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«Es wäre schön, wenn auch die SBB Fair-Trade-Kaffee servieren würden»

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Gnankou Ferdine Koye, eine Kakaobäuerin in der Elfenbeinküste.Bild: keystone
Interview

Max-Havelaar-Chef: «Es wäre schön, wenn auch die SBB Fair-Trade-Kaffee servieren würden»

Seit 30 Jahren engagiert sich die Stiftung Fairtrade Max Havelaar für fairen Handel. Geschäftsleiter Renato Isella kritisiert im Interview Nestlé und Lindt – für andere Unternehmen spricht er viel Lob aus.
01.10.2022, 20:4101.10.2022, 20:42
Gabriela Jordan / ch media
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Zu den Fair-Trade-Klassikern zählen Kaffee, Schokolade und Bananen. Doch die Produktpalette ist inzwischen viel breiter und umfasst etwa Sportbälle. Ist der offizielle Ball der WM in Katar Fair-Trade-zertifiziert?
Renato Isella: Der WM-Ball ist kein Fair-Trade-Ball. Fairerweise muss man aber sagen, dass Sportbälle diesbezüglich noch eine sehr geringe Bedeutung haben und nicht unsere Priorität sind. Mit unseren begrenzten Ressourcen fokussieren wir uns auf Produkte, die im Massenmarkt eine grosse Wirkung erzielen können.

«Kein anderes Land kennt ein so breites Fair-Trade-Sortiment wie die Schweiz.»

Fussball ist ein Riesenmarkt. Wäre ein Ball nach Fair-Trade-Standards möglich gewesen, wenn die Fifa auf Ihre Organisation zugegangen wäre?
Theoretisch sicher. Bisher ist das nicht geschehen. Den offiziellen Spielball produziert ja jeweils ein Sponsor, der sich die Rechte dafür sichert – dieses Jahr ist es Adidas. In der Sportwelt Fuss zu fassen, ist generell schwierig, da es dort schon riesige Marketing- und Merchandise-Maschinerien gibt. Aktuell sind wir jedoch mit einem Schweizer Sportklub in Kontakt. Die Idee ist, zum Beispiel Fanartikel aus zertifizierter Baumwolle im Shop des Klubs anzubieten.

Renato Isella ist seit drei Jahren Geschäftsleiter der Max-Havelaar-Stiftung Schweiz mit Sitz in Zürich.
Renato Isella ist seit drei Jahren Geschäftsleiter der Max-Havelaar-Stiftung Schweiz mit Sitz in Zürich.Bild: Severin Jak / Max Havelaar

Wo ist es einfacher, Fuss zu fassen? Wo sehen Sie noch am meisten Potenzial?
Im ganzen sogenannten Out-of-Home-Bereich, also in Restaurants, Cafés und Kantinen. Ebenso in der öffentlichen Beschaffung. Viel Potenzial haben hier bestehende Produkte, die Konsumentinnen und Konsumenten bereits mit Fair Trade verbinden.

In der Schweiz tragen schon etliche Produkte das Fair-Trade-Label, von Früchten über Honig und Nüsse bis hin zu Reis und Rosen. Welche sind am gefragtesten?
Vergangenes Jahr haben Händler mit Fair-Trade-Produkten 925 Millionen Franken umgesetzt. Schokolade ist mit 140 Millionen die grösste Kategorie, dann folgen Bananen mit weit über 100 Millionen und Kaffee mit rund 90 Millionen. Am bedeutendsten bezüglich Marktanteil ist die Banane, denn mehr als jede zweite in der Schweiz gekaufte Banane ist Fair-Trade-zertifiziert.

Wie sieht die Situation in anderen europäischen Ländern aus?
Kein anderes Land kennt ein so breites Fair-Trade-Sortiment wie die Schweiz. Hierzulande gibt es 3300 Artikel unter unserem Label zu kaufen. Im Ausland hat es Kaffee, Schokolade, Bananen und Blumen – dann hört es oft schon auf. Manche Märkte kennen noch zertifizierte Säfte und Tee.

Der Fokus liegt klar auf Lebensmitteln. Weshalb gibt es das Fair-Trade-Label nicht auf anderen Rohstoffen wie Metallen, Textilien oder Holz?
Das wäre sicher hochrelevant, für unsere Organisation aber leider zu komplex und zu aufwendig. In der Schweiz zählen wir nicht einmal 30 Vollzeitstellen. Weltweit liegt der Fokus von Fairtrade auf Rohstoffen aus dem globalen Süden. Tropisches Holz wäre also denkbar. In unserem Absatzmarkt spielt dieses aber eine marginale Rolle. Und zertifizierte Textilien, respektive Baumwolle, gibt es. Gerade unsere Kollegen in Deutschland sind dort sehr stark. Gleichwohl könnte man sicher noch viel mehr tun, sowohl im Anbau als auch in der Verarbeitung sind die Bedingungen noch immer prekär.

«Es zeigt sich langsam, dass Fair-Trade-Gold gefragt ist und sogar geldgenerierend für das Gesamtsystem sein könnte.»

Ein Edelmetall gibt es allerdings bereits zu Fair-Trade-Standards: Gold. Juweliere verkaufen zum Beispiel Fair-Trade-Eheringe. Eine Erfolgsstory?
Das Projekt Gold ist allmählich in trockenen Tüchern. Goldprodukte wie Schmuck oder Goldvreneli kommen nun aus zertifizierten Goldminen, die kontrolliert werden. Die Zürcher Kantonalbank hat dort grosse Pionierarbeit geleistet. Seit neuestem ist auch die Basler Kantonalbank mit einem Fonds mit an Bord. Das Ganze ist eine Riesennummer. Es bedingte mehrjähriger Aufbauarbeiten, um das Angebot und die Nachfrage in Einklang zu bringen.

Etwas Neues in dieser Dimension ist also gerade nicht vorgesehen?
Nein, aktuell nicht. Plus: Jedes neue Produkt muss von der internationalen Dachorganisation bewilligt werden. Bei der Lancierung von Fair-Trade-Gold war die Skepsis im Fair-Trade-System anfänglich sehr gross. Erst jetzt zeigt sich langsam, dass Fair-Trade-Gold gefragt ist und sogar geldgenerierend für das Gesamtsystem sein könnte.

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Jede zweite in der Schweiz verkaufte Banane wird fair gehandelt. Der Umsatz mit Max-Havelaar-Bananen beläuft sich auf 100 Millionen Franken.Bild: keystone

In der Schweiz wimmelt es inzwischen von Labeln. Wie wichtig ist das Fair-Trade-Label eigentlich noch?
Unser Label geniesst in der Schweizer Bevölkerung eine sehr hohe Bekanntheit. Neun von zehn Personen kennen Fairtrade Max Havelaar. Der Vertrauenswert ist ähnlich hoch – das Label steht für einen sehr hohen sozialen Standard. Die vielen Bio-Label auf dem Markt sehen wir nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung.

Die Umweltauflagen sind bei Max Havelaar weniger streng.
Rund die Hälfte unseres Sortiments ist sowohl Bio als auch Fair-Trade-zertifiziert. Es gibt bereits eine gewisse Verschmelzung. Dennoch sind wir natürlich kein Öko-Label. Themen wie Umweltschutz, Klima, Wassermanagement oder Kinderarbeit gehen aber immer Hand in Hand mit sozialer Nachhaltigkeit. Vernünftige Löhne, Know-how, faire Arbeitszeiten, Arbeitsverträge oder Gesundheitsschutz sind entscheidend für die gesamte Entwicklung.

«Die Grossverteiler machen ihren Job sehr gut, viele Hersteller, sprich Marken, aber noch nicht.»

Stichwort Löhne: Sind die unter dem Fair-Trade-Label gezahlten Preise an die Bauern denn fair? Oder einfach weniger unfair?
Offen gesagt: Selbst Fair-Trade-zertifiziert heisst für den Bauern nicht zwingend, dass er vernünftig davon leben kann. Der von Fairtrade definierte Mindestpreis ist aber immerhin höher als anderswo. Zusätzlich kommt für den Bauern eine Prämie dazu sowie Projekte und Programme, die von unseren Lizenzpartnern – also etwa Coop, Migros und Nespresso – durchgeführt werden.

Wie viel mehr wird den Kleinbauern gezahlt? Ein Beispiel bitte.
Das kommt stark auf das Produkt an. Bei Kaffee liegt unser Mindestpreis für ein Pfund bei 1.40 US-Dollar und unsere Prämie bei 20 Cents. Aktuell kommt der Mindestpreis aber gar nicht zum Zug, weil der Weltmarktpreis bei 2 Dollar ist. In diesem Fall sind es also nur 10 Prozent mehr. In anderen Fällen kann es aber auch bis zu 65 Prozent mehr sein. Im Durchschnitt sind es etwa 15 Prozent.

Coop, Migros und Nespresso haben sie als Partner schon genannt. Welche wünschen Sie sich hierzulande noch?
Es ist erfreulich, dass selbst Discounter Fair-Trade-Produkte im Sortiment führen. Die Grossverteiler machen ihren Job sehr gut, viele Hersteller, sprich Marken, aber noch nicht. Allen voran bei den Hauptprodukten Kaffee und Schokolade gibt es noch sehr viel Luft nach oben. Unser Marktanteil liegt dort bei gerade mal 15 Prozent, bei Bananen sind es über 50 Prozent. Hätten wir etwa Lindt oder Nestlé bei Schokolade als Partner, könnten wir viel bewegen. Dann wäre es auch schön, wenn zum Beispiel die SBB einen Fair-Trade-Kaffee anbieten würden. Die Deutsche Bahn macht das schon.

Warum sträuben sich diese Firmen gegen eine Zusammenarbeit?
Gerade grosse Unternehmen haben häufig ihre eigenen Systeme, um Nachhaltigkeit zu fördern. Nestlé engagiert sich im Kakao-Bereich zum Beispiel im Rahmen seines Nestlé Cocoa Plan. Als Konsument kann man aber nicht wissen, wie gut das Programm ist.

Ist es gut?
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, erreicht aber nie unsere Standards. Die ganze Markenindustrie ist noch sehr defensiv und uneinsichtig, hier sehe ich deshalb riesiges Potenzial. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. Manchen Firmen stehen wir immerhin heute schon mit Know-how zur Seite, wenn sie ihre eigenen Konzepte verfolgen wollen und sich nicht in Abhängigkeit von einem Label, wie wir es sind, begeben wollen. Das würde sie zusätzlich etwas kosten. Wir finanzieren uns primär über solche Lizenzgebühren und nicht über private Spenden.

NGOs werden jeweils anhand der Höhe ihres Verwaltungsaufwandes bewertet. Das Spektrum reicht von 5 bis 40 Prozent. Wie effizient ist Max Havelaar?
Administration und Infrastruktur machen bei uns 10 Prozent aus. Dann kommt es darauf an, was man noch zum Verwaltungsaufwand dazu zählt. Marketing und Kommunikation schlagen mit 16 Prozent zu Buche, wir verstehen diesen Bereich aber nicht als Verwaltung, weil Sensibilisierungsarbeit eine unserer Hauptaufgaben ist. Im Vergleich zu spendenfinanzierten NGOs gibt es bei uns ausserdem zwei Geldflüsse – die Lizenzgebühren sowie die gezahlten Gelder für die Rohstoffe. Letztere fliessen von Händlern direkt an Hersteller im Süden, dieses Geld erscheint also gar nie in unserer Bilanz.

«Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.»

Wegen der Inflation, höheren Heizkosten und Prämien könnte sich die Konsumentenstimmung in der Schweiz deutlich verschlechtern. Erwarten Sie einen Einbruch der Nachfrage auf die in der Regel teureren Fair-Trade-Produkte?
Bisher spüren wir diese Entwicklung im Absatz nicht. Es kann aber sein, dass es im Winter einen Dämpfer geben wird. Allerdings haben wir in den Coronajahren eher profitiert, weil wir anteilsmässig stärker in den Supermärkten vertreten sind. Insofern wäre ein Rückgang auch eine Annäherung an die Vor-Coronazeit.

Ihr viertes Jahr als Geschäftsleiter von Max Havelaar läuft bald an. Was ist Ihr grösstes Ziel?
«Fairtrade must be the new normal.» Wenn wir es schaffen, dass es selbstverständlich ist, Fair-Trade-Produkte zu kaufen, haben wir sehr viel erreicht. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Unsere internationale Strategie hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 existenzsichernde Einkommen zu erreichen. In der Schweiz sind wir hierbei Vorkämpfer und auf einem guten Weg.

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