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Südafrika kämpft gegen Omikron – und das Sündenbock-Image

Südafrika kämpft gegen Omikron – und das Sündenbock-Image

Erneut haben südafrikanische Wissenschaftler eine Corona-Variante entdeckt. Was die technologische Stärke beweist, macht dem Land jedoch zu schaffen: Die internationale Isolation zerstört mal wieder die Tourismussaison.
02.12.2021, 19:1804.12.2021, 18:54
Wolfgang Drechsler, Kapstadt / t-online
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A pedestrian wears a mak as they pass a mural in London, Tuesday, Nov. 30, 2021. With the emergence of the omicron variant the British government are requiring people to wear masks in shops and on pub ...
Südafrika kämpft gegen das schlechte ImageBild: keystone
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t-online

Als grosser Redner wird Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa sicherlich nicht mehr in die Geschichte eingehen. Echte Emotionen sucht man in seinen Reden zumeist vergeblich. Umso verblüffender war es, als der 69-Jährige in seiner jüngsten Fernsehansprache an die Nation doch die sonst so monotone Stimme erhob. Er sei «tief enttäuscht» angesichts der Reisebeschränkungen, die von immer mehr Ländern gegen sein Land verhängt worden seien. Alle verstiessen gegen die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), empörte sich der Staatschef. Der einzige Effekt des Reiseverbots sei, dass es den betroffenen Ländern die Möglichkeit nehme, angemessen auf die Pandemie zu reagieren und sich am Ende auch von ihr zu erholen.

Ramaphosa ist mit seiner Empörung nicht allein. Vielerorts am Kap reagierten die Menschen ähnlich entsetzt auf die plötzliche und so weitreichende Abschottung ihres Landes und acht weiterer Nachbarstaaten. Fast alle sind erbost darüber, dass Südafrika für seine aussergewöhnliche Fähigkeit und Offenheit bestraft wird, neue Virusvarianten schnell zu sequenzieren, also aufzuspüren. 

Nach Einschränkungen folgte Lob

Das Wissen dafür haben Südafrikas Wissenschaftler und Laboratorien im jahrelangen Kampf des Landes gegen die Aids- und Tuberkulose-Epidemien aufgebaut – und profitieren nun im Kampf gegen das Coronavirus und seine Mutationen davon. Schon im letzten Jahr war es Südafrikas Forschern gelungen, die Beta-Variante zu identifizieren, was zu einer ähnlichen Isolation des Landes wie jetzt führte – und die Sommersaison für die Tourismusindustrie ruinierte.

epa09618910 South African President Cyril Ramaphosa aboard a boat during a visit to the Autonomous Port in Abidjan, Ivory Coast, 03 December 2021. South African President Cyril Ramaphosa arrived in Ab ...
Cyril Ramaphosa.Bild: keystone

Eigentlich hätte Präsident Ramaphosa diese technologische Stärke des Landes viel eher betonen können. Als er das am Sonntag schliesslich tat, war es zu spät, weil Südafrika weltweit längst als der dunkle Ort galt, aus dem schlimme Mutanten kommen. Auch das hohe Lob der Weltgesundheitsorganisation WHO und von Gesundheitsminister Jens Spahn für Südafrikas Offenheit kam zu spät.

Zahlen blieben zuletzt niedrig

Wie auch eine Pressekonferenz der Regierung am Montag, auf der all jene eher beruhigenden Dinge über die Omikron-Variante gesagt wurden, die Politik und Wissenschaft zur überstürzten Bekanntgabe der Mutation ein paar Tage zuvor hätten erwähnen sollen. Denn nun geht das Spiel mit den roten Listen und den damit verbundenen Auflagen für Reisende aus dem südlichen Afrika von Neuem los.

Dabei sind bislang noch erst vergleichsweise wenige Fälle der neuen Mutation bekannt. Das liegt auch daran, dass die Zahlen am Kap bis Mitte November extrem niedrig waren, um dann im Grossraum Johannesburg - Pretoria (Provinz Gauteng), dem Wirtschaftszentrum des Landes, plötzlich zu explodieren.

Genau dieser rasante Anstieg in kurzer Zeit liess die Wissenschaftler dann vermuten, dass womöglich eine ganz neue Variante hinter den vielen Infektionen stecken könnte. «Ich erwarte, dass wir schon zum Wochenende an die Marke von 10'000 Infektionen am Tag stossen werden – und sich der Druck auf die Hospitäler binnen der nächsten zwei bis drei Wochen dadurch stark erhöhen wird», sagte der Corona-Experte Salim Abdool Karim, Virologe an der University of KwaZulu-Natal. Wissenschaftler des National Institute for Communicable Diseases (NICD) erklärten zudem, dass die Durchschnittszahl der täglichen Hospitalisierungen in Gauteng stark gestiegen sei und sich in den 14 Tagen seit Mitte November fast verdreifacht habe.

Neue Erkenntnisse erst in einigen Wochen

Zur neuen Variante selbst lässt sich derzeit nicht viel sagen. Die Untersuchungen befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium. Wolfgang Preiser, ein deutscher Virologe an der Universität Stellenbosch, wies darauf hin, dass am Kap aktuell der klinische Verlauf und die Effektivität von Antikörpern gegen das Virus erforscht würden. Es dürfe drei bis vier Wochen dauern, ehe Wissenschaftler die Auswirkungen der neuen Variante ausreichend gut verstehen könnten – zu lange, um für Südafrika die aktuelle Sommersaison noch zu retten.

Plötzlich stinkt alles – TikTokerin erzählt von ihrem Long-Covid-Symptom

Video: watson/een

Noch zögert die Regierung deshalb auch mit neuen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Das Land bleibt auf Lockdown-Level 1, der niedrigsten Stufe, die nicht vielmehr als Maskenpflicht und eine vierstündige Ausgangssperre nach Mitternacht vorsieht. Die Regierung selbst muss einen Balanceakt hinbekommen: Ein harter Lockdown ist das Letzte, was der Wirtschaft nach den regelmässigen Stromabschaltungen und einer politisch angefachten Zerstörungsorgie zur Jahresmitte noch fehlt.

Jüngere Altersgruppen möglicherweise schon durchseucht

Andererseits hat Südafrika aber auch längst mit Corona leben gelernt. Die Zeitungen berichteten zuletzt nur noch am Rande von der Pandemie. In der «Sunday Times», dem grössten Blatt des Landes, wurde zum Beispiel nur auf der Titelseite und im Wirtschaftsteil auf die neue Mutante und die dadurch bedingte Isolation des Landes verwiesen. Ansonsten überwogen ganz andere Themen, wie etwa die Übernahme der grossen Städte Johannesburg und Pretoria durch die liberale Opposition und das damit verbundene Ende des Machtmonopols des ANC, der früheren Widerstandsbewegung.  

People wait to receive a dose of a COVID-19 vaccine at a centre, in Soweto, Monday, Nov. 29, 2021. The World Health Organization has urged countries not to impose flight bans on southern African natio ...
Bild: keystone

Bislang sind am Kap fast drei Millionen Corona-Fälle registriert worden und rund 90'000 Menschen in Verbindung mit Covid-19 offiziell gestorben. Vollständig geimpft sind jedoch noch immer nur knapp ein Drittel der 60 Millionen Südafrikaner. Dass die Zahl der Fälle im Land dennoch weiterhin so niedrig ist, dürfte nach Meinung vieler Experten entscheidend daran liegen, dass Südafrika, aber auch seine Nachbarn gerade in den geburtenstarken jüngeren Bevölkerungsgruppen längst durchseucht sind.

Touristen flüchten

Inzwischen wächst dennoch die Sorge. Breitet sich das Virus weiter so schnell wie zuletzt aus, wird man um Massnahmen nicht herumkommen. Weil Touristen das Land verlassen, fürchten viele Menschen, gerade auch im Kleingewerbe, inzwischen um ihre Existenz. An Urlaubern hängen in Südafrika viele Existenzen, allein in Kapstadt Zehntausende.

Für die Wirtschaft des Landes ist der plötzliche Exodus an Touristen ohnehin viel härter zu verkraften als mögliche neue Lockdown-Regeln. Denn nicht nur der Tourismus kommt zum Erliegen, auch Investoren und Geschäftsleute werden erst einmal eine Reise scheuen.

Länder stehen am Abgrund

Für die Länder im Süden des Kontinents geht es dabei um alles: Nachdem sie bereits im vergangenen Jahr vom Auftauchen der hier entstandenen Virusvariante Beta hart getroffen worden waren, scheint nun auch die zweite Weihnachtssaison in Folge komplett verloren zu gehen. Botswana lebt trotz seiner Diamantenindustrie noch stärker als Südafrika vom Tourismus.

«Das extrem schlechte Timing bedeutet, dass Südafrika wohl sowieso keine solche Touristensaison gehabt hätte, wie das Land sie bräuchte, selbst wenn die Bekanntgabe der Variante besser gelaufen wäre». schreibt der «Business Day». Doch jetzt fehlten der Regierung auch noch jegliche Mittel, um dem ruinierten Tourismus unter die Arme zu greifen. Das ist schon deshalb ein Desaster, weil sich das Land am Kap ohne einen florierenden Tourismussektor kaum noch von seiner schwersten Wirtschaftskrise in fast 100 Jahren erholen dürfte.

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