Nach der Trump-Supporterin wollte ich den Apps nochmals eine Chance geben. Bis zur Diskussion über Politik fand ich es ja völlig in Ordnung. Wir haben nicht zu lange hin und her geschrieben, der Abend war entspannt, die Nacht war gut, also so alles in allem konnte man die Sache unter Tinder-Erfolg abspeichern.
Diesmal bumbelte ich auf eine Frau aus der Zürcher Agglo zu. Gutes Profil, keine Katzen in den Bildern, keine crazy Filter, keine über-photo-shoppte Fotos, einfach eine normale Frau.
Die Eckdaten: 39 Jahre alt, 1,82 Meter gross, arbeitet irgendwas in einem Büro, hat keine Haustiere, will keine Kinder, trinkt häufig, raucht nicht, nimmt manchmal Drogen, Sternzeichen Widder und das Wichtigste: Auf der Suche nach «einfach locker daten».
Sagte sie auch noch in der ersten Nachricht. Sie sei nicht auf der Suche nach etwas Ernstem. Sie suche Spass. Das wolle sie einfach klarstellen, dass es keine falschen Erwartungen gebe. Leute, in meinen Ohren war das der geilste Dirty Talk seit Langem. Dann fragte sie, ob ich kinky sei und ich sagte, was man heutzutage auf so eine Frage antwortet. Ich sagte: «Logisch.»
Kinky, habe ich über die Jahre gelernt, ist ein grosses Wort. Einige finden es schon kinky, wenn man sie ein wenig härter anfasst. Andere haben ausgereifte Kinks, also sehr genaue Wünsche und Vorstellungen, was sie wollen.
Mein Lieblingskink, den ich irgendwo mal gehört habe: Jemand wollte, dass sein Gegenüber einen Apfel ass, weil es ihn so heiss machte, das zu hören. Der klassische Apfel-Geräusch-Kink. Hat mich amüsiert. Aber vielleicht stimmt die Story auch nicht. Vielleicht ist es nur eine Urban Legend, who knows.
Ich wurde noch nie an die Decke geknotet oder in ein Latex-Kostüm gezwängt. Vielleicht hat sich auch noch nie jemand getraut, einen wirklich aussergewöhnlichen Kink laut auszusprechen. Vielleicht macht man das erst, nachdem man eine Zeit lang zusammen ist. Vielleicht bin ich immer zu früh aus der Sache raus gewesen.
Die Frau jedenfalls, nennen wir sie Claudia, stand auf Rollenspiele. Erzählte sie mir beim Date. Sie möge das Spielerische. Das Sich-in-einer-Welt-verlieren. Das Anderssein. So.
Das sei schon immer so gewesen. Eine Weile war ihre Phase Diener-Königin. Ich sagte nichts dazu. Betreibe kein Kink-Shaming. Dann war es Polizist und Diebin. Dann Einbrecher und Frau, bei der eingebrochen wird. Über Monate lässt sie die Typen die Rollen spielen, die gerade aktuell sind. Also mehrere Typen, eine Rolle.
Ich muss dazu sagen, dass ich nie und nimmer erwartet hätte, dass sie auf so was steht. Das entlarvt mich jetzt als Banause, aber ich will hier ehrlich sein. Sie sah so unscheinbar aus, sprach so monoton, wirkte, wenn ich das nun sagen darf, so langweilig. Auch was sie sonst über ihr Leben erzählte. Sie hatte keine überraschenden Meinungen, keinen besonderen Humor, keine Hobbys, keine Interessen, einen 9-5-Job. Sie fand ihr Leben selber langweilig. Aber ihr Kink war spannend. Gebe ich zu. Auch, dass sie das so knallhart durchzog.
Nach dem dritten Cocktail verriet sie mir ihre aktuelle Phase: Lehrer-Schülerin.
Leute.
LEUTE!
Das geht nicht. Ehrlich. Ich wäre mehrmals in ihr Haus eingebrochen oder hätte sie als Polizist an die Wand gestellt, aber ich kann keinen Lehrer spielen. Das geht einfach nicht. Das f*ckt meine Realität.
Sie kam dann doch noch zu mir. Weil sie zu müde war, in die Agglo zurückzufahren. Wir hatten logischerweise Sex. Der Sex war: das Gegenteil von kinky. Sie spielte so gut mit, dass es nicht auffiel, dass sie sich eigentlich langweilte und ich spielte so gut mit, dass es nicht auffiel, dass ich merkte, dass es sie langweilte.
Am nächsten Morgen ging sie früh los und ich versuchte bei der Arbeit, ihren Kink zu vergessen.
So long,
Ben
Ist Ben in den Ferien?
Ich hoffe einfach, dass du deinen Schülern gegenüber ehrlicher bist 🤦