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Netflix-Hit «Kitz»: Ist das für 6-Jährige?

Netflix-Serie «Kitz»
Nur wer hoch hinauffährt, kommt auch hoch hinaus. Lisi und Nessa bei einem alpinen Fashionshooting.Bild: Netflix
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Netflix-Hit «Kitz»: Ist das für 6-Jährige?

Die österreichische Ski- und Party-Destination Kitzbühel hat jetzt ihre eigene Serie. Und unser Leben ist jetzt um das Schimpfwort «Mistbritschn» bereichert.
14.01.2022, 19:48
Simone Meier
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Diesem Artikel liegen mehrere Einschätzungen zugrunde. Sie stammen von repräsentativen Serien-Seherinnen aus dem innersten Kreis von watson und stehen für die Kernkompetenz unseres redaktionellen Serien-Verständnisses. Spoiler: Die Einschätzungen sind vernichtend. Wäre «Kitz» ein Rehkitz, es würde sich aus Scham gerade selbst in einen Rehpfeffer verwandeln. Der würde wenigstens schmecken.

In Deutschland, Österreich, der Schweiz und vermutlich auch Liechtenstein ist «Kitz» dennoch ein Hit. Schliesslich war es ja auch mal Zeit, dass Netflix das deutschsprachige «Gossip Girl» oder «Elite» oder «Emily in Paris promotet Après-Ski-Apéros» oder überhaupt etwas aus der Abteilung liefert, wo junge Leute mit komplexem Make-up und Insta-Fame auf sogenannt echte Probleme treffen. Und wer eignete sich – so unterhaltungsgeschichtlich gesehen – besser dazu als junge Menschen aus München?

Denn dass die Münchner besonders blasiert, dekadent, egozentrisch, verkokst, auto- und champagnersüchtig und überhaupt – so will es das Klischee – die Überzürcher von Deutschland sind, weiss man ja spätestens seit TV- und Kinoereignissen der 80er- und 90er-Jahre wie «Kir Royal» oder «Rossini».

Die Münchner Kids aus «Kitz», die sich alle kleiden wie DJ Antoine und Paris Hilton in jungen Jahren, stehen da in einer astreinen Erfolgs-Erbfolge.

Das geht dann so (für die drei, die's noch nicht gesehen haben): Das blonde Münchner Insta-Starlet Nessa von Höhenfeldt (Valerie Huber) und ihr schwarzer Boyfriend, der künftige Autodesigner Dominik (Bless Amada vom Burgtheater) fahren zur «epischsten» Silvesterparty in ihr Kitzbüheler Luxuschalet. Die angehende Modedesignerin und Kitzer Skilehrertochter Lisi Madlmayer (Sofie Eifertinger) und ihr schwuler Bauernbubfreund Hans (Ben Felipe) wollen Revenge. Möglicherweise ist Nessa nämlich für den Tod von Lisis Bruder, der österreichischen Ski-Nachwuchslegende Sepp (Felix Mayr), verantwortlich. Irgendwas mit Liebe und vereisten Strassen.

Netflix-Serie «Kitz»
Nur das Wasser ist klar, die Gedanken sind dunkel. Was da wohl gerade passiert?Bild: Netflix
Es muss ja so sein im Young-Adult-Mystery-Drama, am Anfang steht was Totes, das sich aus dem Jenseits rächt oder von den Diesseitigen gerächt wird, «13 Reasons Why» hat das durchexerziert oder «Tiny Pretty Things» oder «Pretty Little Liars» und jetzt halt «Kitz». Willkommen im grossen Plot-Generator.

Und dann gibt es noch den schwulen Münchner Hotelierssohn Kosh (Zoran Pingel), dessen Mutter wechselweise schmelzende Gletscher in Grönland oder den brennenden Regenwald fotografiert und der jetzt depressiv in der Präsidentensuite des familieneigenen Hotels in Kitz abhängt. Na? Ist schon klar, wer da unweigerlich zusammenkommen muss? Ein Tipp: Fantasie braucht's keine.

Theoretisch könnte man bei dieser Ausgangslage jetzt eine deftige Satire anrichten. Krachende Orgien in Spa-Bereichen. Jagdzeit auf der Piste. Mord auf dem Sessellift. Doch der actionreiche Höhepunkt von «Kitz» ist: Eine Kuh wirft ein Kalb! Hat man ja noch nie gesehen! Ein Wahnsinn! Episch! Und so sustainable («nachhaltig» ist ein Lieblingswort der Serie) als Erfahrung.

Kitz
Dominik und Nessa und die Bullen: Was da wohl passiert ist?Bild: Netflix

Da fällt dann auch der Satz der Sätze: «Ich hab Plazenta auf meinen Louboutins!» Sonst klingt «Kitz» eher so: «Wenn's gar nid erst aufm Berg oben losfährst, kommst auch nie unten an.» Nur wer hoch hinauffährt, kommt auch hoch hinaus. Oder so: «Weisst Hans, in der Liebe gibts ka Sicherheit.»

Grösstmögliche Überkonstruiertheit des Plots und totale Biederkeit in der Ausführung sagen sich in «Kitz» andauernd Servus.

Kein Sex, keine Gewalt, keine Spannung, jede Kindergartenaktion gegen die Bösen aus der grossen Stadt wird so lange vorbereitet, dass man bei ihrer Ausführung eingeschlafen ist, und auf eine kleine Überraschung muss man bis zuletzt warten. Wir seufzen sehnsüchtig: «Tschugger!» Einmal gibt es eine «Sissi & Chill»-Session mit Magic Mushrooms, da verdoppeln sich dann under the influence ganz kurz die Augen von Sissi und Franzl auf einem Bildschirm, auch das natürlich episch, der Wahnsinn. Oder auch nicht. Ab wann wird «Kitz» empfohlen? Netflix sagt, ab 13 Jahren. Auch 6-Jährige hätten davon keine Alpträume.

Netflix-Serie «Kitz»
Ob hier gleich was passiert??? Nessa (rechts) mit ihrer momentan besten Freundin Pippa.Bild: Netflix

Die Münchner haben das Geld, das die «Dorfis» dringend brauchen, die Dorfjugend plant den Auszug in die weite Welt, die Kitzbühler Feuerwehr ist sexy, die Eltern der Dorfjugend sind vergrämt und verhärmt, eine Zweitwohnungsinitiative hätte wohl viel Schmerz verhindern können, der Stadt-Land-Graben wird wohl auch hier nicht zugeschüttet, und gelegentlich fällt ein interessantes Schimpfwort wie «Mistbritschn» (Untersetzer).

Ganz besonders stolz sind die Macher von «Kitz» auf die Pickel in Lisis Gesicht, die sind nämlich ein Statement gegen «toxische Schönheitsideale», wie Nessa sie verkörpere. Wow. Plazenta auf den Louboutins UND Pickel im Gesicht! Das sind schon epische Einfälle. Eine zweite Staffel wird bei derart überschäumender Kreativität unvermeidlich sein.

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29 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lilasommer
14.01.2022 20:17registriert Februar 2020
Ich habe mir die Serie leider angetan, richtiger Schmarren.
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metall
14.01.2022 20:06registriert Januar 2014
Ich habe das alles nicht so ernst genommen. Daher fand ich es wahrscheinlich auch nicht ganz so schlecht wie Du.
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La Sendvičovač
14.01.2022 20:21registriert Juli 2020
Wusste bis jetzt noch gar nichts davon. Verstehe jetzt auch wieso 😳😅
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Vor einem Vierteljahrhundert begann der Aufstieg eines jungen Kochs zum Weltstar. Ein Blick in sein erstes Kochbuch von 1999.

Im April 1999 debütierte auf dem britischen TV-Sender BBC Two die Kochsendung «The Naked Chef». Und, nein, der darin porträtierte 23-jährige Koch war nicht nackt zu sehen (obwohl mit der augenzwinkernden Titelwahl bewusst Assoziationen geweckt wurden). Das Konzept war vielmehr, mit «nackten», sprich «einfachen», Rezepten und Zutaten, ohne grossen Aufwand und Gerätschaften, superfeine Gerichte kochen zu können.

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