Die besagten Dokumente befanden sich in einem privaten Büro von US-Präsident Joe Biden, welches er zwischen 2017, nach dem Ende seiner Vizepräsidentschaft unter Barack Obama, und 2020, bis zum Beginn seiner eigenen Präsidentschaftskampagne, regelmässig nutzte. Das schreibt die Nachrichtenagentur Reuters.
Die Dokumente seien beim Ausräumen der Büroräume im «Penn Biden Center for Diplomacy and Global Engagement», das zur Universität von Pennsylvania gehört, in der US-Hauptstadt Washington aufgetaucht, wie das Weisse Haus am Montagabend (Ortszeit) mitteilte. Biden hatte das Center, eine Art Denkfabrik, nach seinem Rücktritt als Vizepräsident 2017 gegründet.
Statement from White House Counsel's Office on cooperation with the National Archives: pic.twitter.com/Wu55efv1DE
— Ian Sams (@IanSams46) January 9, 2023
Laut Richard Sauber, einem Sonderberater des US-Präsidenten, wurden die Unterlagen am 2. November des vergangenen Jahres von Anwälten des US-Präsidenten entdeckt – nur Tage vor den Midterms. Die Dokumente seien von den persönlichen Anwälten identifiziert worden und am darauffolgenden Tag dem Nationalarchiv übergeben worden. Dieses sei zudem bereits am Tag der Entdeckung benachrichtigt worden.
Medienberichten zufolge geht es konkret um etwa zehn Dokumente, das schreibt unter anderem CBS News. Biden-Berater Sauber nannte derweil keine genaue Anzahl der Dokumente. CNN berichtete in der Folge, dass auch solche mit dem höchsten Geheimhaltungsgrad darunter seien, allerdings keine, die nukleare Geheimnisse enthielten.
Der genaue Inhalt der Unterlagen ist also nach wie vor unbekannt, offen blieb bisher zudem auch, ob Biden von den Dokumenten in dem Schrank wusste. Eine Stellungnahme des Präsidenten steht noch aus (siehe letzter Punkt).
Das US-Gesetz sieht vor, dass Akten, die während der Amtszeit eines Präsidenten oder Vizepräsidenten verwendet werden, im Besitz des Staates bleiben. Genau hier könnte sich Biden also womöglich strafbar gemacht haben – indem er Akten aus seiner Amtszeit privat verwahrte und diese nicht dem Nationalarchiv überliess.
Pikanter wird das Ganze zudem vor dem Hintergrund, dass Bidens Vorgänger Donald Trump aktuell mit einem ähnlichen Vorfall kämpft – auch wenn bereits jetzt klar ist, dass es den ein oder anderen Unterschied gibt (siehe nächster Punkt). Biden bezeichnete Trumps Umgang mit den Akten als «unverantwortlich», diese Worte fliegen ihm nun um die Ohren.
Dementsprechend ist das Auftauchen der unter Umständen fälschlich aufbewahrten Biden-Akten natürlich Wasser auf die Mühlen von Trump. Dessen Kritik liess, wenig überraschend, nicht lange auf sich warten. Auf seinem sozialen Netzwerk «Truth Social» wetterte Trump nur kurz nach Bekanntwerden des Falls: «Wann wird das FBI eine Razzia in den vielen Wohnungen von Joe Biden durchführen, vielleicht sogar im Weissen Haus?»
Und auch weitere Republikaner liessen es sich nicht nehmen, den US-Präsidenten direkt zu attackieren. So zitierte CNN beispielsweise den frisch gewählten Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy: «Oh wirklich? Die haben das erst jetzt nach all den Jahren gefunden?» Ähnlich äusserte sich Parteikollege Byron Donalds: «Warum wurden diese Dokumente erst sechs Jahre später gefunden?»
Das US-Justizministerium hat sich nun des Falls angenommen. Ausser Frage steht, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Vorfalls aktuell für Biden und die Demokraten massiv günstiger ist, als wenn das Ganze kurz von den Zwischenwahlen publik geworden wäre. Die Demokraten feierten bei den Zwischenwahlen einen unerwarteten Erfolg, Biden steht aktuell in so gutem Licht da wie schon lange nicht mehr.
Dass das Weisse Haus darauf pocht, die Dokumente selbst gefunden und übergeben zu haben, verwundert nicht. Ziel dürfte sein, diesen Fall als völlig anders darzustellen als den Streit Donald Trumps mit der Justiz um die beschlagnahmten Geheimunterlagen.
Es gibt diesbezüglich allerdings tatsächlich bereits einen erkennbaren Unterschied in den beiden Fällen: Während Biden-Berater Richard Sauber versicherte, dass das Nationalarchiv sofort nach dem Fund verständigt und die Akten auch schnellstmöglich übergeben worden seien, lieferte sich Trump bereitwillig monatelang eine Auseinandersetzung mit dem Nationalarchiv und der Justiz und hielt bewusst Akten zurück.
Zwar übergaben Trumps Anwälte nach dem Hickhack doch noch Akten an die Bundesbehörden, weil allerdings der Verdacht bestand, dass der Ex-Präsident weitere Dokumente bei sich aufbewahrte, untersuchten schliesslich FBI-Beamte sein Anwesen Mar-a-Lago in Florida per Gerichtsbeschluss. Tatsächlich fanden sie dort weitere Dokumente, die als «streng geheim» bezeichnet wurden.
Trump argumentierte später immer wieder, die Geheimhaltung der Dokumente selbst aufgehoben zu haben. Amtierende Präsidenten haben zwar weitreichende Befugnisse, Informationen freizugeben und deren Geheimhaltung aufzuheben. Doch so einfach wie Trump es darstellt, dürfte es in diesem Fall nicht sein. Für die Freigabe von Dokumenten gibt es ein formelles Verfahren.
Dieser Punkt ist nun auch im Falle Bidens relevant: Auch Vizepräsidenten haben die Befugnis, Dokumente freizugeben – allerdings in anderem Masse als Präsidenten. Es herrscht also noch, wie bezüglich vieler anderer Punkte, Unklarheit. Eine Untersuchung des US-Justizministeriums durch Generalstaatsanwalt Merrick Garland soll in den nächsten Wochen Gewissheit bringen.
Bisher noch gar nicht. Es gibt nur die offizielle Stellungnahme des Weissen Hauses und die Aussagen von Bidens Sonderberater Richard Sauber. Der US-Präsident selbst reagierte am Montag bei seinem Mexiko-Besuch nicht auf zugerufene Fragen zu den Dokumenten. Biden ist für den Nordamerika-Gipfel, der heute Dienstag beginnt, in Mexiko-Stadt. (con)
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.
Ob man auf der Seite von Trump oder Biden ist, sollte eigentlich keine Rolle spielen. Beide haben gegen dasselbe Gesetz verstossen und somit sollten beide bestraft werden.