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Trumps Ex-Wahlkampfmanager sagt Untersuchungsausschuss ab

Ex-Justizminister bei Kapitol-Hearings: «Trump hat Kontakt zur Realität verloren»

Der Untersuchungsausschuss zur Erstürmung des US-Kapitols zeigte heute diverse Zeugenaussagen, die auf Video aufgenommen worden waren. Was auffiel: Seine Anhänger distanzieren sich von ihm.
13.06.2022, 16:2713.06.2022, 19:53
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Ehemalige Trump-Anhänger distanzieren sich

Mehrere hochrangige Personen aus dem Umfeld des Ex-US-Präsidenten Donald Trump haben dessen Wahlbetrugsbehauptungen und Wahlsiegfantasien offen widersprochen. Der Untersuchungsausschuss zur Erstürmung des US-Kapitols zeigte am Montag bei einer Anhörung im Kongress Video-Mitschnitte diverser nicht-öffentlicher Zeugenbefragungen, in denen sich mehrere frühere Regierungsmitglieder und Wahlkampfberater klar von Trumps Vorgehen distanzierten. Ex-Justizminister William Barr und andere bezeichneten Trumps Betrugsvorwürfe als «verrückt». Barr sagte, der 75-Jährige habe wohl zunehmend «den Kontakt zur Realität verloren».

Hintergrund der Anhörung

Trump behauptet bis heute ohne Belege, er sei durch Wahlbetrug um den Sieg bei der Präsidentenwahl 2020 gebracht worden. Über Wochen versuchte er damals mit fragwürdigsten Methoden, den Wahlsieg seines demokratischen Herausforderers Joe Biden nachträglich zu kippen. Sein Lager scheiterte mit Dutzenden Klagen gegen die Wahlergebnisse. Der Widerstand gegen den Wahlausgang gipfelte in der Attacke auf das Kapitol, die der Untersuchungsausschuss im Kongress aufarbeitet.

Anhänger Trumps hatten am 6. Januar 2021 gewaltsam den Parlamentssitz in Washington gestürmt. Dort war der Kongress zusammengekommen, um Bidens Wahlsieg zu zertifizieren. Am Rande der Krawalle kamen fünf Menschen ums Leben. Trump hatte seine Anhänger kurz zuvor bei einer Kundgebung damit aufgewiegelt, dass ihm der Wahlsieg gestohlen worden sei. Er musste sich danach einem Amtsenthebungsverfahren stellen, an dessen Ende er allerdings freigesprochen wurde.

Chaos in Washington

Video: watson/een

Über Monate hatte der Untersuchungsausschuss hinter verschlossenen Türen Hunderte Zeugen befragt und grosse Mengen an Dokumenten und Beweismaterial gesichtet. Nun legt das Gremium in einer Serie von öffentlichen Anhörungen seine Erkenntnisse offen.

Ex-US-Justizminister Barr über Trump: Kontakt zur Realität verloren

Bereits in seiner ersten öffentlichen Sitzung in der vergangenen Woche hatte das Gremium Video-Mitschnitte einer Befragung Barrs gezeigt, in denen dieser Trump belastete. Nun folgten weitere kraftvolle Aussagen des Ex-Ministers. «Ich hatte das Gefühl, dass es vor der Wahl möglich war, mit dem Präsidenten vernünftig zu reden», sagte Barr etwa. Nach der Wahl habe Trump aber nicht mehr zugehört. «Ich war etwas demoralisiert, weil ich dachte: Junge, wenn er wirklich an dieses Zeug glaubt, hat er den Kontakt zur Realität verloren», sagte Barr über Trumps Wahlbetrugsbehauptungen.

In this image from video released by the House Select Committee, former Attorney General William Barr speaks during a video deposition to the House select committee investigating the Jan. 6 attack on  ...
Ex-Justizminister William Barr in dem gezeigeten Video-Mitschnitt.Bild: keystone

Barr bezeichnete diese als «kompletten Schwachsinn» und «dumm». Er betonte: «Ich habe ihm gesagt, dass das Zeug, das seine Leute der Öffentlichkeit auftischen, Schwachsinn (Original: »Bullshit«) ist.» Auch der frühere amtierende Vize-Justizminister Richard Donoghue sagte, er habe dem Präsidenten mehrfach gesagt, dass an den Wahlbetrugsvorwürfen nichts dran sei.

Trumps Ex-Wahlkampfmanager sagte kurzfristig ab

Trumps damaliger Wahlkampfmanager William Stepien hätte eigentlich live als Zeuge bei der Anhörung am Montag auftreten sollen. Wegen der Geburt seines Kindes sagte er seine Teilnahme an der Sitzung jedoch kurzfristig ab. Gezeigt wurden stattdessen auch von ihm Video-Clips einer vorherigen Befragung. Stepien sagte darin, in der Wahlnacht sei es viel zu früh gewesen, irgendeinen Ausgang zu verkünden. Er habe Trump dazu geraten, genau dies beim Auftritt vor seinen Anhängern zu sagen und auf die laufende Auszählung zu verweisen. Trump habe dies jedoch anders gesehen. Der Republikaner hatte noch in der Wahlnacht den Sieg über Biden für sich beansprucht - ohne jede Grundlage.

FILE - In this June 9, 2014, file photo Bill Stepien leaves the New Jersey State House, in Trenton, N.J. President Donald Trump is shaking up his campaign amid sinking poll numbers less than four mont ...
William StepienBild: keystone

Giuliani habe zu viel Alkohol getrunken

Auch Trumps damaliger Wahlkampfberater Jason Miller sagte, er habe dem Präsidenten dazu geraten, keinen Sieg zu erklären, bis es eine bessere Übersicht über die Zahlen gebe. Miller berichtete von verschiedenen Szenen in der Wahlnacht im Weissen Haus. Als der Sender Fox News einen kritischen Sieg für Biden im Bundesstaat Arizona verkündete, habe sich Wut und Enttäuschung breit gemacht, und die Sorge, «dass unsere Zahlen vielleicht nicht korrekt waren». Auf die Frage, ob jemand der Anwesenden zu viel Alkohol getrunken habe, nannte Miller den Namen Rudy Giuliani. Der frühere Bürgermeister von New York gehörte zu den grossen Verfechtern der Wahlbetrugsbehauptungen an der Seite Trumps.

FILE - Former New York City mayor Rudy Giuliani speaks during a news conference June 7, 2022, in New York. Giuliani, one of Donald Trump���s primary lawyers during the then-president's failed eff ...
Bild: keystone

Mehrere Zeugen äusserten sich höchst kritisch über Giuliani und andere, die Trump im Feldzug gegen den Wahlausgang immer neue Verschwörungstheorien einflüsterten - unter anderem zu einer angeblichen technischen Manipulation bei der Stimmenauszählung. «Was sie vorschlugen, hielt ich für verrückt», sagte etwa der frühere Trump-Anwalt Eric Herschmann. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner antwortete auf die Frage, ob er dem Präsidenten je seine Meinung über Giuliani gesagt habe: Er habe klar gemacht, dies wäre «grundsätzlich nicht der Ansatz, den ich an deiner Stelle verfolgen würde».

Die nächste öffentliche Anhörung des Untersuchungsausschusses ist für diesen Mittwoch (10.00 Uhr Ortszeit/16.00 Uhr MESZ) geplant. Einen Abschlussbericht will das im Gremium im September veröffentlichen. (saw/sda/dpa)

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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stormcloud
13.06.2022 17:07registriert Juni 2021
Ich denke, die "Herrschaften" spielen auf Zeit. Ein probates Mittel, um die Ermittlungen von Ausschüssen und Justiz zu erschweren und damit möglichst in die Länge zu ziehen.
Sollte Trump noch mal Präsident werden, dann wird er alles tun, um seinen Dreck zu vertuschen und die Möglichkeiten der Begnadigung für seine Getreuen zu nutzen. Widerliche Schmierenkomödie!
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Lowend
13.06.2022 19:22registriert Februar 2014
Wenn Barr recht hat und Trump den Kontakt zur Realität verloren hat, muss man sagen, dass die Republikanische Partei grossmehrheitlich den Kontakt zur Realität verloren hat, weil sie diesem Hochstapler immer noch folgen. Eines, was man aus vielen Prozessen gegen Hochstapler kennt, ist, dass Opfer von solchen Menschen nie zugeben, dass sie einem Hochstapler aufgesessen sind, denn damit müssten sie eingestehen, dass ihre Einschätzung von Menschen fehlerhaft ist. Darum verteidigen die Opfer sie oft bis in den Untergang, weil sie sonst das Gesicht verlieren. Arme GOP, armes Land!
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B. V. Harkonnen
13.06.2022 19:31registriert Oktober 2019
Was braucht es eigentlich denn noch, um die Orange endlich einzubuchten?

Ich meine einen offensichtlich versuchten Staatsstreich ist doch Hochverrat oder?
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