Sophie ist neben Cleo meine beste Freundin. Sophie ist Mami. Sie hat eine knapp dreijährige Tochter und einen ein paar Monate alten Sohn. Was Sophie nicht mehr hat, ist Sex, High Heels, frisch gesträhnte Haare.
Seit Sophie Mama ist, sieht Sophie abgekämpft aus. Verständlicherweise. Die zwei Kartoffeln sind anstrengend. Versteht mich nicht falsch. Sophies Kartoffeln sind ganz wunderbare Kartoffeln. Sie sind herzig und lustig und hübsch und ganz zauberhaft.
Die Grosse hat mich neulich gefragt, warum meine Beine plötzlich «so dick» sind. Die Kartoffel hat nicht Unrecht. Der angefressene Weihnachtsspeck ist noch nicht ganz weg.
Ich treffe Sophie und ihre Crew oft zum Mittagessen. Während wir früher in hippen Restis Rindsfilet und Wein noch vor 12 Uhr bestellten, treffen wir uns jetzt in so Grossverteiler-Restaurants.
Der Grund: Da gibt's Kinderecken, Hochstühle und Buffets à discretion für 6.90. Wir treffen uns meist schon um 11. Damit die Kartoffel bis 11.30 Uhr spielen kann. Dann Essen, dann Tschüss! Der Mittagsschlaf! Das Zeitfenster ist sehr fix. Abweichungen gehen nicht, weil dann das ganze Konstrukt zusammenfällt.
So geht das Tag für Tag für Tag für Tag!
Keine Frage, Sophie scheisst das an. Ihren Mann auch. Sie sind sich jedoch bewusst, dass es sich nur um ein paar Jahre ihres Lebens handelt. Damit können sie leben. Aus Liebe zu den Kartoffeln.
Neulich ist es mal wieder so weit. Ich bin bereits um kurz vor 11 da. Ich setze mich an den Tisch bei der Kinderecke. Hier sind schon andere Kartoffeln am Rumturnen. Eine schreit. Warum, weiss man nicht. Weiss auch die sehr gestresste Mutter nicht. Sie versucht die Kartoffel mit Nuggi, Schoppen und Nuschi zu trösten. Ohne Erfolg. Die Kartoffel haut jetzt in seiner blinden Wut auf eine kleinere Kartoffel ein.
Eine andere Kartoffel sitzt seelenruhig auf der Rutschbahn. Rutschen will sie nicht. Die Schlange hinter ihr ist ihr egal. Die Mutter des im Sitztstreik verharrenden Buben versucht ihn zu überzeugen zu rutschen. Meltdown seinerseits!
Nun kommen zwei andere Mütter mit ihren Kartoffeln an. Eine schreit sich im Buggy die Seele aus dem Leib. Sie will nach Hause. Die andere Kartoffel ist easy, will aber nicht spielen, weil sie die Kinder hier nicht kennt. Die Mutter muss nun kurz mal. Jetzt schreit die gechillte Kartoffel. Mama darf nicht gehen! Mama tut mir wahnsinnig leid. Sie nimmt die Kartoffel unter den Arm und läuft Richtung WC.
Nicht mal in Ruhe pinkeln. Arme Mama. Sophie kennt das. Sie weiss nicht, wann sie zuletzt in Ruhe kacken konnte.
Nun ist es 11.30 Uhr. Wir müssen SOFORT ans Buffet. Kalte Fritten, lieblos gekochte Rüebli und Pasta mit schlechter Sauce en masse.
Ich entscheide mich für Rösti (miserabel gewürzt) und eine lauwarme Bratwurst. Bis wir am Platz sind, ist die Wurst nicht mehr lau, nein, sie ist kalt. Kein Wunder. Bis wir nämlich zurück sind, hat Sophies Kartoffel 3 Teller ausgeleert, 2 Becher Sirup verschüttet und der Kleine hat massiv gekackt. Weil er volle Windeln hasst, schreit er den Laden zusammen.
Bis Sophie überhaupt anfangen kann zu essen, muss sie los.
Der Mittagsschlaf.
Nach 1,5 Stunden mit ihr und den Kartoffeln konnten wir kein Wort miteinander wechseln, keinen Gossip austauschen und schon gar nicht in Ruhe nur schon einen Schluck Kaffee trinken.
Für Sophie ist das völlig okay. Für mich auch. Weil es Sophie ist. Weil ich weiss, dass es so ist, wenn wir uns treffen. Und weil unsere Freundschaft genug stabil ist, um auszuhalten, dass es zurzeit so ist, wie es ist.
Ausserdem habe ich Sophie noch nie so glücklich gesehen wie jetzt, mit Augenringen, Haaransatz und in Mom-Jeans. Das könnte mich nicht mehr freuen.
Ich derweil erlebe meinen Happy-Moment, als ich das Restaurant verlasse. Und in Richtung Lieblingscafé spaziere, wo ich eine Stunde lang in aller Ruhe auf mein Handy starren und Cappuccino trinken kann. Ich könnte das auch zwei oder drei Stunden tun. Ich Glückliche.
Ich denke an Sandro. Und seinen Kartoffeln-Wunsch. Den er ja immer noch hat. Mich deswegen aber nicht verlassen will. Aber nicht weiss, ob und wann und wie es doch über ihn hereinbricht. Eine Situation, vor der ich Respekt habe.
Ich zück mein Handy und schreibe ihm:
«Sollen wir uns eigentlich wegen der Kartoffeln-Sache mal professionellen Rat anhören? Einmal Paartherapie? Ich war noch nie in einer. Du auch nicht. Es wäre ein neues, erstes Mal. Wir lieben erste Male. Und wir lieben uns. Und wollen uns. Hot or not?»
«Hot», schreibt er.
We’re coming, schwarze Couch! Und reden dann vielleicht auch darüber, dass ich bei «schwarze Couch» an Pornos denken muss.
Die Ausgeburt der Hölle aka Grossverteiler Restaurants tue ich mir weder mit oder ohne Kind nicht an, dafür ist meine Zeit zu kostbar.
Sicher nicht in einem Restaurant treffen. Solange es draussen nicht gerade hagelt trifft man sich auf dem Spielplatz. Da können die Kinder in umzäunter Umgebung sich müde laufen und streiten während wir uns in Ruhe unterhalten und snacken und trinken.
Zwar gibts keine Mimosas mehr dafür frische Früchte und Vollkornguezli.