Es müsste alles super safe sein. Die Fahrt dauert nur knapp drei Stunden. Der Ort: ein winziges Dörfli in Österreich. Hoch über dem Meeresspiegel. Drumherum Natur pur. Und mittendrin ein Luxustempel, der nur Erwachsenen Zugang erlaubt.
Für einen ersten Trip als Liebespaar finden es Sandro und ich perfekt. Den Tipp haben wir von seiner Schwester bekommen, die Luxus liebt und sich nicht lumpen lässt, wenn sie schon mal ohne Kartoffeln verreisen kann.
Wir packen also ein paar Dinge und fahren am Samstagmorgen früh los. Wir bleiben drei Nächte. Haben Massagen, Dampfbäder, Aroma-Therapien und einen Tisch im krassen Restaurant gebucht.
Wir wollen möglichst nie das XL-Bett verlassen, möglichst viel vögeln, sehr toll essen und uns maximal verwöhnen lassen. Also ich. Sandro wäre ja auch mit einem verlängerten Weekend auf einem Campingplatz happy gewesen. Im Winter. Ohne WC in unmittelbarer Nähe. Aber das ist eine andere Geschichte.
Gegen Mittag stehen wir an der Rezeption, wo uns eine maximal überschminkte und maximal übermotivierte Dame begrüsst. Sie drückt uns zwei Zimmerschlüssel und fünf Flyer in die Hand. Wir müssen uuuuuuuunbedingt beim Pärchen-Bowling mitmachen. Sie kann uns jetzt gerade einen Platz reservieren.
Oder ob wir lieber zum Hotel-Jass-Plausch wollen? Da gibt's Bier for free. Vielleicht aber sind wir eher Dart-Spieler. Dann müssen wir uuuuuunbedingt am Sonntag um 11 Uhr im Raum Whatever sein.
Oder, sagt sie jetzt mit einer zuckersüssen Stimme, sind wir ja so richtige «Lovebirds», die «Adventure» lieben. Heute Abend um 22 Uhr gibts eine Nachtwanderung. Inklusive Lagerfeuer. Die Überschminkte schnalzt mit der Zunge und zwinkert mit dem rechten Auge.
Ich spüre Sandros panische Blicke. Sie zwicken mich in die Hüfte, in den Bauch, ins Gesicht, in die Seele.
Ich sage, wir überlegen es uns noch.
Sie sagt, die Plätze sind seeeehr begehrt und sie würde nicht mehr lange überlegen.
Ok, dann überlegen wir nicht lange und sagen Danke, entscheiden uns aber für die pure Zweisamkeit, sagt Sandro.
Mir ist es leicht unangenehm.
Der Überschminkten steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.
Wir nehmen die Schlüssel und verziehen uns.
Ok, das Zimmer ist krass. Riesig. Bett: XXXXXXXXL. Ich fühle mich wie Julia Roberts in «Pretty Woman». Während wir früher hier sofort mindestens 2, 3 Runden gevögelt hätten, nehme ich zuerst ein Bad in der runden Wanne.
Ich will das mit dem Julia-Roberts-Gefühl durchziehen.
Sandro raucht in der Zeit ein paar Zigaretten.
Post Zigi und post Bad ist dann doch noch prä Sex. Und während wir uns da grad wunderbar durch unser eigenes Kamasutra turnen, klingelt das Telefon. Ich kann nicht anders. Ich muss ran. Ich muss immer ran. Ich rechne nämlich bei jedem Anruf mit dem Schlimmsten. Oder mit dem Besten. Von Mord und Totschlag bis zu einer gewonnenen Million, ich kann mir alles vorstellen und will's wissen und geh drum ran.
Es ist die Überschminkte.
Sie hat vergessen zu sagen, dass es am Nachmittag, also in zehn Minuten, einen Workshop gibt. Meditation und Paarmassage. Ob wir wollen?
«Raten Sie mal!?», kläfft Sandro.
«Nein, danke», sage ich.
Der Sex-Flow hat sich ins Nirwana verabschiedet. Und das ganz ohne «Come as you are». Egal. Wir haben ja Zeit.
Am Abend freuen wir uns auf den 10-Gänger. Obwohl ich ja diese Haute Cuisine nicht verstehe. Was bringen mir zehn Gänge, wenn auf jedem Teller nur gerade mal knapp ein halber Biss drauf ist? Und dann noch Gänseleber oder Kaviar oder Schnecken?
Aber wir, also ich, sind ja jetzt 40 und dann macht man so Zeugs.
Ich trage Heels und Kleid und Strapsen. So edle. Eventuell hat's ja irgendwo ein Klavier, auf dem wir nach dem Essen rummachen können. Weil eben: Ich bin ja jetzt hier die «Pretty Woman».
Es hat kein Klavier.
Und was es hier auch nicht hat, ist Privatsphäre. Die Tische stehen hier sehr eng. Und die Paare an den Tischen kennen sich alle. Und all diese sich kennenden Paare wollen uns jetzt in ihre Community aufnehmen.
Sandro und ich aber wollen flüchten. Schwierige Mission. Der Zehngänger dauert Stunden. Irgendwann legt Sandro seinen Kopf auf den Tisch. Dann fragt er in die Runde, ob jemand kifft und mit ihm draussen eine Tüte rauchen will.
Einer will. Seine Frau will es ihm aber nicht erlauben.
Sandro legt den Kopf nochmal auf den Tisch.
Nun geht er raus und kommt ewig nicht wieder. Die letzten drei Gänge lassen wir die letzten drei Gänge sein.
Dann fahren wir raus. Zu einem Drive-in. Während wir auf unsere Burger warten, wollen wir Sex im Auto haben. Was nicht klappt, weil ich mich gerade von einem Hexenschuss erhole.
Statt eines Orgasmus für zwei gibt's jetzt halt einen Blowjob für einen. Für mich okay. Ist ja ein Geben und ein Nehmen, so ein Beziehungskonstrukt.
Im Hotel schleichen wir uns wie Verbrecher durch die Gänge. In unserem Zimmer hängen wir das «Bitte nicht stören»-Schild an die Türe. Das Telefon stecken wir aus. Wir verlassen den Raum nur noch für gebuchte Treatments. Das Essen bestellen wir aufs Zimmer.
Wenn man mich fragt, bin ich mit allem versöhnt. Der Grund ist simpel: «Pretty Woman»-Momente lassen mich easy über die allergrösste Scheisse hinwegsehen.
Sandro sieht's anders. Ich würde ihn ja gerne um ein Statement bitten. Aber er ist gerade busy. Mit Schwester zusammenscheissen.
Nennt mich einen Langweiler, aber den ganzen Tag vögeln und Essen bestellen kann ich auch zu Hause, das Bett mag zwar nicht XXXXXXL sein dafür ist die Essensauswahl grösser.