Die Schweiz, liebe Leute, ist zu klein. Irgendwann sind alle miteinander ins Bett gegangen. Und ich meine damit nicht den «Bachelor» oder dieses grauenhaft unappetitliche neue Format namens «Reality Shore», wo es die entsetzlichsten Entgleisungen des Reality-TVs miteinander treiben. Ich habe mir zwei Folgen davon zugefügt.
Dann habe ich mich für immer davon abgewandt und mich in den Wilden Westen der Schweiz zurückgezogen. Dorthin, wo sich «Fargo» und «Spiel mir das Lied vom Tod» gute Nacht sagen. Ins Wallis. Zur TV-Serie «Tschugger». Nur um zu merken, dass ich mit der Frau eines Protagonisten im Bett liege. Doch dazu später.
«Tschugger» zeigt, wozu das Leben gut ist. Nämlich dazu, Fehler von früher nicht mehr und alles sehr viel besser zu machen. Denn David Constantin, der Mann hinter «Tschugger», machte vor einigen Jahren in Kooperation mit Samsung und your very own sweet watson (Selbsterkenntnis ist nie der schlechteste Weg) die grauenhafte Swisscom-Webserie namens «Hamster». Die war so abartig peinlich, dass der Begriff «cringe», wenn er damals schon inflationär gewesen wäre, vor lauter cringe selbst einem Herzinfarkt erlegen hätte. Doch das war wie gesagt vor Jahren. Und vor noch mehr Jahren, nämlich 2012, war Constantin mit der Webserie «Tschutter» positiv aufgefallen.
Jetzt spielt er den (auch von ihm erfundenen) Walliser Kantonspolizisten Johannes Bax Schmidhalter, einen Mann, dessen letzter Ermittlungserfolg noch viel länger zurückliegt als sein letzter Coiffeurbesuch. Bax sieht sich als Alpen-Magnum, Kegelbahn-Romeo und Cowboy mit Attitude, sein Herz ist heldenhaft und gebrochen und die Schläge, die er einstecken muss, gehen nun wirklich auf keine Kuhhaut.
Blonde Frauen, das lehrt uns «Tschugger», sind nirgendwo so kaltherzig wie zwischen den weissen Bergen, egal, ob es sich um die Polizistin Gerda oder die Deutschrapperin Valmira handelt. Unter den einheimischen Männern gibt es verschiedene Schattierungen von Volltrotteligkeit, aber jeder einzelne von ihnen ist süss. Sei es der Lispler, Praktikant und Drohnenpilot Smetterling, der phlegmatische Demnächstpapa Pirmin oder Valmiras depperter Möchtegernmanager Juni.
Aufgemischt werden sie von aussen: Von der Bundespolizistin mit dem ekligen Basler Dialekt (Anna Rossinelli – wieso sah man die bis jetzt noch nie spielen? Ach so, weil fast alle in «Tschugger» Laien sind!), die das unrühmliche Freizeitverhalten des kleinen Walliser Polizeipostens untersuchen muss. Aber auch von einem skandinavischen Killer und ein paar italienischen Mafiosi mit einem Laster voll verdächtiger Tomatensauce.
Das klingt erst einmal nach typisch herzigem Schweizer Schwank-Material, kriegt aber nach allen Seiten hin erfreulich viel Luft: Regisseur-Autor-Hauptdarsteller Constantin und seine Produzentin Sophie Toth haben ein Herz für Explosionen, crazy Stunts, menschlichen und sonstigen Materialverschleiss. Leichen pflastern die verschneiten Weiten derart penetrant, dass selbst Mike Müller als Bestatter davon Wind kriegt. Und der Fall, den Bax schon von Anfang an an der Angel seines Tschugger-Instinkts zappeln fühlt, wird immer spektakulärer und gewinnt gar noch eine historische Dimension.
Es sind fünf tumultuös erfrischende Halbstünder, gleichzeitig eine furiose Liebeserklärung an die Cop-Formate der 80er- und 90er-Jahre und eine gnadenlose Parodie darauf. Schon nur der Vorspann im «Magnum»-«Miami Vice»-«MacGyver»-Look ist ein – man ist versucht zu sagen – ultimativer Hingucker, und noch nie waren Off-Kommentare, Rück- und Vorschauen so originell erzählt. Zuständig fürs Drehbuch ist neben Constantin ein ganzer Writers' Room inklusive Mats Frey, der für die Netflix-Serie «How to Sell Drugs Online (Fast)» gearbeitet hat. Bis hin zu Valmiras Money-Prada-Gucci-Rhymes steckt da enorm viel Liebe im Detail.
Geld steckt übrigens auch nicht ganz wenig in «Tschugger». Mit 3 Millionen Franken (70 Prozent davon übernahm SRF, der Rest unter anderem der erstmalige Co-Produzent Sky) ist «Tschugger» keine Low-Budget-Produktion, sondern bewegt sich umgerechnet selbstsicher auf ein «Tatort»-Budget zu. In den kommenden Wochen wird «Tschugger» nach dem «Tatort» oder dem Schweizer Fernsehfilm am Sonntagabend statt «Deville» zu sehen sein.
Es wird einem nach dem «Tatort» vorkommen wie Luftholen bei einer besoffenen Schneeballschlacht nach einem schweren Fondue, versprochen. Und so überzeugt ist man davon bei SRF und Sky, dass die zweite Staffel bereits abgedreht ist. Eine Entscheidung, die wir in diesem Fall aus vollstem Herzen unterstützen.
P.S. Ach ja, die Geschichte von der Autorin dieses Textes und wie sie mit der Frau des phlegmatischen Pirmins im Bett gelandet ist, wurde noch nicht auserzählt. Sie kann nichts dafür. Also die Autorin. Und sie bemerkte es erst, als dieser Text hier schon so gut wie geschrieben war. Ihr werdet es eh sehen. Vielleicht jedenfalls. Die Schweiz ist zu klein.
P.P.S. Hier gibt es «Tschugger» zu sehen:
SRF 1, jeweils ab 21.45 Uhr: 28.11. (Folgen 1 und 2); 5.12. (Folge 3); 12.12. (Folge 4); 19.12. (Folge 5). Alle Folgen sind ab dem 28.11. auch auf Play Suisse, Play SRF und Sky verfügbar.
Uff, wenn Tschugger nur halb so gut ist...kanns auf jeden Fall kaum erwarten. 🔥🔥