Zufrieden war Ayaan* nicht, doch sie war hochschwanger und brauchte eine neue Wohnung. Ihre Mutter wohnte im Haus nebenan. Also unterschrieb die damals 20-jährige am 3. Juni 2014 nicht nur den einen Mietvertrag, den Besitzer Urs Tschenett ihr für die Bucheggstrasse 28 vorlegte, sondern auch den zweiten. Bis zum 15. Juni sollte die 8 Quadratmeter grosse Kammer in einer 5-Zimmer-Wohnung 900 Franken kosten, ab dem 15. Juni 1100 Franken. Der 15 Juni war der voraussichtliche Geburtstermin ihres Kindes.
Die AOZ Sozialberatung akzeptierte die Mietverträge nicht. «Wie ich Ihnen ja bereits vor dem Abschluss der Verträge mitgeteilt habe, kann die AOZ eine Erhöhung des Mietzinses für das gleiche Zimmer von 200.- nicht akzeptieren (...). Rechtlich gesehen dürfen wir solche Verträge nicht mehr unterstützen», versuchte die AOZ-Sozialberaterin Ayaan schriftlich zu erklären. Sie solle den doch Vertrag schnellstmöglich kündigen.
Was zum Schutz von Ayaan gedacht war, brachte diese aber noch mehr in Schwierigkeiten: Ayaan bezahlte ihren Anteil von 200 Franken der Miete, die AOZ überwies ihren Anteil jedoch nicht an Vermieter Tschenett.
Also fing dieser an, ausstehende Mietkosten, Zinsen und Mahngebühren aufzulisten, um schliesslich nicht etwa die AOZ, sondern Ayaan selber zu betreiben. Ayaan – inzwischen zum ersten Mal Mutter geworden und von der Sozialhilfe abhängig – war aber schlichtweg überfordert. Woher sollte sie die über 2000 Franken nehmen?
Die Wohnung hatte sie gekündigt, Ayaan zog zurück ins Asylheim. Dort flatterte im Februar 2015 eine Vorladung in den Briefkasten: Ihr Vermieter Urs Tschenett hatte sie bei der Schlichtungsbehörde Zürich angezeigt.
Alleine** erschien die aus Somalien Geflüchtete am 29. April vor der Schlichtungsbehörde Zürich. Urs Tschenett liess sich vertreten. Bei der Verhandlung konnte keine Einigung zwischen den Parteien erzielt werden. Also beschloss die Behörde einen Urteilsvorschlag: «Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger 1833.35 Franken nebst 5 Prozent Zins seit 1. Juni 2014 sowie 100 Franken Mahn- und Bearbeitungsgebühren und 80.30 Franken Betreibungskosten zu bezahlen.» Ihre Sozialberaterin riet Ayaan ab, Beschwerde gegen den Urteilsvorschlag einzureichen.
Den Entscheid der Schlichtungsbehörde möchte Ruedi Spöndlin, Rechtsberater beim Mieterinnen- und Mieterverband nicht kommentieren. Den Zuschlag für das Kind sieht er allerdings als nicht rechtens: «Eine sogenannte Staffelmiete ist im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt», sagt er. Der Vermieter vermiete einen Raum. Ob da noch ein Kleinkind drin ist oder nicht, könne ihm egal sein.
Für Spöndlin sind Vermieter wie Urs Tschenett «ein leidiges und bekanntes Problem». Allerdings ist er nicht der Meinung, dass nichts gegen sie getan werden kann: «Es gibt Druckmittel», sagt Spöndlin. Die Geschädigten selber seien bloss meistens nicht in der Lage, diese auszunutzen. «Das Sozialamt könnte sich bemächtigen lassen, dies für sie zu übernehmen. Schliesslich liegt grosses Sparpotenzial für den Staat drin», sagt er gegenüber watson. Eine Mietzinsreduktion mithilfe einer Mietzinshinterlegung zu erzwingen, sei bei überteuerten und schlecht in Stand gehaltenen Wohnungen alleweil möglich.
AOZ-Direktor Thomas Kunz sagte gegenüber dem Tages-Anzeiger, die AOZ-Betreuer würden sich nach Möglichkeit um die Anliegen ihrer Klienten kümmern. Sie hätten auch schon mehrmals bei Urs Tschenett interveniert. Aber: «Wir stossen hier mit unserem System an Grenzen», sagte Kunz.
Urs Tschenett verweigerte gegenüber watson jegliche Stellungnahme. Die Schlichtungsbehörde darf aus rechtlichen Gründen keine Stellung nehmen. Ayaan weiss noch immer nicht, wie sie ihre Schulden abbezahlen soll.
* Name der Redaktion bekannt
** Korrektur: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels stand, dass bei der Verhandlung vom 29. April 2015 kein Dolmetscher anwesend war. Bei dieser zweiten Verhandlung, bei der der Urteilsvorschlag erging, war jedoch ein Dolmetscher anwesend. Er war im Beschluss nicht angeführt.