Warnhinweis: In dieser Geschichte geht es um Suizid. Wenn du dich mit dem Thema nicht wohlfühlst, dann solltest du diese Geschichte nicht oder nicht alleine lesen.
Am 29. März schrieb die 78-jährige Jacqueline Jencquel ihren letzten Blogeintrag bei der Westschweizer Zeitung «Le Temps».
«Die Welt gefällt mir nicht mehr. Es gibt keine Weisen und Philosophen mehr, die sie anführen. Nur noch fanatische Ideologien und Dummköpfe, die ihnen folgen. Paris ist schmutzig. Die Seine ist zu einem Müllhaufen geworden. Genauso wie die Seen und Ozeane auf der ganzen Welt.»
Danach beging sie in ihrer Wohnung in Paris Suizid. Jencquel litt an keiner unheilbaren Krankheit. Sie war gesundheitlich und geistig fit. Es war ihr fortschreitendes Alter, das sie dazu brachte, ihr Leben zu beenden.
«Ich will nicht in Windeln enden. Ich will nicht zittern, humpeln, sabbern oder stinken», schrieb Jencquel in ihrem 2020 veröffentlichten Buch «Terminer en Beauté».
Sie fürchte sich vielmehr vor der Abhängigkeit von anderen und dem eigenen Zerfall als vor dem Tod selbst. «Ich bin alt genug, um zu sterben», schrieb Jencquel in ihrem letzten «Le Temps»-Blogbeitrag. Der Titel des Blogs: «Das Alter ist eine unheilbare Krankheit».
Das erste Mal öffentlich wurde Jencquels Vorhaben in einem Video des französischen Online-Portals «Konbini». «Hallo, ich heisse Jacqueline, ich bin 74 und habe mich entschieden, im Januar 2020 mein Leben zu beenden», sagte Jencquels damals frontal in die Kamera.
Jencquels Aussagen eckten an. In Frankreich ist der assistierte Suizid verboten. Kritische Stimmen warfen ihr vor, ihr Leben aus rein oberflächlichen Gründen beenden zu wollen.
Doch Jencquel liess sich davon nicht beirren. Bis zu ihrem Tod kämpfte sie mit der «Vereinigung für das Recht, in Würde zu sterben» für eine Legalisierung des assistierten Suizids in ihrem Heimatland. Und sie begleitete Dutzende von Franzosen und Französinnen in die Schweiz, um ihnen dort einen assistierten Suizid zu ermöglichen.
Auch Jencquel plante 2020 mithilfe einer Schweizer Sterbeorganisation einen assistierten Suizid. Dazu kam es nicht. «Geplant gewesen wäre 2020», schreibt Jencquel in ihrem Blog. Das sei aber schwer zu realisieren gewesen. Ein guter Freund steckte in rechtlichen Schwierigkeiten und im Oktober kam ihr Enkel zur Welt.
Gegenüber dem französischen Magazin «Marianne» sagte Jencquel Ende 2021, dass sie es bereue, einen genauen Zeitpunkt gegenüber «Konibi» genannt zu haben. «Man hat mich auf dieses Datum festgenagelt.»
Über die zwei Jahre nach 2020 schrieb Jencquel: «Das Leben ging weiter. Trotz Covid und allem anderen. Ich traute mich nicht mehr, Termine festzulegen. Aber gleichzeitig wusste ich, dass ich gehen muss, weil ich nicht jünger wurde. »
Anfang dieses Jahres entschied sich Jencquel endgültig für den Suizid. Sie habe ein schönes Leben gelebt. Es sei nun Zeit, zu gehen, schrieb die 78-Jährige.
In ihren letzten Zeilen holt Jencquel noch einmal aus. Sie schiesst gegen die Gesetze in Frankreich. Es sei nicht erlaubt, dann zu sterben, wann man will. Frankreich sei ein Land, das «stolz darauf ist, Waffen zu exportieren, die zum Töten verwendet werden». Gleichzeitig verbiete man alten Menschen aber, in Begleitung zu sterben.
Jencquel starb ohne Begleitung. Entgegen ihrem Vorhaben, in der Schweiz einen assistierten Suizid zu begehen, blieb sie in Paris. «Ich hatte keine Lust ins Exil zu gehen, um zu sterben», so Jencquel.
'Kritische Stimmen warfen ihr vor, ihr Leben aus rein oberflächlichen Gründen beenden zu wollen.'
Weil wir ja sonst im Leben nichts aus oberflächlichen Gründen tun. Selbst wenn es der Fall gewesen wäre, bliebe es ihr gutes Recht.
Bon Voyage Madame