Hunderte Milliarden Euro für Verteidigung und Infrastruktur und das alles zusätzlich zum normalen Bundeshaushalt – das sieht ein Gesetzesvorhaben von CDU, CSU, SPD und Grünen vor. Doch das riesige Finanzpaket soll gänzlich aus Schulden finanziert werden. Darum sind für das Vorhaben Änderungen des Grundgesetzes vorgesehen.
Noch ist nicht sicher, ob das Schuldenpaket die letzten Hürden nimmt. Nach dem Bundestag muss auch der Bundesrat noch zustimmen. Was genau beinhaltet der Kompromiss? Was haben die Grünen hineinverhandelt? Und warum entscheidet der alte Bundestag über das Paket?
Im Grunde sieht die Einigung von CDU, CSU und SPD mit den Grünen drei Dinge vor, die künftig die Schuldenaufnahme erleichtern sollen: Die Schuldenbremse soll bei der Verteidigung und für die Bundesländer gelockert werden. Zudem soll ein Sondervermögen für die Infrastruktur beschlossen werden. Konkret sieht das so aus:
Die kommende Regierungskoalition besteht aller Voraussicht nach aus CDU, CSU und SPD. Weder im alten noch im neuen Bundestag haben die Fraktionen der Union und der Sozialdemokraten gemeinsam eine Zweidrittelmehrheit. Um die nötige Mehrheit zu erreichen, sind sie auf die Stimmen der Grünen angewiesen – was diese in eine gute Verhandlungsposition gebracht hat.
Für eine Zustimmung machten die Grünen zur Voraussetzung, dass das Geld in «zusätzliche» Vorhaben fliesst. So darf es nur genutzt werden, wenn im Kernhaushalt selbst bereits angemessene Investitionen eingeplant sind. Die Grünen hatten befürchtet, dass Union und SPD das Geld andernfalls nutzen könnten, um ohnehin geplante Vorhaben zu finanzieren und so im Haushalt Platz für Wahlgeschenke zu machen.
Als wichtigster Verhandlungserfolg der Grünen gilt die Vereinbarung, dass 100 Milliarden Euro des 500-Milliarden-Pakets in den Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft fliessen sollen. Sie werden, so lautet der Beschluss der drei Fraktionen, dem bereits bestehenden Klima- und Transformationsfonds (KTF) zugeführt. Die Formulierung «Klimaneutralität bis 2045» soll auf Drängen der Grünen gemeinsam mit dem Finanzpaket ins Grundgesetz geschrieben werden.
Zudem konnten die Grünen durchsetzen, dass der Begriff der Verteidigungsausgaben erweitert wird. Unter die Lockerung der Schuldenbremse bei den Verteidigungsausgaben sollen so auch Investitionen in den Zivilschutz, in die Cybersicherheit und für die Nachrichtendienste fallen sowie die Unterstützung von völkerrechtswidrig angegriffenen Staaten wie der Ukraine. Nicht durchsetzen konnten sich die Grünen hingegen mit der Forderung, die Schwelle für die Ausnahme von der Schuldenbremse von einem Prozent auf 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung hochzusetzen.
Geplante Einnahmen und Ausgaben des Bundes müssen sich im Bundeshaushalt wiederfinden, der den Vorgaben der Schuldenbremse unterliegt. Diese verfassungsrechtliche Regelung sieht vor, dass die strukturelle Neuverschuldung des Bundes – mit einigen Ausnahmen – maximal 0,35 Prozent des BIP betragen darf.
Ausgenommen von der Schuldenbremse sind sogenannte Sondervermögen. Sie sind immer bestimmten, festgelegten Zwecken gewidmet und finanzieren oft mehrjährige Massnahmen. Laut Rechnungshof gibt es auf Bundesebene derzeit 29 solcher Sondervermögen, hinzu kommen weitere Sondervermögen auf Bundesländer-Ebene. Die jüngsten grossen Sondervermögen stammen aus dem Jahr 2022: Damals gab es 200 Milliarden Euro zur Bewältigung der gestiegenen Energiepreise sowie 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.
Verwaltet und abgerechnet werden Sondervermögen getrennt vom übrigen Bundesvermögen, eingerichtet werden sie per Gesetz. Wenn das Gesetz dies vorsieht, dürfen Sondervermögen auch per Kredit finanziert werden. Das geplante Sondervermögen für Infrastruktur soll komplett aus Krediten finanziert werden.
Nachdem sich die Fraktionen der Unionsparteien, der SPD und der Grünen auf eine Vorlage für eine Grundgesetzänderung geeinigt hatten, tagte am Sonntag der Haushaltsausschuss des Bundestages in einer Sondersitzung. Dabei wurde beschlossen, dem Parlament zu empfehlen, für die geplante Änderung zu stimmen.
Nachdem diese Hürde genommen wurde, stehen nun zwei wichtige Abstimmungen an. Am Dienstag tagt das Plenum des Bundestages in seiner alten Besetzung. Darin haben Union, SPD und Grüne einen Puffer von 31 Stimmen. Allerdings sind viele Parlamentarier des alten Bundestages im nächsten nicht mehr vertreten. Es wird ihre letzte Abstimmung sein – und es ist möglich, dass sie deshalb nicht wie sonst üblich entlang der Fraktionslinie abstimmen oder abwesend sind. Aktuell kursieren Berichte über mehrere Abweichler, weshalb die Spitzen der drei Fraktionen ihre Mitglieder zur Disziplin auffordern.
Sollten zwei Drittel der Parlamentarierinnen und Parlamentarier am Dienstag für die Gesetzesvorlage stimmen, stimmt am Freitag im nächsten Schritt der Bundesrat als zweites Gesetzgebungsorgan darüber ab.
Für das geplante Schuldenpaket sind drei Änderungen des Grundgesetzes erforderlich. Diese können im Bundestag und Bundesrat nur mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. In seiner alten Zusammensetzung haben Union, SPD und Grüne gemeinsam eine entsprechende Mehrheit. Im neuen Bundestag haben Linke und AfD gemeinsam eine sogenannte Sperrminorität. Deshalb wollen Union, SPD und Grüne in einer Sondersitzung in alter Zusammensetzung über das Paket abstimmen, bevor der neue Bundestag einberufen wird.
Unter einer Sperrminorität versteht man einen Stimmenanteil, der zwar eine Minderheit der Gesamtstimmen darstellt, zugleich jedoch ausreicht, um eine qualifizierte Mehrheit zu verhindern. Qualifizierte Mehrheiten wiederum sind im Falle des Bundestages bestimmte Mehrheiten, die durch das Grundgesetz, die Geschäftsordnung des Parlaments oder durch ein Bundesgesetz vorgesehen sind, um einen Beschluss zu treffen oder eine Wahl abzuhalten. Da die Linke und die AfD beide bei der Bundestagswahl im Februar Stimmen dazugewinnen konnten – und weil das Parlament durch das Ausscheiden der FDP zudem künftig anders zusammengesetzt ist –, können die beiden Parteien gemeinsam eine qualifizierte Mehrheit für eine Verfassungsänderung verhindern.
Im Bundesrat sind die Regierungen der 16 Bundesländer vertreten. Sie haben abhängig von der Bevölkerungszahl zwischen drei und sechs Stimmen. Für eine Grundgesetzänderung sind 46 der 69 Stimmen notwendig, wobei Enthaltungen wie Gegenstimmen gewertet werden.
Das Grundgesetz sieht vor, dass die einzelnen Landesregierungen im Bundesrat einheitlich abstimmen. Können sie sich nicht einigen, werden ihre Stimmen als ungültig gewertet – und gleichen ebenfalls einer Gegenstimme. Während von CDU, CSU und SPD sowie voraussichtlich von den Landesvertretern der Grünen eine Zustimmung zu erwarten ist, haben andere Parteien Vorbehalte gegen das Schuldenpaket. Die FDP lehnt eine Lockerung der Schuldenregeln grundsätzlich ab, Linke und BSW stellen sich gegen die Mehrausgaben für Verteidigung. Auch die AfD und die in Bayern mitregierenden Freien Wähler kritisierten das geplante Finanzpaket.
Insgesamt haben die Bundesländer, die nur von Kombinationen aus CDU, SPD und Grünen regiert werden, 41 Stimmen – und somit fünf zu wenig. Nötig wären entweder die sechs Stimmen aus Bayern oder eine Kombination aus zwei anderen Bundesländern. FDP, BSW und Linkspartei sind jeweils an zwei Landesregierungen beteiligt, könnten also ebenfalls für die Zweidrittelmehrheit sorgen.
Am Montagabend teilten CSU und Freie Wähler in Bayern mit, im Bundesrat gemeinsam für das Finanzpaket stimmen zu wollen. Damit gilt die Zweidrittelmehrheit im Bundesrat als so gut wie sicher.
AfD und Linke haben versucht, die geplante Sondersitzung des Bundestages zum Finanzpaket von Union und SPD gerichtlich zu stoppen. Damit scheiterten sie jedoch: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verwarf die entsprechenden Eilanträge der Fraktionen sowie weitere Anträge von Abgeordneten als unbegründet.
AfD-Chefin Alice Weidel hat behauptet, 100 Milliarden Euro aus dem Schuldenpaket würden «für klimaideologische Projekte verbrannt». Dafür, dass CDU-Chef Friedrich Merz Kanzler werden könne, müssten «Generationen teuer bezahlen».
Für die Linke stellt der Kompromiss von Union und SPD mit den Grünen hingegen einen «Blankoscheck für die Aufrüstung» dar. «Für den sozialen Ausgleich im Land gibt es mal wieder nichts», sagte Fraktionschefin Heidi Reichinnek. Durch die hohe Verschuldung entstehe ein erheblicher Konsolidierungsdruck. Daher drohten noch mehr Kürzungen und Streichungen im sozialen Bereich, sagte Reichinnek. Zudem sei die «historische Chance auf eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse» nun verspielt.
Nach den Anträgen von AfD und Linken starteten mehrere Abgeordnete weitere Versuche, den geplanten Beschluss zu verhindern. Nach Angaben des höchsten deutschen Gerichts vom vergangenen Freitag waren noch drei Organstreitverfahren und vier Verfassungsbeschwerden anhängig.
Unter anderem stellten drei FDP-Abgeordnete einen Eilantrag in Karlsruhe. Sie argumentieren, die Beratungszeit für das Schuldenpaket reiche nicht aus. Verfassungswidrig sei vor allem, dass nur drei Tage vor der endgültigen Abstimmung weitere gravierende Änderungen vorgelegt worden seien, etwa eine Regelung zur Klimaneutralität bis 2045.
Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa und Reuters.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.