Tyler ist Testosteron. Und Tyler ist Polizist. Vor allem zweiteres finde ich sexy. Dass Tyler mit Handschellen auf einer Dating-Plattform posiert, verzeihe ich ihm in meiner Euphorie. Man soll ja nicht immer so oberflächlich sein. Auch auf Dating-Apps nicht. Haha.
Also finde ich auch die französische Bulldogge, die Tyler hält, nicht sooo schlimm. Den Gedanken an die Weltmeere an Hundesabber in seinem Bett schiebe ich ganz schnell zur Seite. Weil Tyler ist Polizist. Und ich wollte schon immer mal einen Polizisten daten.
Ich hab Glück. Tyler und ich matchen. Ich gehe in die Offensive und frage, ob er ein Experiment wagen will. Direkt abmachen ohne Chatterei? Tyler will. Und zwar noch heute.
Wir treffen uns um 21 Uhr irgendwo am Fluss. Tyler hatte bis eben noch Schicht. Ein in seinen Worten «nicht sehr ereignisreicher Tag»; Diebstahl in einem Lebensmittelladen, ein glimpflich ausgegangener Verkehrsunfall, Ruhestörung.
Dann noch Büroarbeit. Ich bin leicht enttäuscht. Ich hab mir mehr Crime erhofft. Seit ich True-Crime-Podcasts-süchtig bin, vermute ich ja an jeder Strassenecke übelste Verbrechen.
Ob es nicht mehr Action gibt, frage ich. «Doch, doch», sagt Tyler. Dealer, Prostitution, derbe Wochenenden, Frauenhandel, Kindesmissbrauch, alles. Das beelendet mich nun bereits wieder und ich will doch nicht mehr dazu wissen.
Also stelle ich Tyler ein paar Fragen zum Darknet. Ob dieses seinen Job nicht sehr viel schwieriger macht. Und wie sie Tätern da überhaupt auf die Spur kommen. Und wie gross das Verbrechen drüben im geheimen Internet denn so ist. Tyler erzählt und erzählt. Ich hänge fest an seinen Lippen. Tyler ist ein guter Geschichtenerzähler. Er kann Dramaturgie, Spannung und Witz.
Und während er mir weiterhin Krimis erzählt, schaue ich ihn zum ersten Mal richtig an.
Tyler hat eine Frisur, bei der ich das Gefühl nicht loswerde, dass er sie alle zwei Wochen akkurat nachschneiden lässt.
Die Hose, die er trägt, ist sehr eng. Der Sitz ist sehr breitbeinig. Tyler scheint gerne zu zeigen, was er hat und was er hat, ist (glaubs?) recht gross. Jetzt ist es aber so, dass mich all das null anzieht. Tyler ist ganz einfach ganz und gar nicht mein Typ.
Ich finde das easy. Die Gespräche, beziehungsweise seine Geschichten, sind genug spannend dafür, dass ich mich hier nicht langweile. Dass kein Dialog stattfindet, ist mir recht. Ich habe nicht das Bedürfnis, Tyler aus meinem Leben zu erzählen.
Er dafür umso mehr. Ich erfahre, dass die Bulldogge bis jetzt die grösste Liebe seines Lebens ist. Sie schläft mit ihm in seinem Bett (!!!). Tyler ist auch aktives Crossfit-Mitglied. «Wir sind da eine Familie!» Tyler mag sein Mami. «Sie ist, neben meiner Hündin, die beste Frau in meinem Leben.» Und Tyler sammelt Buddhas. «Ich war mal in Thailand, da hat es mich gepackt.»
Es ist kurz nach 23 Uhr, als mir Tyler zum ersten Mal eine Frage stellt. Wie es sein kann, dass so eine hübsche und intelligente Frau wie ich Single ist. Ich weiss nicht, ob es eine Frage gibt, die ich noch hohler finde. Ich meine, was antwortet man da? Ausserdem impliziert die Frage, dass Singlesein falsch/böse ist.
Ich labbere biz irgendwas, bevor sich Tyler dem fishing for compliments widmet. Was ich denn so geil finde an Polizisten. Ob es denn - ZWINKER ZWINKER - die Handschellen sind, oder doch eher der Prügelstock «wännd weisch wasi mein!?».
Okay. Tyler hat schon einige Drinks intus. Ich nicht. Tyler will jetzt flirten. Ich nicht. Tyler will mal die Lage abchecken und berührt mich zufällig. Ich zucke sehr unzufällig zurück. Das schnallt Tyler aber nicht.
Ich sage, dass ich langsam aufbrechen will. Muss morgen früh raus. Bla Bla. Bin müde. Bla Bla. Will grad noch sagen, dass mein Herz noch nicht offen ist für was Neues, Bla Bla, als er mir zuvor kommt.
«Ich sehe dir an, dass du ein ganz, ganz böses Mädchen bist. Ich hab Handschellen im Auto. Ich glaube fast, dass ich dir die anlegen muss, Frölein.»
Ok. Shit. Jetzt gilt: Nix wie weg hier.
Ich sage sehr freundlich, dass ich grad null in Stimmung bin.
«Der Appetit kommt beim Essen», meint er. Oder beim Dirty Talk. Da stehe er sehr darauf. Und ich sicher auch. Er kann es mir ansehen.
Ich lache. Und sage nein. Ich betone, dass mir wenig einfällt, das ich unsexier finde als Dirty Talk auf Schweizerdeutsch.
Tyler gibt auf.
Beim Verabschieden sagt er, dass ers schade findet, dass er jetzt alleine nach Hause muss. Er sehe mir wirklich an, dass das eine gute Nacht hätte geben können.
Dann eine kurze Umarmung und Tschüss.
«Emma, wart schnell!»
«Ja?»
«Du hast doch da diese bisexuelle Freundin, die auch einen Hund hat. Ist sie Single?»
«Ja!»
«Geil, die ist sicher auch ein sehr böses Mädchen. Du kannst ihr sehr gerne meine Nummer geben!»
Nun, liebe Cleo, sag mal, bist du denn ein ganz, ganz böses Mädchen, das sich von Testosteron-Tyler abführen-verführen lassen will?
PS: Habt ihr True-Crime-Podcast-Tipps?
PPS: Ich bin aktuell in den Ferien und beachte das Internet nicht wirklich, deswegen müsst ihr heute ohne mich haten, lieben, kommentieren. Und du, Cleo, du hast ja meine Nummer, si jamais.
Adieu,