Es war zwar nicht das letzte Treffen zwischen Prigoschin und Putin, aber womöglich das entscheidende: Wenige Tage nach dem abgebrochenen Aufstand der Wagner-Söldner Ende Juni orderte der Präsident die Verantwortlichen zu sich. Es soll ein Donnerwetter gegeben haben, das die Wände des Kremls erschüttern liess. «Der Präsident hat drei Stunden lang geschrien, einfach geschrien», zitiert das unabhängige russische Nachrichtenportal «Meduza» einen Vertrauten Prigoschins aus den Reihen der Privatarmee.
Der Söldnerchef und zig seiner Kommandanten, darunter Dmitri Utkin, der als Gründer Wagners und rechte Hand Prigoschins bekannt war, hätten die Standpauke über sich ergehen lassen und dann wohl beschlossen, dass ihnen nichts mehr geschehen könne. «Vielleicht hat Zhenya [Kosename Prigoschins] entschieden, dass sie ihn entweder sofort töten oder gar nicht», so der Informant. Als es anscheinend bei der Schelte blieb, sei der Wagner-Chef unvorsichtig geworden. «Er hielt sich für unantastbar, dachte, er wäre unsterblich.»
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Etwas mehr als zwei Monate nach Wagners Marsch auf Moskau scheint nun gesichert zu sein, wie falsch diese Einschätzung war. Nach entsprechenden Berichten von Staatsfunk, Flugbehörde, Wagner-Gruppe und einer Aussage von Putin soll am Wochenende ein DNA-Test bestätigt haben: Prigoschin ist wohl tot. Sein Weg, der ihn vom Catering-Unternehmer zum einflussreichen Oligarchen gemacht und als berüchtigten Warlord zu finsteren Geschäften in Afrika und auf die Schlachtfelder der Ukraine geführt hatte, endete in einem Flugzeugwrack.
Während sich das Rätselraten zur Ursache des Absturzes am vergangenen Mittwoch derzeit auf einen möglichen Bombenanschlag fokussiert, geht es im Innern der Wagner-Gruppe vor allem darum, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Mehrere Wagner-Kämpfer, mit denen «Meduza» gesprochen hat, werfen ihrem einstigen Chef vor, nach der Schelte von Putin zu unbekümmert gewesen zu sein.
«Er hätte nach Venezuela gehen sollen, um sich zu schützen», gibt das Medium einen anonymen Wagner-Veteranen wieder. «Prigoschin ist selbst schuld, wenn er in Russland herumreist!» Eine andere Quelle kritisiert die Vorkehrungen der Führungsriege als Ganzes. Statt vorausschauender Sicherheitsprotokolle habe es nur spontane Entscheidungen gegeben, alles sei «völlig situationsabhängig» gelaufen. Es habe beispielsweise eine Vorschrift dafür gefehlt, dass die wichtigsten Köpfe der Wagner-Gruppe nicht gemeinsam im selben Fahrzeug reisen durften.
So waren zum Zeitpunkt des Absturzes am vergangenen Mittwoch zwar zwei Jets von Wagner unterwegs von Moskau nach Sankt Petersburg – Jewgeni Prigoschin und Dmitri Utkin sassen aber wohl beide im selben Flugzeug. Wäre einer von ihnen in den anderen Jet gestiegen, der Schlag für die Führungsriege der Privatarmee wäre wohl weniger schwerwiegend ausgefallen. Doch Mängel in Sicherheitsfragen sind bei Wagner laut dem ehemaligen Kommandanten Marat Gabidullin keine Seltenheit.
Wagners Sicherheitsdienst sei mit «kleinkarierten und dämonischen Charakteren» besetzt, sagte er im Gespräch mit «Meduza». «Vor deren Augen hätte man eine Atombombe an Bord bringen können, und sie hätten es nicht gemerkt», zeigt sich der einstige Wagner-Kämpfer überzeugt.
Ob es in Zukunft besser wird, scheint fraglich zu sein. Nicht zuletzt wegen Wagners Nummer drei, auf die der Kreml nun zu setzen scheint. Laut einer Quelle soll Andrej Troschew die Geschäfte übernehmen. Schon im Rahmen des kollektiven Rüffels nach dem Aufstand soll die Regierung ihn beauftragt haben, eine dezidierte Truppe an Wagner-Kämpfern für das Verteidigungsministerium zusammenzustellen.
Bereits Wochen vor dem Flugzeugabsturz war somit ein potenzieller neuer Söldner-Führer bestimmt, mit dem der geschasste Prigoschin aber alles andere als einverstanden gewesen sein soll. Dabei könnte es nicht nur um den eigenen Selbsterhalt gegangen sein, wie Aussagen des Ex-Kommandanten Gabidullin nach Prigoschins mutmasslichem Tod nun andeuten.
«Als Troschews Name fiel, mussten sich mehrere Wagner-Kommandanten in der Runde auf die Zunge beissen, um nicht loszulachen», so Gabidullin zu «Meduza». Das Problem: Der Mann soll schwer alkoholkrank sein. Manchmal falle er bis zu zwei Wochen aus, wenn die Sucht ihn packe. Dass Prigoschin ihn nicht abgesägt hat, habe schlicht daran gelegen, dass Troschew über zu viele Insiderinformationen verfüge.
Das grosse Fragezeichen, das nun über der Zukunft der Privatarmee hänge, halte vieles in der Schwebe, heisst es von Informanten aus der Nähe von Wagners zerklüftetem Führungsstab. Dort geht man laut «Meduza» davon aus, dass gerade die Söldner in afrikanischen Ländern vom Kreml zwangsverpflichtet werden könnten: «Entweder sie unterschreiben die neuen Verträge – und lassen alle Wagner-Stützpunkte in Afrika zu Aussenposten des Verteidigungsministeriums werden –, oder sie gelten andernfalls als illegale Touristen und müssen verschwinden.»
Viele dürften dem Dekret aus Moskau nachkommen, so die Annahme der Quelle innerhalb Wagners. «Es wird eine ganze Welle der Trägheit geben. Viele Kämpfer haben vergessen, wie man ein anderes Leben führt. Die können gar nicht anders.» (t-online, cry)
Und Putin denkt das immer noch.