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Demokratiekrise: Die wichtigsten Erkenntnisse des Demokratie-Reports

Weltweit entwickeln sich doppelt so viele Länder zu autoritären Staaten wie zu Demokratien

30.11.2022, 14:4830.11.2022, 15:19
Lara Knuchel
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«Die Hälfte der demokratischen Regierungen auf der ganzen Welt befindet sich im Rückgang, während autoritäre Regime ihre Unterdrückung noch verstärken.» In vielen Fällen stehe es um die Demokratie nicht besser als noch 1990. Zu diesem düsteren Schluss kommt die Demokratieagentur International IDEA in ihrem neuen Jahresbericht. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:

Wie wird «Demokratie» gemessen?

Das International Institute for Democracy and Electoral Assistance (IDEA) mit Sitz in Stockholm ist eine zwischenstaatliche Organisation mit dem Ziel der weltweiten Demokratieförderung. Seit 2005 ist auch die Schweiz Mitglied von IDEA.

Im «Global State of Democracy»-Report, der jährlich erscheint, werden verschiedene Bereiche der politischen Systeme in den Ländern berücksichtigt. So werden beispielsweise die Gewaltentrennung, die politische Teilnahme durch die Bevölkerung oder «Fundamentale Rechte» bewertet. Aus über 100 Variablen, die zu einem Grossteil aus öffentlich zugänglichen Daten bestehen, entstehen so Indizes (quasi «Noten») für die verschiedenen Unterkategorien.

Was sind die Haupterkenntnisse?

Im Global State of Democracy Report wurden Indizes für 173 Länder im Jahr 2021 generiert. Das wichtigste Fazit: Bis Ende 2021 verzeichnete die Hälfte der untersuchten Länder einen Rückgang bei mindestens einem Teilbereich der Demokratie. Und: Weltweit ist die Zahl der Länder, die sich in Richtung Autoritarismus bewegen, mehr als doppelt so hoch wie die Zahl der Länder, die sich in Richtung Demokratie bewegen.

Erosion der Demokratien

2021 gab es laut der Einteilung von International IDEA weltweit 104 Demokratien. In fast der Hälfte, also 48, dieser Länder gab es im letzten Jahr über alle Indizes gesehen einen negativen Saldo der Entwicklungen. Das heisst, unter dem Strich wurde der Grad der Demokratie entweder «leicht» oder sogar «signifikant» geschwächt.

In Europa hat fast die Hälfte aller Demokratien – insgesamt 17 Länder – in den letzten fünf Jahren eine Erosion erlitten. Die Gründe dafür seien vielfältig, so International IDEA, und reichten von Einschränkungen der Meinungsfreiheit bis hin zum Misstrauen in die Legitimität von Wahlen.

«Dieser Rückgang kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die gewählten Führungspersönlichkeiten mit noch nie dagewesenen Herausforderungen konfrontiert sind, wie dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der Krise der Lebenshaltungskosten, einer drohenden globalen Rezession und dem Klimawandel.»

In vielen Demokratien findet ausserdem ein sogenanntes «Backsliding» statt, «eine schwerwiegendere und bewusste Art der demokratischen Erosion». Die jüngsten Daten zeigen sieben solcher Länder: Brasilien, El Salvador, Ungarn und Polen sind stark rückläufig und in Indien, Mauritius und den Vereinigten Staaten gibt es «mässige» Rückschritte. Dieses Muster zeige, wie häufig gewählte Machthaber ihre Macht nutzten, um demokratische Institutionen von innerhalb des Systems zu schwächen, so der Global State of Democracy Report.

Stärkerer Autoritarismus

Der Autoritarismus vertieft sich laut dem Report weiter. Zwischen 2016 und 2021 gab es mehr als doppelt so viele Länder, die sich in Richtung Autoritarismus bewegten, wie solche, die sich in Richtung Demokratie bewegten. Fast die Hälfte aller autoritären Regime hat sich gemäss den Indizes im Jahresbericht zum Zustand der Demokratie in der Welt unter dem Strich verschlechtert. Mit Myanmar und Tunesien habe die Welt 2021 ausserdem zwei Demokratien verloren, so der Bericht.

Der breiteste Rückgang innerhalb von Autokratien sei in Afghanistan, Weissrussland, Kambodscha, den Komoren und Nicaragua zu verzeichnen. Dabei seien die Teilattribute «Saubere Wahlen» und «Effektives Parlament» am häufigsten betroffen. Das deute darauf hin, «dass selbst die Aufrechterhaltung der Fassade von Wahlen ein Kampf ist», heisst es im Jahresbericht.

Kaum Verbesserungen

Die Demokratie scheine sich nicht in einer Weise zu entwickeln, die den sich rasch ändernden Bedürfnissen und Prioritäten entspricht. Selbst in Demokratien, die ein mittleres oder hohes Leistungsniveau aufweisen, gebe es kaum Verbesserungen, so International IDEA.

Die Gesamtwerte für die Attribute «Repräsentative Regierung», «Grundrechte» und «Rechte und Kontrolle der Regierung» haben sich gemäss dem Jahresbericht seit 2001 kaum verändert und liegen weiterhin im «gleichen mittleren Leistungsbereich». «Unparteiische Verwaltung» und «Beteiligung der Zivilgesellschaft» sind demnach ebenfalls im Wesentlichen gleich geblieben.

Gibt es auch positive Entwicklungen?

Ja, zum Beispiel in einigen afrikanischen Ländern:

«Trotz zahlreicher Herausforderungen bleibt Afrika angesichts der Instabilität widerstandsfähig.»
International IDEA, Global State of Democracy Report

In Ländern wie Gambia, Niger und Sambia verbessert sich die Qualität der Demokratie. Auch Sri Lanka und Moldawien haben positive Schritte in Richtung mehr Demokratie getan.

Die zunehmenden Proteste in vielen autoritären Staaten – wie zum Beispiel derzeit in China – werden vom Jahresbericht als positiv bewertet.

Wie steht es um die Schweiz?

Die Schweiz gehört nach wie vor zu den stabilsten Demokratien der Welt. Bei den meisten Indizes erreicht die Schweiz einen Score von um oder über 90 Prozent.

Einzig beim Teilbereich «Wahlbeteiligung» schneidet die Schweiz deutlich schlechter ab als vergleichbare demokratische Länder. Sie erreicht dort lediglich einen Wert von 0,35 (auf der Skala zwischen 0 und 1). Das hat seine Gründe: Bei den letzten Parlamentswahlen 2019 lag die Wahlbeteiligung bei 45,1 Prozent.

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79 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SKYEyes
30.11.2022 15:49registriert November 2022
Ach, das sind keine guten News. Dabei hat es Churchill so gut auf den Punkt gebracht, als er sagte: "Die Demokratie ist die Schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von allen anderen." Gut, wenn wir Schweizerinnen und Schweizer uns immer wieder ins Bewusstsein rufen, wie wertvoll unsere direktdemokratische Tradition ist.
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Bikemate
30.11.2022 16:43registriert Mai 2021
Wenn ich mir die Kommentare bei Facebook und einigen Online Zeitungen ansehe, bekomme ich das Gefühl auch in Europa gibt es sehr viele Feinde der Demokratie.
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Lordkanzler-von-Kensington
30.11.2022 19:10registriert September 2020
Demokratie und Bürger*innenrechte u.ä. ist nix, was man einmal "anschafft" und dann hat man das halt.
Es muss ständig gelebt, belebt, verteidigt werden. Uns geht es recht gut, wir vergessen es schnell und werden irgend bequem...Ich leider auch manchmal.
Das sollten wir aber nicht, sondern dieses Gut aktiv beschützen. Die Zunahme von Geschwurbel, der Ruf nach Führern und Autokratien, all das ist besorgniserregend.
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