lange demokratische Tradition zurückschauen können. (Vorsicht, Ironie!). Diese Wahlbeobachter sollen nun mit ihrer geballten Reputation die Bestätigung von Alexander Lukaschenko im Amt zertifizieren. So gedenkt der Herrscher, die offensichtlich gefälschte Wahl von 2020 vergessen zu machen.
Für diese Art der autoritären Auswahl von Wahlbeobachtern haben westliche Experten für Wahlbeobachtung einen Namen: Zombie monitoring oder auch Fake observation. Genauso wie die Wahlen eine Show sind, werden solche falschen Wahlbeobachter als Staffage in die Kulissen gestellt. «Wahlbeobachtung ist nicht echt, wenn das gastgebende Regime deine Spesen zahlt und dich zu Potemkinschen Wahlstationen fährt, wo du freiwillig als Werkzeug der Legitimation dienst», sagt Lukasz Kondraciuk von der European Platform for Democratic Elections (EPDE). Und dennoch greift diese Form der Zombie-Wahlbeobachtung um sich.
Russland arbeitet damit schon seit zehn Jahren. Als Putin die ukrainische Krim 2014 erobern und annektieren liess, gab es ein sogenanntes Referendum über den Anschluss an Russland. Damals luden die Russen rechtsextreme Politiker aus Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien ein, um das übereilt und undemokratisch angesetzte Referendum abzusegnen. Bei der Wiederwahl von Wladimir Putin, die im Vorfeld von extremen Repressionen und vielen Verhaftungen begleitet war, lud das russische Regime wieder gezielt Wahlbeobachter ein. Darunter mehrere Landtagsabgeordnete der AfD, von denen eine die Wahl als «offen, demokratisch und frei» rühmte. Das war sogar der AfD zu peinlich, die Abgeordnete wurde aus der Fraktion ausgeschlossen. Aber da hatte sie ihren Dienst für Putin schon erfüllt.
Mithilfe von solchen Leuten möchte nun Lukaschenko zu internationalen Würden kommen. Staatliche Umfragen in Belarus sagen ihm für die Wahl satte 82 Prozent voraus. In den nächsten fünf Jahren dürfte der erst 70-Jährige in der Liga der dienstältesten Diktatoren weiter nach oben rutschen.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.