Candid Pfister aus Spreitenbach hat eine der schlimmsten Erfahrungen gemacht, die ein Vater erleben kann. Seine Tochter Céline nahm sich mit 13 Jahren das Leben, nachdem sie Opfer von Cybermobbing geworden war.
Die Strafverfolgungsbehörden rieten ihm davon ab, den Fall in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Doch er und seine Frau Nadya wählten einen anderen Weg. Sie gaben Interviews, gingen vor Gericht und starteten eine Onlinekampagne.
Nach dem Tod ihres einzigen Kindes sehen sie nur noch einen Sinn in ihrem Leben. Sie wollen anderen Teenagern helfen, nicht in den gleichen Strudel zu geraten. Dafür wurden sie mit dem «Priz Courage» ausgezeichnet.
Bisher bestand die Kampagne aus einem Hashtag (#celinesvoice). Jetzt wird sie professionalisiert. Candid Pfister tritt eine neu geschaffene Stelle bei Netzcourage an, der Organisation gegen Hass im Netz der Zuger Aktivistin Jolanda Spiess.
Spiess hat vor allem Erwachsene beraten, die zum Beispiel in einen Shitstorm geraten waren. Jetzt weitet sie ihr Angebot mit Pfister auf Jugendliche aus. Der 51-Jährige sagt:
Beratungsangebote gibt es allerdings bereits von Zischtig.ch sowie von Pro Juventute mit der Kriseninterventionsstelle 147. Zudem hat Pro Juventute diese Woche die App Wup lanciert, die Kinder im digitalen Umgang mit Missbrauch, Mobbing und Gewalt unterstützt. So soll das Programm Beleidigungen und Mobbing in Textnachrichten sowie Nacktheit auf verschickten Fotos erkennen.
Ausserdem führt Pro Juventute Medienkompetenzkurse an Schulen durch, mit denen die Stiftung jährlich Tausende Kinder erreicht. Pro Juventute sieht das neue Projekt jedoch nicht als Konkurrenz. Eine Sprecherin sagt: «Wir freuen uns sehr über neue Angebote, welche Kinder und Jugendliche stärken.»
Jolanda Spiess ist daran, ihre Organisation stetig auszubauen. Vor einem Jahr wurde diese als gemeinnützig anerkannt, wodurch sie von den Steuern befreit ist. Aktuell beschäftigt sie acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teilzeit- und Praktikumsstellen. Als Geschäftsleiterin ist sie selber die einzige Vollzeitbeschäftigte. Sie finanziert ihre Arbeit durch Spenden.
Spiess und das Ehepaar Pfister haben eine ähnliche Geschichte. Beide wurden Opfer von traumatischen Vorfällen. Beide entschieden sich danach aber dagegen, den Fall hinter sich zu lassen und ein komplett neues Lebenskapitel aufzuschlagen. Sie wurden zu Aktivisten und Expertinnen, die einen Teil ihres Wissens aus ihrer eigenen Lebensgeschichte ableiten.
Durch den Fall Céline ist das Bewusstsein in der Schweiz für das Ausmass von Cybermobbing gestiegen. Dieses Jahr ist das Phänomen zum ersten Mal in der Kriminalstatistik ausgewertet worden. Im vergangenen Jahr wurden 1109 entsprechende Straftaten angezeigt. Davon konnte die Polizei 77 Prozent aufklären.
Die Statistik zeigt weiter, dass es viele Célines gibt. 57 Prozent der Opfer sind weiblich. Ausgeübt wurden die Taten mehrheitlich von Männern.
(bzbasel.ch)