Reden wir mal über die Haut. Sie ist die Membran zwischen unserem Innen und dem ganzen Aussen. Was wir wahrnehmen und zu uns nehmen und tun, wirkt sich immer auch auch auf unsere Haut aus. Kälte und Hitze greifen sie an, schon nur eine Papierkante ist stark genug, sie zu zerschneiden, essen wir zu ungesund, kriegen wir Pickel, und manche Dinge fühlen sich so unfassbar angenehm an, dass wir süchtig danach werden – Kaschmirpullis, Sonnenstrahlen am Morgen und vor allem andere Haut.
Wenn wir unsere Haut weder verbergen noch überschminken, so drückt sie zuverlässig alles aus, was wir mit Blicken oder Gesten im Zaum zu halten versuchen: Wir erröten oder erbleichen, Erregung wird sichtbar, wir schwitzen oder haben Hühnerhaut. Es ist die ganz grosse Leinwand der Emotionen.
Und schon sind wir mitten in «Young Royals», der ungeschminktesten Serie seit «Skins», die das Thema Haut bereits im Titel trug. Aber nehmen wir noch einen kleinen Umweg: Die britische Young-Adult-Serie «Skins» lief von 2007 bis 2013 (und läuft aktuell auf Netflix), «About a Boy»-Star Nicholas Hoult und ein damals noch nie gesehener Debütant namens Dev Patel spielten mit und Hannah Murray, aus der später die süsse Bibliothekarsbraut Gilly in «Game of Thrones» wird.
«Skins» zeigt Kids aus Bristol, die mit allem kämpfen, was die Teeniezeit zum Horror macht, Liebe, Pickel, Eltern, Drogen, Magersucht. Manche Episoden sind harter Realismus, aber immer zuckt irgendwo ein überschwängliches und sehr komisches Herz. «Skins» ist sehr viel echtes, verschämtes, verschwitztes Jungsein. «Skins» ist ein Stück nachvollziehbarer Normalität. Und gerade damit eine Seltenheit.
Denn üblicherweise gehen Young-Adult-Serien durch die Lackieranlage der Instagramisierung: Von «Gossip Girls» über «Thirteen Reasons Why», «Pretty Little Liars», «Tiny Pretty Things», «Emily in Paris» bis hin zur spanischen Hochglanzlimousine «Elite» werden die jungen Leute von heute immer schöner, ihre Klamotten immer teurer, ihr Sex imitiert Pornofilme, ermüdend oft beginnen sie mit der Leiche einer schönen jungen Frau.
Und damit sind wir endlich bei «Young Royals» angekommen, der hinreissenden Young-Adult-Serie aus Schweden von Lisa Ambjörn, Lars Beckung und Camilla Holter. Die Handlung ist einfach: Der kleine Prinz Wilhelm (Edvin Ryding) möchte normal sein. In eine normale Schule gehen, normal an Partys abstürzen – aber da Letzteres zu einem Medienskandal wird, ist Ersteres nicht mehr möglich.
Die Strafe heisst: ab ins Elite-Internat Hillerska. Zu seinesgleichen. Wo nicht nur Wilhelm Probleme mit seinem Elternhaus hat. Wir kennen das ja aus «The Crown»: Privilegierte leiden schöner und irgendwie auch schwerer als wir Normalgeborenen. Immer sind sie von irgendwas traumatisiert oder werden in ein Korsett gezwängt oder müssen auf Freiheiten verzichten.
Damit die Kids von Hillerska merken, wie privilegiert sie eigentlich sind und wie bescheuert ihre Probleme wirken (Hilfe! Meine Mutter will, dass ich reite!), ist da auch noch das sozial benachteiligte Geschwisterpaar Simon (Omar Rudberg, im echten Leben ein schwedischer Popstar) und Sara (Frida Argento). Beide sind mit einem Hochbegabten-Stipendium ausgerüstet, doch das ist auch das einzige, womit sie das Leben belohnt hat.
Natürlich verlieben sich Wilhelm und Simon. Ein schwuler (oder bi- oder pansexueller) schwedischer Prinz also. Was schon im Fussball schwierig ist, ist im höfischen Kontext undenkbar. Und je stärker Wilhelms unter dem Einfluss seiner Emotionen und Hormone steht, desto heftiger reagiert seine Haut mit Pickeln.
«Young Royals» kennt keinen Lack und kaum Make-up, die Liebesgeschichte ist so peinlich, linkisch und von aussen betrachtet bei aller Rührung auch ganz leicht unappetitlich wie jede erste Liebesgeschichte. Und auch die Royalen sind irgendwie nicht richtig royal, sondern leicht unbeholfen verkleidete Leute, die lieber gemeinsam in der Schlossküche sitzen als zu repräsentieren. Sie machen halt einen Job.
Wir folgen jungen Menschen aus Fleisch und Blut, die noch nicht in den Verwertungsketten der Erwachsenen denken. Das Geld, das ihre Eltern haben oder nicht oder verlieren, gebiert nur Stress und Kummer. Verlustangst, Kleinkriminalität, Tablettensucht, Bullying, Asperger – alles ist da. In jeder amerikanischen Serie würde sich daraus mindestens ein spektakulärer Suizid ergeben, «Young Royals» bleibt näher an einer möglichen Wirklichkeit. Näher auch am banalen Alltag eines Publikums.
Der Sechsteiler ist berührend nah an jener Lebensphase, in der (noch) keine Entscheidung vielleicht die einzig mögliche Entscheidung ist und es zielführend sein kann, sich treiben zu lassen, und sei es nur dazu gut, sich für einen Moment endlich wohl in seiner Haut zu fühlen. Denn darum geht es ja in der Pubertät vor allem. Um diese Suche nach dem kleinen Glück im grossen Chaos. In Schweden hat man dafür ein besonderes Gespür.
«Young Royals» läuft auf Netflix. «Skins» ebenfalls. Beide Serien soll man UNBEDINGT im Original mit Untertiteln schauen.