Ein Mann sitzt seit dem 28. März 2019 in Untersuchungshaft beziehungsweise im vorzeitigen Strafvollzug. Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm wirft ihm gewerbsmässigen Sozialhilfebetrug vor. Dazu kommen Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz und das Waffengesetz. Anklage hat die Staatsanwaltschaft noch nicht erhoben. Das stört Franz Hollinger, den Anwalt des Beschuldigten. Das Verfahren dauert seiner Meinung nach zu lange.
Er habe der Staatsanwaltschaft bereits Mitte November mitgeteilt, dass er davon ausgehe, dass die Anklageschrift bis Ende November vorliegen werde. Er wurde vertröstet. Die Sache müsse wegen Arbeitsüberlastung vorläufig ruhen, wurde ihm telefonisch mitgeteilt. Die Anklageschrift könne erst Anfang Januar ausgearbeitet werden.
Als der Anwalt sich Mitte Januar erneut erkundigte, erfuhr er, dass die Anklageschrift sich wegen anhaltender Arbeitsüberlastung weiter verzögere und frühestens Ende März 2020 vorliegen werde. Seither hat sich nichts getan. Der Anwalt entschied sich deshalb zu einem eher unüblichen Schritt.
Er reichte am 5. Februar eine Rechtsverzögerungsbeschwerde bei der Beschwerdekammer des Obergerichts ein. Das könne zwar zu weiteren Verzögerungen führen, aber es sei das Einzige, was er noch habe tun können, um das Verfahren zu beschleunigen, sagt er.
Daneben geht es Hollinger mit der Beschwerde darum, eine Beeinflussung des Bezirksgerichtes durch Überhaft zu verhindern und am Rande auch um die Finanzen des Kantons. Sitzt eine beschuldigte Person nämlich zu lange in Untersuchungshaft oder im vorzeitigen Strafvollzug, muss sie dafür pro Tag, den sie zu Unrecht in Haft sass, aus der Kantonskasse entschädigt werden.
Prominentestes Beispiel aus dem Aargau ist in diesem Zusammenhang der beschuldigte Bosnier, der 2012 in den Werkstattmord von Gränichen verwickelt war. Das Bundesgericht hatte den Mann 2018 vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Er sass fast fünf Jahre zu Unrecht im Gefängnis. Dafür erhielt er eine Genugtuung in der Höhe von 274'070 Franken.
Anwalt Hollinger versteht nicht, weshalb die Staatsanwaltschaft seinen Mandanten noch nicht angeklagt hat. Seiner Meinung nach ist die Angelegenheit seit Mitte September 2019 anklagereif. Die zur Diskussion stehenden Sachverhalts- und Rechtsfragen seien «äusserst einfach» und es handle sich nur um einen und nicht um mehrere Beschuldigte. «In Anbetracht dieser Umstände kann für das Verfassen der Anklageschrift ein Aufwand von ungefähr einem Tag veranschlagt werden», schreibt er in der Rechtsverzögerungsbeschwerde.
Die Beschwerdekammer des Obergerichts solle deshalb feststellen, dass das Verbot der Rechtsverzögerung verletzt wurde und die Staatsanwaltschaft anweisen, die Anklageschrift bis spätestens am 24.Februar 2020 zuzustellen. Das ist noch nicht passiert.
Es dauerte ganze zwölf Tage, bis die Beschwerdekammer des Obergerichts eine dreizeilige Verfügung erliess und die Staatsanwaltschaft aufforderte, innert zehn Tagen Stellung zu nehmen. Das sei ihm – obwohl er seinen Beruf nun schon viele Jahre ausübe – noch nie passiert, sagt Hollinger. «Das sprengt den Rahmen, zumal eine solche Verfügung einen Zeitaufwand von höchstens 15 Minuten erfordert.» Geradezu bizarr sei, dass dies in einem Beschwerdeverfahren betreffend Rechtsverzögerung passiere. «Die zur Hilfestellung angerufene Instanz verzögert so das Verfahren erst recht», sagt der Anwalt.
Nicole Payllier, Sprecherin der Aargauer Gerichte, kann aufgrund des laufenden Verfahrens nicht sagen, weshalb es so lange gedauert hat, die Verfügung zu verschicken. «Allgemein lässt sich festhalten, dass bei Eingang einer Rechtsverzögerungsbeschwerde, in einem ersten Schritt praxisgemäss die Akten des gerügten Verfahrens eingeholt werden», schreibt sie. Danach würden diese geprüft und anschliessend die Verfügung verfasst und erlassen. Dies nehme «eine gewisse Zeit» in Anspruch.
Fiona Strebel, Mediensprecherin der Staatsanwaltschaft, sagt, von einer Verletzung des Beschleunigungsverbots könne keine Rede sein. Dem Beschuldigten werde gewerbsmässiger Sozialhilfebetrug im mutmasslich sechsstelligen Bereich vorgeworfen. «Damit ist eine obligatorische Landesverweisung verbunden.» Dazukommen Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsdelikt und das Waffengesetz. «Die Verfahrensakten umfassen mehrere Bundes- ordner. Wir haben es hier mit einem umfangreichen Fall zu tun», sagt Fiona Strebel.
Die Ermittlungen hätten denn nach der Einvernahme vom 17.September 2019 angedauert. «Die Staatsanwaltschaft hat ihre Untersuchung am 12.Februar förmlich abgeschlossen.»
Die Staatsanwaltschaft habe Verständnis, dass jeder Beteiligte seinen Fall als den wichtigsten erachtet. Sie müsse bei der Abarbeitung der Fälle jedoch zwangsläufig Prioritäten setzen. «Im vorliegenden Fall erwartet den Beschuldigten eine mehrjährige Freiheitsstrafe mit anschliessender Ausweisung aus der Schweiz», erklärt sie. Es bestehe damit aus Sicht der Staatsanwaltschaft «kein Grund für eine derartige Priorisierung, wie sich dies Rechtsanwalt Hollinger wünscht». (aargauerzeitung.ch)
11 Monate ohne Anklage?
"Er sass fast fünf Jahre zu Unrecht im Gefängnis. Dafür erhielt er eine Genugtuung in der Höhe von 274'070 Franken."
Für 5 geraubte Jahre gibts 275k?
dann muss du wahrscheinlich noch nen 1/3 wieder abgeben durch steuern...
..momol tönt fär....
Bananenrepublik