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Dänemarks Kehrtwende: Christen sind willkommen – Muslime aber nicht

Dänemarks Kehrtwende: Christen sind willkommen – Muslime aber nicht

Eigentlich fährt Dänemark eine knallharte Politik gegenüber Flüchtlingen – doch es gibt Ausnahmen: Ukrainer werden mit offenen Armen empfangen. Ein plötzlicher Sinneswandel?
21.03.2022, 08:44
Sonja Eichert / t-online
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epa09827046 Ukranian refugees stand in line to be handed out pocket money in Center Dokkedal in northern Jutland, Denmark, 15 March 2022. Almost 200 persons from Ukraine arrived at the Center Dokkedal ...
Ukrainische Flüchtlinge in JutlandBild: keystone
Ein Artikel von
t-online

Null Asylsuchende im Land – das erklärte Dänemarks sozialdemokratische Premierministerin Mette Frederiksen Anfang 2021 zum Ziel ihrer Regierung. Seit dem Ukraine -Krieg ist davon nicht mehr viel zu hören – zumindest nicht, solange es um ukrainische Flüchtlinge geht. Doch warum ist die aktuelle dänische Migrationspolitik derart widersprüchlich?

Mehr als drei Wochen ist es her, dass Russland in die Ukraine einmarschierte und so einen Krieg begann, der bereits mehr als 3.1 Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat. Die meisten bleiben in den Nachbarländern, vor allem in Polen. Doch einige reisen weiter, zum Beispiel nach Deutschland oder nach Dänemark . Dabei hat das Land mit die härteste Asylpolitik in der EU – besser: hatte, denn für die Ukrainer legt die Regierung eine beispiellose Kehrtwende hin.

Sondergesetz mit Haken

So erhalten Ukrainer seit Donnerstag ohne Visum oder Asylantrag eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis: Damit dürfen sie arbeiten gehen, ihre Kinder können Schulen und Kindergärten besuchen. Das regelt ein Sondergesetz, das vom Parlament im Eilverfahren am Mittwoch mit breiter Mehrheit beschlossen wurde.

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Doch es gibt Einschränkungen, erklärt die Politikwissenschaftlerin Carolin Hjort Rapp: «Laut Beschreibung soll das Gesetz eigentlich alle Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, umfassen. Jedoch ist es so, dass ein biometrischer, ukrainischer Pass gebraucht wird.» Wer den nicht hat, muss einen anderen Weg gehen, zum Beispiel den konventionellen Weg über einen Asylantrag.

Von «einer ist einer zu viel» auf mindestens 20'000

Allein auf diesem Weg rechnet Ausländer- und Integrationsminister Mattias Tesfaye mit mindestens 20'000 asylsuchenden Ukrainern. Noch Anfang des vergangenen Jahres sprach Tesfaye im Interview mit der Zeitung «Politiken» davon, dass 6'000 Asylsuchende im Jahr «viel zu viele» seien. Tatsächlich sei ihm schon ein Asylsuchender, der seinen Antrag an der Grenze stellt, «einer zu viel».

Diesmal erklärt der Minister: «Wenn es in der Nachbarschaft Dänemarks Krieg gibt, haben wir natürlich eine grosse Verantwortung zu helfen.» Die dänische Tür stehe offen, man sei bereit, zu helfen.

Ihm kommt ebenso wie Premierministerin Frederiksen zugute, dass die meisten der ankommenden Ukrainer in Dänemark wohl über das Sondergesetz einreisen und somit rechtlich nicht als Asylsuchende gelten werden – sonst wären es wohl noch deutlich mehr als die 20'000.

Bisher haben nur knapp 2'000 Ukrainer in Dänemark Asyl beantragt, wie aus den Zahlen der dänischen Ausländerverwaltungsbehörde hervor geht.  Wie viele Ukrainer bisher insgesamt in Dänemark angekommen sind, ist nicht bekannt, denn bereits seit 2017 können sich Ukrainer ohne Visum 90 Tage in Dänemark aufhalten.

Abschreckung aus Prinzip – eigentlich

Eigentlich gilt Abschreckung nach wie vor als oberste Maxime der dänischen Asylpolitik: Erst im Sommer verabschiedete das dänische Parlament ein Gesetz, das Asylzentren in Drittländer verlagern soll. Während der Bearbeitung ihrer Anträge müssen Bewerber dort warten und dürfen nicht nach Dänemark einreisen. Auch nach Genehmigung des Asylantrags soll das Ziel sein, dass die Migranten nicht nach Dänemark kommen. Es hagelte Kritik von der EU und den Vereinten Nationen. Schon jetzt werden Unterbringungszentren für Asylsuchende in Dänemark von Beobachtern mit Gefängnissen verglichen. 

 Bereits seit Jahren müssen Flüchtlinge hohen Anforderungen bei Sprache und Gesellschaftskenntnissen gerecht werden, Wertvolles wie Schmuck oder höhere Bargeldsummen bei der Ankunft abgeben. Begründet wird dieser Kurs mit dem hohen Integrationsaufwand für das kleine Land mit nur rund 5.8 Millionen Einwohnern. Immer wieder für Schlagzeilen sorgt das sogenannte Ghetto-Gesetz, nach dem in bestimmten Wohngegenden Sozialwohnungen abgerissen werden dürfen, wenn der Anteil von Menschen «nicht-westlicher» Herkunft zu hoch ist und bestimmte sozioökonomische Kennwerte, zum Beispiel zu Arbeitslosigkeit und Kriminalität, überschritten werden. Im vergangenen Jahr wurde dieses Gesetz noch einmal verschärft. 

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Zudem war Dänemark das erste Land in der EU, das geflüchteten Syrern im vergangenen Jahr die Aufenthaltserlaubnis entzog – obwohl dort noch immer Krieg herrscht . Die Region um die Hauptstadt Damaskus sei sicher, so die Begründung der Regierung.

Was diesmal anders ist

Auch diesmal sieht Integrationsminister Tesfaye eine grosse Herausforderung: «Ich glaube nicht, dass die dänische Gesellschaft erkannt hat, welch grosse Integrationsaufgabe vor uns liegt», sagte er dem Fernsehsender TV2. Doch nun scheint die Regierung auch willens, diese Herausforderung anzunehmen.

Migrationsexpertin Rapp erklärt, wieso: «Es gibt bei den Ukrainern nicht die Befürchtung, dass sie die dänische Kultur und die liberalen Werte bedrohen. Die Dänen denken, die ukrainische Kultur sei ähnlich, auch wegen ihrer christlichen Werte. Das sehen sie bei anderen Herkunftsländern nicht so.»

Recht gibt ihr ein Facebook-Post der ehemaligen Ausländer- und Integrationsministerin Inger Støjberg. Sie galt in der Vorgängerregierung unter Lars Løkke Rasmussen als Hardlinerin in Migrationsfragen. Nun schreibt sie, die Dänen sollten sich eingestehen, dass sie lieber ukrainischen Flüchtlingen helfen als Somaliern oder Palästinensern.

«Niemand wagt es, die Dinge so zu benennen, wie sie sind: Das liegt daran, dass die Ukrainer uns ähnlicher sind und dass sie hauptsächlich Christen sind. (…) Die Ukraine als Nachbarschaft zu bezeichnen, ist geografisch gesehen eine Unterstellung. Wir leben eher in der Nähe des Krieges in der Ukraine», schreibt sie in ihren Ausführungen.

«Nicht-westlich» oder muslimisch?

Theoretisch zählt auch die Ukraine zu den «nicht-westlichen» Ländern, die mit dem Ghetto-Gesetz in den Fokus gerückt sind. Doch die Praxis ist eine andere, so Rapp: «Die Unterscheidung ist eigentlich eher: Demokratisch und nicht-demokratisch oder, streng genommen, kulturelle Nähe und kulturelle Ferne, was man auch auf die Religion zurückführen kann.»

Vor allem der Islam scheint dabei eine Rolle zu spielen: Im Januar 2021 sagte Integrationsminister Tesfaye der Zeitung «Jyllands-Posten»: «Der Islam muss sich Dänemark anpassen.» Dafür wolle er mit einer Reihe von Gesetzen sorgen.

Das dänische Innenministerium hingegen dementierte derartige Erklärungen gegenüber der Deutschen Welle: Die Unterscheidung zwischen «westlich» und «nicht-westlich» habe nichts mit dem politischen System, der Religion, Wirtschaft oder Kultur des betreffenden Landes zu tun, liess es offiziell verlauten.

Bevorzugung auf der einen, Diskriminierung auf der anderen Seite

Fakt ist jedoch: «Es gibt eine Bevorzugung von Menschen, die einem kulturell näher sind, mit denen man sich besser identifizieren kann. Auf der anderen Seite findet Diskriminierung von Menschen statt, mit denen es weniger kulturelle Gemeinsamkeiten gibt, und die Angst vor dem Verlust liberaler Werte grösser ist», so die Politikwissenschaftlerin Rapp.

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Das zeige sich im aktuellen Kurs der dänischen Regierung: Harte Flüchtlingspolitik auf der einen, Willkommenspolitik für geflohene Ukrainer auf der anderen Seite. «Dänemark möchte genauso handeln wie andere Länder und so viel helfen wie möglich. Und sich dabei aber nicht gegen die eigene Politik der letzten Jahre stellen.» So kommt es zur Sonderbehandlung ukrainischer Flüchtlinge, die von einer breiten Zustimmung in der Bevölkerung getragen wird.

Dänemark hat eine Sonderstellung in der EU: Dank sogenannter Vorbehalte muss die sich dänische Regierung in bestimmten Politikfeldern nicht an EU-Beschlüsse halten. Das betrifft Währungsunion, die Justiz- und Innenpolitik, die Sicherheitspolitik und die Unionsbürgerschaft. Dadurch kann Dänemark auch bei der Asylpolitik vom EU-Kurs abweichen.

«Aber die Frage ist, ob es einen Langzeiteffekt gibt», gibt Rapp zu bedenken. Es könne sein, dass sich die Einstellungen gegenüber Migranten wieder ändern, sollte es Probleme mit den ankommenden Geflüchteten geben oder wenn sich die Lage in der Ukraine wieder beruhigt.

Dann könnte sich die harte Migrationspolitik der dänischen Regierung auch schnell gegen die ukrainischen Kriegsflüchtlinge wenden.

Quellen:

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234 Kommentare
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Paedu87
21.03.2022 08:52registriert Juni 2017
Ich weiss ja nicht ob es uns in der Schweiz zusteht, die Asylpolitik anderer Länder zu kritisieren... Und wenn wir ehrlich sind, wäre das Gesetz der Dänen vermutlich auch in der Schweiz Mehrheitsfähig. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, muss jeder für sich selber entscheiden.
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Butzdi
21.03.2022 09:03registriert April 2016
Es gibt halt objektiv einen grossen Unterschied zwischen ukrainischen und anderen Flüchtlingen: es sind effektiv Frauen, Kinder und Alte und die werden wieder zurückgehen wenn der Krieg vorbei ist. Die Männer bleiben im Land und kämpfen für ihre Heimat. DAS ist einer der Hauptgründe, weshalb geholfen wird.
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Ökonometriker
21.03.2022 09:12registriert Januar 2017
Liegt es an der Religion?
Oder liegt es daran, dass aus den einen Ländern vornehmlich junge Männer kamen die statistisch signifikant öfters Straftaten begangen, während aus der Ukraine vornehmlich Frauen und Kinder flüchten, während die Männer tapfer für ihr Land kämpfen (müssen)?
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