In der amerikanischen Politik ist der Ölpreis das Mass aller Dinge. Als im Frühsommer der Benzinpreis in die Höhe kletterte, schluckte Präsident Joe Biden deshalb eine fette Kröte. Er pilgerte nach Riad, tat Abbitte und liess sich sogar mit Mohammed bin Salman (MBS), dem Kronprinzen und starken Mann von Saudi-Arabien, bei einem sogenannten Fistbump fotografieren. So wollte er den starken Mann in Saudi-Arabien dazu bewegen, mehr Öl zu pumpen.
Biden musste dabei weit über seinen Schatten springen. Wegen des scheusslichen Mords am Journalisten und Regimekritiker Jamal Khashoggi hatte Biden MBS im Wahlkampf nicht nur scharf kritisiert – der Kronprinz hatte den Mord höchstwahrscheinlich angeordnet –, sondern auch zu einem Paria erklärt.
Bidens Fistbump schien die gewünschte Wirkung zu haben. Im Laufe des Spätsommers begann der Öl- und damit auch der Benzinpreis zu sinken. Gleichzeitig verbesserten sich die lange Zeit hoffnungslosen Wahlchancen der Demokraten bei den Zwischenwahlen markant. Weil sich die Republikaner in Sachen Abtreibung in den eigenen Fuss schossen, schien gar ein Sieg in beiden Kammern in den Bereich des Möglichen geraten zu sein.
Nun jedoch sind neue Wolken am Wahlhimmel der Demokraten aufgezogen. Die OPEC+, die Vereinigung der Erdöl produzierenden Staaten plus Russland, haben letzte Woche beschlossen, die Förderung des schwarzen Goldes um zwei Millionen Fass pro Tag zu reduzieren. Der Erdölpreis ist unelastisch, will heissen, eine kleine Mengenveränderung hat sofort grosse Wirkung auf den Preis. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass der Benzinpreis in den kommenden Tagen erneut in die Höhe schiessen und so die Chancen der Demokraten für die am 8. November stattfindenden Zwischenwahlen massiv beeinträchtigen wird.
Auf den ersten Blick sieht es danach aus, dass die Araber und die übrigen OPEC-Mitglieder schlicht das Beste aus den Chancen machen, welche ihnen die Energiekrise bietet. Suhail Al Mazrouci, der Energieminister der Vereinigten Arabischen Staaten, erklärt denn auch scheinheilig: «Wenn wir nicht so handeln, dann haben wir zu wenig Geld für die anfallenden Investitionen der Zukunft.»
Das ist absurd. Die Golfstaaten sind die grossen Gewinner der Energiekrise. Deshalb hält die «Financial Times» unmissverständlich fest: «Ein Kampf um die Kontrolle des Ölmarktes – ja um die Zukunft der Energie-Industrie – ist für alle sichtbar geworden.»
Es ist nicht das erste Mal, dass die Golfstaaten einen Ölkrieg gegen den Westen vom Zaun reissen. Nach den Siegen Israels gegen die Araber in den Siebzigerjahren liessen die OPEC-Staaten als Rache gegen den Westen den Ölpreis in die Höhe schnellen. Mit Erfolg: Die beiden Ölkrisen waren ein wesentlicher Grund für die Stagflation, welche die Wirtschaft der westlichen Staaten während des ganzen Jahrzehnts lähmte.
Auch diesmal ist Politik der Treiber der jüngsten Entwicklung auf dem Erdölmarkt. Nur geht es nicht um Israel, nun haben sich zwei rücksichtslose Diktatoren gefunden: Wladimir Putin und MBS. Beide haben noch eine Rechnung mit dem Westen offen.
Putins Beweggründe sind kein Geheimnis. Er will dem Westen nicht nur einen sehr kalten Winter bescheren, er will auch mit hohen Energiepreisen die Wirtschaft beschädigen. So hofft er, wenigstens teilweise die Niederlagen, die er auf dem Schlachtfeld in der Ukraine erleidet, kompensieren zu können. Frierende Europäer und Amerikaner, die unter einem hohen Benzinpreis stöhnen, würden die Lust verlieren, die Ukraine weiter zu unterstützen, so das Kalkül des russischen Präsidenten.
MBS seinerseits will sich nicht nur an Biden rächen, er hat auch jedes Interesse daran, dass die Republikaner wieder an die Macht kommen. Mit Donald Trump konnte er bekanntlich sehr gut, und dem Vermögensverwaltungsfonds von dessen Schwiegersohn Jared Kushner hat er rund zwei Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt.
Die Araber in den Golfstaaten sind zudem ungehalten darüber, dass die Amerikaner sich zunehmend aus dem Nahen Osten verabschiedet haben. «Sie können locker 20 Jahre der Vernachlässigung der Amerikaner in Sachen Sicherheit und Stabilität der Region aufzählen», erklärt Steven Cook vom Council on Foreign Relations in der «Financial Times».
Der Zeitpunkt für MBSs Rache ist günstig gewählt. Die Zeiten, in denen die USA die Rolle eines Swingproducers einnehmen konnten, sind vorbei. Als Swingproducer bezeichnet man den Produzenten, der eine Lücke im Erdölmarkt rasch ausfüllen kann.
Dank Fracking konnten die USA ihre Erdölproduktion zwar wieder massiv steigern. Doch erstens ist das Fracking ökologisch gesehen umstritten, deshalb will die Regierung Biden möglichst wenig davon. Und zweitens haben die USA den Europäern versprochen, ihnen über den Winter zu helfen.
Die Saudis und die Golfstaaten sehen sich daher in einer sehr starken Position. «Jeder braucht unser Öl und jeder muss sich mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Staaten arrangieren», sagt der Politologe Abdulkhaleq Abdulla gegenüber der «Financial Times». «Ein paar führende Köpfe in Washington haben offenbar immer noch nicht begriffen, dass sich die Dinge im Persischen Golf geändert haben und wir keine Befehle aus Washington mehr akzeptieren.»
Diese Überheblichkeit könnte sich jedoch rächen. Die Brüskierung von MBS werden Joe Biden und seine Partei nicht so schnell vergessen. Einzelne demokratische Senatoren fordern bereits, dass die USA ihre Beziehung zu Riad neu überdenken müssen, und erinnern gerne daran, dass 13 der Terroristen von 9/11 Saudis waren. Dass 2024 wieder Donald Trump ins Weisse Haus einziehen wird, ist ebenfalls alles andere als sicher.
Auch in Europa wird man sich daran erinnern, dass MBS sich mit Putin verbündet und damit die Energiekrise noch verstärkt hat. Vor allem aber wird es die Bemühungen in Sachen Green New Deal noch verstärken. Ausser ein paar Unverbesserlichen werden nun alle erkannt haben, dass eine Dekarbonisierung der Gesellschaft nicht nur unvermeidlich geworden ist, sondern vor allem auch im Eiltempo erfolgen muss.
Oder wie es Amy Myers Jaffe, Professorin für Klimapolitik an der Tuffs University, gegenüber der «Financial Times» formuliert: «Jeder, der kann, will nun weg vom Öl – Regierungen, Unternehmen, Städte und Konsumenten. Die OPEC schlägt nun den letzten Nagel in einen Sarg, der bereits gebaut ist.»
Wer nichts aus den 70er und vom Klimawandel gelernt hat, hat es verdient übers Ohr gehauen zu werden und im Winter zu frieren...
das obwohl wir seit den 70ern wissen das wir davon loskommen müssen, das eine Energiewende nötig ist.
danke ihr Lobbyisten!
danke den Regierungen, die die fossilen Energieträger so günstig gehalten haben!