Kann künstliche Intelligenz die Welt ein bisschen menschlicher machen? Kann sie die Menschen zusammenführen, Streit schlichten? Daran glaubt Google und hat in seiner KI-Abteilung DeepMind ein Tool zur Streitschlichtung lanciert: die «Habermas-Maschine», benannt nach dem deutschen Philosophen Jürgen Habermas.
Nun hat aber just dieses KI-Tool einen Streit befördert: Denn der weltberühmte Philosoph wurde von Google offenbar nie gefragt, ob sein Name für die «Habermas-Maschine» genutzt werden darf.
Von der Sache erfuhr Habermas von einem deutschen Journalisten. Matthias Pfeffer machte den Philosophen in einer E-Mail auf Googles «Habermas-Maschine» aufmerksam. Auf Habermas' Wunsch, so berichtete die «Süddeutsche Zeitung», leitete Pfeffer den E-Mail-Austausch an Googles KI-Abteilung weiter.
DeepMind sorgte 2015 für Schlagzeilen, als das britische Start-up, das kurz nach seiner Gründung von Google übernommen wurde, den besten Go-Spieler schlug. Etwas, was bis dahin viele Experten nicht für möglich gehalten hatten, da das chinesische Brettspiel ungleich mehr Möglichkeiten kennt als Schach.
Letztes Jahr wurde DeepMind-Gründer Demis Hassabis zusammen mit zwei Protein-Forschern der Nobelpreis für Chemie verliehen. Seiner künstlichen Intelligenz AlphaFold gelang es, die Struktur von komplizierten Proteinen im dreidimensionalen Raum präzise vorherzusagen – etwas, was für die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung von neuen Medikamenten essenziell ist.
Kann, wer «eines der grössten biologischen Rätsel» («Der Spiegel») löst, auch eines der grössten menschlichen Probleme lösen? Was taugt die künstliche Intelligenz als Streitschlichter? Für Habermas ist klar, dass es nicht möglich ist, den Prozess der menschlichen Konfliktlösung an eine Technik zu delegieren. Denn, so zitiert die «Süddeutsche Zeitung» Habermas aus dem Mail-Verkehr: «Jedem Diskursteilnehmer wird in persona die anspruchsvolle Aufgabe einer sensiblen gegenseitigen Perspektivenübernahme zugemutet.»
In seiner «Theorie des kommunikativen Handelns» formuliert Habermas Idealbedingungen für eine Debatte, in der alle Teilnehmer gleichberechtigt sind und sich deshalb stets das beste Argument durch rationale Überzeugungskraft und ohne äusseren Druck durchsetzt. Oder anders gesagt: Es herrscht der «zwanglose Zwang des besseren Arguments».
Bei der «Habermas-Maschine», die nun nicht mehr so heissen darf, soll die KI zwischen den Streitenden moderieren und dafür sorgen, dass möglichst ideale Diskursbedingungen herrschen. Gemäss einer in der Fachzeitschrift «Science»veröffentlichten Studie funktioniert das gar nicht so schlecht. So erreichte die Maschine als Vermittlerin zwischen zwei Gruppen mit unterschiedlichen Meinungen bessere Resultate als menschliche Mediatoren. Die von der KI vorgeschlagene Konsensmeinung wurde durchschnittlich von 56 Prozent der Teilnehmer akzeptiert – jene der Mediatoren nur von 44 Prozent.
Auch Jürgen Habermas und Google sind in ihrem Streit zu einem Konsens gelangt. Google verzichtet künftig auf die Nutzung des Namens, versichert, dass dieser aus Respekt gewählt worden sei, und bedauere zutiefst, dass Habermas damit nicht einverstanden war. Nicht bekannt ist, ob die von Google verfassten verständnisvollen und vermittelnden Worte mit der ehemaligen «Habermas-Maschine» zustande gekommen sind.