Wie roch ein Wikingerdorf des 9. Jahrhunderts? Für eine Nase des 21. Jahrhunderts jedenfalls nicht besonders gut. Das zumindest lässt das angeekelte Stöhnen der Besucher des Jorvik Viking Center in der heutigen englischen Stadt York vermuten, wenn sie sich dem detailliert rekonstruierten Geruch des wohl faszinierendsten Ausstellungsstücks des Museums aussetzen: dem Lloyds-Bank-Koprolithen, einem Stück Winkingerkot.
Mit einer sensationellen Länge von 20 Zentimetern und einer Dicke von fünf Zentimetern ist der Brocken das grösste erhaltene Stück Exkrement der Geschichte – benannt ist es nach seinem Fundort, der Aushubgrube für das Fundament einer Filiale der Lloyds Bank, sowie den griechischen Wörtern für «Kot» (κόπρος) und «Stein» (λιθος). Seine Duftmarke lässt sich seit einigen Jahren in der begehbaren Wikinger-Toilette des Museums erschnüffeln.
Die Rekonstruktion von Gerüchen aus der Vergangenheit hat in den vergangenen Jahren immer mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit bekommen. So beschäftigt sich beispielsweise seit dem vergangenen Jahr das internationale Odeuropa-Projekt damit, Duft und Gestank vergangener Räume und Zeiten zu erforschen. Wie etwa rochen die europäischen Metropolen Antwerpen und Amsterdam im «Goldenen Zeitalter», dem 17. Jahrhundert?
Die Gerüche finden die Informatiker, Kulturwissenschaftler, Historiker und Chemiker des Odeuropa-Projektes nicht unbedingt in den menschlichen Hinterlassenschaften, sondern vielmehr in Texten und Bildern. Sie trainieren Computer darauf, grosse Bildsammlungen und riesige Textcorpora auf Schlüsselwörter und -objekte zu durchforsten. Aus vielen Textstellen und Bildausschnitten entsteht dann ein Geruchsdiagramm der jeweiligen Zeit oder Situation.
Am Ende setzen Parfümeure aus den Ergebnissen den Geruch der Vergangenheit wieder zusammen. So entstanden im Rahmen des Projektes bereits eine Riechtour durch die Wirtschaftsgeschichte Amsterdams oder eine geführte Geruchsreise zu den Kunstwerken des Museums Ulm. «Unsere Sinne sind ein Eingangstor zu unserer Vergangenheit», heisst es auf der Webseite des Projektes. «Und mehr als alle anderen Sinne ist unser Geruchssinn unmittelbar mit unseren Gefühlen und Erinnerungen verbunden.»
Um den Gestank von Kot und Tod zu überdecken, wurde allerdings auch in der Vergangenheit gerne zu intensiven Wohlgerüchen gegriffen. So soll Kleopatra, letzte Herrscherin Ägyptens, sogar die Segel ihres Schiffes parfümiert haben, als sie den Römer Marcus Antonius bezirzte. Auf die Suche nach dieser Duftmischung machten sich die Ägyptologin Dora Goldsmith von der Freien Universität Berlin und der Historiker Sean Coughlin von der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag.
Sie stützten sich dabei auf den Fund einer 2300 Jahre alten Parfümerie, die Archäologen im unterägyptischen Mendes freigelegt hatten. Die Inhalte der Tiegel und Töpfe, die Schriften des byzantinischen Arztes Paulus von Aigina und eine lange Reihe von Selbstversuchen führten schliesslich zur Wiederherstellung des alten Rezeptes: Man nehme Öl von Wüstendattel und Moringa und vermische es mit Harz sowie zerriebener Myrrhe und Zimt.
Das Ergebnis, betont das Forscherteam, dufte angenehm, elegant und süsslich. Zusätzlich beuge es Hautirritationen vor und sei sogar zur Behandlung von Wunden geeignet. Zur Not könne man damit auch – mit Gänsefett vermischt und in Leinenbinden verstrichen, die dann um den Kopf geschlungen werden – einen Kater nach exzessivem Alkoholgenuss lindern.
So wie sich Gerüche aus menschlichen Hinterlassenschaften rekonstruieren lassen, können andersherum allerdings auch Gerüche dabei helfen, menschliche Hinterlassenschaften zu rekonstruieren. Die Angestellten des Ägyptischen Museums von Turin hatten beispielsweise einen merkwürdigen fruchtigen Geruch in jenen Vitrinen bemerkt, in denen Gefässe aus dem Grab des Architekten Kha und seiner Frau Merit aus der Nekropole von Deir el-Medina standen.
Seit dem Tod der beiden vor rund 3400 Jahren waren die Töpfe ungeöffnet. Auch das Team der Chemikerin Ilaria Degano von der Universität Pisa schaute nicht hinein – sondern verschloss die Gefässe lediglich einige Tage lang luftdicht in Plastiktüten, um die Duftmoleküle, die sie verströmten, einzufangen. Bei der anschliessenden Messung mit einem Massenspektrometer konnten sie Aldehyde nachweisen, die das fruchtige Aroma verursacht hatten.
Weiterhin fanden sie andere Aldehyde und langkettige Wasserkohlenstoffe, wie sie typisch für Bienenwachs sind, sowie Trithylamine, die auf getrockneten Fisch hinweisen – dankenswerterweise nur in einer Konzentration, die für die menschliche Nase normalerweise nicht wahrnehmbar ist. Der Duft in den Vitrinen hat so letztendlich dafür gesorgt, dass wir wissen, welche Lebensmittel Kha und Merit auf ihre letzte Reise ins Jenseits als Wegzehrung mitnahmen.
Wer selber mit dem Duft der Vergangenheit experimentieren möchte, kann mit relativ einfachen Mitteln eine Zeitreise zurück zum 18. Juni 1815 machen, auf das Schlachtfeld von Waterloo, wo Franzosen gegen Briten und Preussen kämpften. Wie es dort roch, rekonstruierte Caro Verbeek von der Vrije Universiteit in Amsterdam aus historischen Texten und zeitgenössischen Gemälden.
Im Hintergrund lag der übliche Schlachtfeld-Dunst aus Schiesspulver, Pferden, Leder, nasser Erde und menschlichem Schweiss. Doch immer wieder wehte den Soldaten zusätzlich ein anderer Geruch in die Nase: der frische Duft von Rosmarin, Bergamotte und Bitterorange. Es war das Parfüm Napoleon Bonapartes, der jeden Tag eine ganze Flasche des acqua mirabilis genannten Wunderwassers auf seinem Körper verrieb.
Wer also den Geruch der Schlacht von Waterloo erleben möchte, muss nur an einem Regentag in den Pferdestall gehen und zwei Utensilien dabei haben. Zum einen die Reste eines Silvesterböllers. Und zum anderen ein Fläschchen acqua mirabilis – erhältlich in jedem Drogeriemarkt. Sein heute handelsüblicher Name: Kölnisch Wasser.
Wäre wohl ein anwerter für das priisgeglä