Der Unabhängigkeitskampf der Schotten war von Anfang an anders: Es gab keinen Blut-und-Boden-Nationalismus und er war geprägt von einer Ablehnung des Neoliberalismus. Die Anti-Unionisten sind keine EU-Gegner und sie kämpfen nicht für tiefere Steuern, sondern für mehr soziale Gerechtigkeit. Damit unterscheiden sie sich klar von den rechtspopulistischen EU-Hassern wie Geert Wilders und Christoph Blocher.
Obwohl die Wahl verloren ging, haben die Schotten viel erreicht. Bisher wurde die Zukunft der EU beherrscht von zwei Szenarien: Europa kann ein zentraler, von Brüssel beherrschter Monsterstaat werden – eine europäische EUdSSR, wie die Gegner polemisieren –, oder es kann wieder in einzelne Nationalstaaten zerbrechen, die mehr oder weniger friedlich koexistieren.
Die Geschichte zeigt, dass es in der Vergangenheit eher weniger friedlich war. Nationalismus hat Europa zwei Weltkriege und unbeschreibliches Leid beschert. Es geht jedoch um mehr als um die unbeschreiblichen Gräueltaten der Nazis und die sinnlosen Schlachten der Generäle. Es geht auch um Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung.
Der Historiker Peter Josika stellt in seinen soeben erschienen Büchlein «Ein Europa der Regionen» fest: «Die Nationalstaaten und ihre nationalistischen und zentralistischen Strukturen zerstören einerseits die über Jahrhunderte entstandene soziale, sprachliche und kulturelle Heterogenität vieler Regionen, anderseits aber oftmals auch die wirtschaftliche Basis ihrer Existenz.»
Josika weist nach, dass die Menschen in Regionen mit relativ grosser Unabhängigkeit nicht nur politisch stabiler, sondern auch wirtschaftlich erfolgreicher sind. Mitbestimmung auf lokaler und regionaler Ebene zahlt sich ökonomisch aus. Das gilt von Irland über Katalonien bis ins Südtirol – und selbstverständlich auch für die Schweiz.
Die rechten Nationalisten geben vor, für mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung des kleinen Mannes zu kämpfen. In Tat und Wahrheit tun sie genau das Gegenteil. Nationalismus ist wie Fastfood: Eintönig und schädlich für die Gesundheit. Die Reden der Nationalisten gleichen sich wie ein Hamburger und eine Fertigpizza, die Monturen der Rechtsradikalen sind überall gleich: Glatze, schwarze Hemden und Stiefel.
Nationalismus führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Selbstbestimmung. «Folglich sollten gerade die kleinen Nationalstaaten erkennen, dass ein Europa starker Regionen die bessere Grundlage für die langfristige Bewahrung aller Sprachen und Kulturen Europas ist, als ein nach sprachlich-nationalen Gesichtspunkten geteiltes Europa», schreibt Josika.
Ein Europa der Regionen ist eine verlockende Aussicht. Leider ist der Weg dazu steinig. Nur den Nationalismus an den Pranger zu stellen, reicht nicht. Es braucht Lösungen für die ökonomischen Probleme, die damit verbunden sind. Was beispielsweise geschieht mit dem Euro? Wie werden die sozialen Rahmenbedingungen geregelt? Wie die Finanzierung der Staatsschulden?
An diesen Fronten werden heute die entscheidenden Politschlachten in Europa geschlagen. Das war auch bei der schottischen Unabhängigkeitsfrage der Fall. Weil sie keine wirklich überzeugende Antwort auf die Frage: Was geschieht mit dem Pfund? hatten, haben die schottischen Unabhängigkeitskämpfer letztlich verloren.
Soll ein wirklich föderalistisches Europa entstehen, müssen Antworten auf diese Fragen gefunden werden. Es wird ein mühsamer Prozess werden, doch wir haben keine Alternative. Einen friedlichen Nationalismus gab es nicht – und wird es nie geben. Das Experiment wurde gemacht, mit katastrophalen Ergebnissen; und wer beharrlich an einen anderen Ausgang des immer gleichen Experiments glaubt, ist gemäss Einstein bekanntlich wahnsinnig.
Der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung besteht von Bayern bis ins Baskenland. Er ist berechtigt und darf nicht unterdrückt werden. Die Schotten haben die Diskussion darüber neu entfacht. Das ist ein Start, der Mut macht.