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«Stresszustand nicht weniger tödlich» – wie Tiere unter dem Krieg leiden

«Stresszustand ist nicht weniger tödlich als Granaten» – wie Tiere unter dem Krieg leiden

22.03.2022, 19:57
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Die Situation in den Zoos der Ukraine ist dramatisch. Der Schutz sowie die Versorgung der Tiere stellt die Tierschützer vor eine Mammutaufgabe. Und ohne fremde Hilfe wäre diese nicht zu bewältigen.

Vor einigen Tagen kursierte die Meldung, dass die Futtervorräte im Kiewer Zoo sich bald dem Ende neigen. Am 15. März sagte Sprecher Mychajlo Pintschuk, dass die Vierbeiner nur dank einigen Helfern überleben würden, die den Tieren die «Reste der Reste» verteilen.

Die Meldung sorgte für Aufsehen. Was folgte, war ein Akt der Solidarität.

Der Kiewer Zoo hat von anderen Zoos aus Deutschland, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Polen eine grosse Ladung Hilfsgüter erhalten. Bei der Lieferung handelte es sich um spezielles körniges Langzeitfutter für die Tiere sowie Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente.

Der Zoodirektor Kirill Trantin bedankte sich in einem kurzen Video für die Unterstützung der anderen Zoos: «Vielen Dank, liebe europäische Kollegen, ihr seid unsere wahren Freunde!»

Spenden durch Kauf von Einkaufstickets

Es sind nicht die einzigen Unterstützer. Nachdem sich die Situation in Kiews Zoo weiter verschlechtert hatte, riefen die Verantwortlichen die Öffentlichkeit um Spenden auf. Wer dem Zoo helfen will kann online ein Ticket für den geschlossenen Zoo kaufen und so die Tiere vor dem Verhungern retten. Der Erlös aus den Eintrittskarten wird für das Futter der Tiere verwendet. Wie viel Spenden bereits eingegangen sind, ist nicht bekannt.

Bild
bild: zoo kiev

Aber die Aktion war offenbar ein voller Erfolg. «Aufgrund der zahlreichen Spenden ist es möglich gewesen, Futtermittel zu kaufen und die Tiere für eine weitere Woche zu versorgen», schreibt der Zoodirektor auf Facebook.

Auch die Mitarbeitenden des Zoos versuchen alles, um den Tieren zu Helfen. Nach der russischen Invasion in der Ukraine hat sich das Team dazu entschieden, in den Zoo zu ziehen, um sich permanent um die Tiere kümmern zu können. Laut Angaben des Zoos sind rund 50 Mitarbeitende mit ihren Familienmitgliedern in den Zoo gezogen und schlafen nachts in Luftschutzbunkern.

Die Mitarbeiter verlassen jeden Tag das Gelände, um Essen für die Tiere und die Menschen zu besorgen, heisst es weiter. Doch die Suche nach Nahrungsmitteln gestaltet sich schwierig. Viele Supermärkte sind vorsorglich geschlossen worden.

Um die Tiere vor Luftangriffen und Explosionen zu schützen, sind viele Vierbeiner in unterirdische Gänge umgesiedelt worden. Doch nicht für alle Tiere hat es einen Platz. Elefanten und Giraffen etwa sind dafür schlicht zu gross.

Für die Tiere hat das Folgen. Denn sie sind im Wesentlichen «Pazifisten», erklärt ein Zoologe. Die friedlichen Tiere seien sich Lärm und Unruhe nicht gewohnt. Bei Luftangriffen und Explosionen sowie bei Sirenen, die teils den ganzen Tag über ertönen, würden sie immer zusammenzucken. «Sie haben keinen Platz, um sich zu verstecken oder zu fliehen», sagte der Direktor des Zoos, Volodymyr Topchyi.

«Mein Haus wurde zur Arche Noah. In jedem Zimmer, in jeder Ecke lebt jemand. In der Badewanne leben Schildkröten. Mein Bett teile ich mit einem Affen.»
Zoologe Alexander Feldan

Wie der Zoodirektor auf Facebook berichtet, zeigen besonders die grossen Tiere zunehmend Anzeichen von Stress. Insbesondere ein Elefant reagiere sehr empfindlich auf die Explosionen, sodass man ihm Beruhigungsmittel verabreichen musste.

Evakuation aller Tiere schlicht unmöglich

In jüngster Zeit hat der Kiewer Zoo versucht, einige grosse Tiere unter schwierigen Umständen ins Ausland zu evakuieren. Mit Erfolg. Zu Beginn des Krieges konnten Tiere wie Löwen, Tiger, Windhunde und Affen erfolgreich nach Polen gebracht werden. Vergangene Woche wurden weitere Wildtiere in Spanien, Belgien und Polen untergebracht.

Doch nicht alle der rund 4000 Tiere des Kiewer Zoos können an einen sicheren Ort gebracht werden. Dies ist logistisch schlicht unmöglich, da es viel zu viele Tiere sind.

Stresszustand nicht weniger tödlich als Minen und Granaten

Auch der Feldman Ecopark befindet sich mitten im Krieg – in Charkiw, der nach Kiew mit rund 1,5 Millionen Einwohnern zweitgrössten Stadt der Ukraine. Der Park mit mehreren Tausend Tieren befindet sich direkt in der täglichen Schusslinie. «Wir tun alles, um möglichst viele von ihnen an möglichst sichere Orte zu evakuieren», schreibt Alexander Feldan, der Direktor des Parks, auf Facebook.

Er selbst habe einige Tiere mit nach Hause genommen. «Mein Haus wurde zur Arche Noah. In jedem Zimmer, in jeder Ecke lebt jemand. In der Badewanne leben Schildkröten. Mein Bett teile ich mit einem Affen.» Einige Tiere, darunter Wölfe, seien dem Park entkommen. Viele Tiere seien nach wie vor in Gefahr. Zwei Kängurus sind im Ökopark Feldman Park durch ständigen Beschuss gestorben.

Nach dem Tod der zwei Kängurus teilte der Zoologe eine skizzierte Karte mit den Worten:

«Diese Karte veranschaulicht, wie schwierig und schrecklich die Situation des Ecopark ist. Zwei Wochen lang stand der Park direkt in der Schusslinie. Regelmässige Bombardierungen und Beschuss, beschädigte Infrastruktur, tote und verletzte Tiere – ein ständiger Stresszustand, der nicht weniger tötet als Minen und Granaten (...).»
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8 Kommentare
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C aus B
22.03.2022 20:38registriert November 2019
Ich bin ja nicht eine animal-first Person, aber diese Ausgangslage berührt, die Solidarität macht Mut, die Hingabe dieser Mitarbeiter verblüfft und diese sinnlose Gewalt macht einfach nur wütend und traurig.
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*Butterfly*
22.03.2022 20:31registriert Februar 2022
Ohje, auch das noch.
Diese armen Tiere... hilflos diesem hässlichen Szenario ausgeliefert.

Es ist einfach himmeltraurig, was ein Einzelner mit seinen Ego-Machtgelüsten für ein riesiges Leid und Elend verursachen kann.
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Heinzbond
22.03.2022 20:57registriert Dezember 2018
Ich würde ja jetzt gerne etwas dazu schreiben, aber dieser Krieg lässt mich immer mehr wortlos bleiben.
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