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Ukraine

Live-Rede: Ukraine-Präsident Selenskyj kritisiert Nestlé und Oligarchen

Präsident der Ukraine knöpft sich in Schweizer Rede Oligarchen vor – und Nestlé

Wolodymyr Selenskyj wurde live zur Solidaritäts-Demo in Bern zugeschaltet. Von der Schweiz forderte er noch mehr Engagement.
19.03.2022, 15:1620.03.2022, 18:02
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An einer Kundgebung auf dem Berner Bundesplatz haben am Samstag mehrere Tausend Menschen, darunter viele Ukrainerinnen und Ukrainer, den Worten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gelauscht.

Der Auftritt

«We are one», «wir gehören alle zusammen», skandierte die Menge, als Selenskyj aus Kiew zugeschaltet wurde. Aufgrund technischer Probleme war der ukrainische Präsident nicht auf der Grossleinwand zu sehen, sondern nur zu hören.

Selenskyj im Video:

Die Menschen jubelten, als Selenskyj zu hören war, und der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis begrüsste «Mr. President» herzlich und duzte ihn gleich. «Hier auf dem Bundesplatz in Bern sind mehrere Tausend Menschen, lieber Wolodymyr», sagte Cassis. «Sie alle wollen dir zeigen, dass dein Volk nicht alleine ist.»

In der simultan übersetzten Rede sagte Selenskyj: «Die Schweiz hat eine lange Geschichte des Friedens und des Einflusses auf andere Staaten.» Er sei selber oft in der Schweiz gewesen und wisse, wie die Leute hier leben. Dann fügte er an:

«Ich wünsche mir, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer genauso leben können wie die Schweizer.»
Wolodimir Selenskyj

Das sagte Selenskyj

«Wir sind dankbar, dass Sie uns unterstützen und nicht abseits stehen», sagte Selenskyj. Er kritisierte aber, dass Schweizer Unternehmen weiterhin Geschäfte in Russland tätigen.

Der Slogan von Nestlé, einer Schweizer Firma, laute «gutes Essen, gutes Leben», sagte Selenskyj. Und dieses Unternehmen wolle Russland nicht verlassen. «Geschäfte in Russland funktionieren, obwohl unsere Kinder sterben und unsere Städte zerstört werden.»

Dass die Schweiz sich gegen den Krieg stelle und auch Sanktionen mittrage, begrüsste Selenskyj. Wenn im 21. Jahrhundert mitten in Europa hunderte Bomben fallen, dürfe man nicht einfach nur zuschauen.

Er forderte, dass die Schweiz noch mehr tue – wenn das Geld von Oligarchen bei den Banken eingefroren würde und ihnen deren Privilegien genommen würden, sei das auch ein Kampf gegen das Böse.

«Auf Ihren Banken liegen die Gelder der Menschen, die diesen Krieg entfesselt haben. Helfen Sie, dies zu bekämpfen. Damit ihre Gelder eingefroren werden. Das ist auch ein Kampf gegen das Böse. Diese Menschen geniessen auch Privilegien in Ihren Städten, Ihren Immobilien. Es wäre gut, ihnen diese Privilegien zu entziehen.»
Wolodymyr Selenskyj

Schliesslich dankte er der Schweiz erneut und verabschiedete sich unter tosendem Applaus des Publikums.

Nestlé wehrt sich
Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé wehrt sich gegen die von Wolodymyr Selenskyj geäusserte Kritik, wie die Boulevardzeitung «Blick» schreibt.

Das Unternehmen habe die Tätigkeiten in Russland stark reduziert, sagte ein Sprecher am Samstag. Und: «Wir haben sämtliche Importe und Exporte aus Russland gestoppt, ausser bei lebenswichtigen Produkten.» Darüber hinaus würde Nestlé keine Investitionen in Russland mehr tätigen und verzichte auf Werbung.

«Wir erzielen mit unseren verbleibenden Tätigkeiten keinen Gewinn», wird der Nestlé-Sprecher von «Blick» zitiert. «Dass wir wie andere Lebensmittelfirmen die Bevölkerung mit wichtigen Lebensmitteln versorgen, heisst nicht, dass wir einfach weitermachen wie vorher.»

Das sagte Bundespräsident Cassis

«Wir fühlen mit, wenn das Leid dein Land trifft», sagte Bundespräsident Ignazio Cassis zum live zugeschalteten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Und: Er freue sich, die Stimme Selenskyjs zu hören.

«Mehrere Tausend Menschen sind hier, die zeigen wollen, dass dein Volk nicht alleine ist.»
Ignazio Cassis

Es seien Schweizerinnen und Schweizer, Menschen aus der ganzen Welt und viele ukrainische Landsleute, die hier Aufnahme gefunden hätten, sagte der Politiker.

Die Menschen seien zutiefst beeindruckt vom Mut des ukrainischen Volkes, wie es für Demokratie und Freiheit kämpfe. Beeindruckt sei man auch von der Entschlossenheit, wie es gegen Unterdrückung aufstehe und Grundwerte der freien Welt verteidige, die auch Werte der Schweiz seien.

Die Schweiz verbinde Neutralität mit humanitärer Tradition, sagte Cassis weiter. Sie sei ein kleines Land, das entschieden für Freiheit einstehe. Sie sei bereit, im Hintergrund zu vermitteln oder Gastgeberin für Verhandlungen zu sein.

«Wir stehen hier aus Respekt vor der Ukraine, in der Hoffnung, dass Waffen schnell wieder schweigen», so Cassis. Er forderte, dass sich sofort humanitäre Korridore öffnen. Auch wolle die Schweiz helfen, wenn aus Zerstörung wieder Aufbau werde. Cassis wird am Montag nach Polen und Moldawien reisen. Dort will er sich aus erster Hand über die Lage der Flüchtlinge und über die humanitäre Hilfe der Schweiz informieren.

Cassis zeigte sich nach der Selenskyj-Ansprache tief berührt:

Das war auch noch los

Die Veranstaltung auf dem Bundesplatz hatte um 15 Uhr offiziell begonnen. Sie stand unter dem Motto «Solidarität mit der Ukraine. Stoppt den Krieg jetzt!».

Zu Beginn der Demonstration war der Bundesplatz bereits gut gefüllt. «Was in der Ukraine geschieht, kann überall passieren», riefen die Organisatoren der Menge zu. Und:

«We are all one!»

«Heute ist der 25. Tag unseres Kampfes für die Freiheit der Ukraine und der ganzen restlichen Welt», sagte der ukrainische Botschafter in der Schweiz, Artem Rybchenko. «Ich danke dem Schweizer Volk und allen Politikern für die Solidarität.»

«Krieg gehört nicht zu unserer Welt», sagte auch der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried in seiner Rede an die Demonstrierenden und die Bevölkerung in der Ukraine. Putin und seine Schergen hätten diesen Krieg vom Zaun gerissen, sagte der Berner Stadtpräsident. «Und es ist auch bereits klar, wer ihn verlieren wird», sagte er an die Adresse des russischen Präsidenten. Putin habe das russische Volk dabei als Geisel genommen.

Bereits an den vergangenen drei Samstagen haben unter anderem in Bern jeweils Kundgebungen mit 10'000 bis 20'000 Personen gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine stattgefunden. In Zürich gingen teilweise sogar bis zu 40'000 Menschen gegen den Krieg auf die Strasse. Alle Kundgebungen in der Schweiz sind bislang friedlich verlaufen.

Mit Material der Nachrichtenagentur SDA

(dsc / aargauerzeitung.ch)

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63 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mondblüemli
19.03.2022 16:18registriert Oktober 2021
Ist es Zufall, dass er in den andern Ländern „nur“ zu den Parlamenten sprach, in der Schweiz aber zum Volk? Er weiss wohl, woher der Druck auf die Politiker kommt…
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Rivka
19.03.2022 16:33registriert April 2021
Ehrlich gesagt interessieren mich die heuchlerischen Aussagen, der Schweizer Politiker nicht. Mittlerweile weiss jeder, dass russische Oligarchen und ihre Familien bei uns in der Schweiz ein 'Schoggileben' führen. Und was macht der Bund dagegen? Nur halbherzige Sanktionen. Man muss es diesen Putinisten unmöglich machen, ihr Leben in Europa zu geniessen. Alle, die den Möchtegern-Zaren huldigen, müssen nach Russland abgeschoben werden. Sie müssen den Preis dafür bezahlen, dass diesen brutalen Mi**kerl unterstützt haben.
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Sir Konterbier
19.03.2022 16:34registriert April 2017
Bei allem Respekt für diese Demo, deren Forderungen zu 100% legitim sind, aber einige Redner scheinen immernoch zu glauben dass man Putin mit Friedensdemos aufhalten kann. In was für einer Welt leben diese Leute? Es braucht jetzt harte Wirtschaftssanktionen, Waffen und humanitäre Hilfe.
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