Roman Rey: Die Privatsphäre feiert ein globales Revival
Vor zwei Jahren liess Edward Snowden die Bombe platzen: Er entlarvte die USA als unersättlichen Überwachungsstaat. Damals sagte der Whistleblower: «Meine grösste Angst ist, dass sich nichts verändern wird.»
Seine Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet. Vor zwei Wochen hat der US-Senat eine Geheimdienstreform angenommen, welche die Macht des Geheimdienstes NSA bei der globalen Überwachung einschränkt.
Und was macht die Schweiz? Sie baut die Schnüffelkompetenzen ihres Geheimdienstes massiv aus.
Man passe die Gesetzlage nur der technischen Realität an, argumentiert Verteidigungsminister Ueli Maurer. Unter diesem Deckmantel nehmen die Volksvertreter jedoch einen harschen Eingriff in die Grundrechte der Schweizer in Kauf.
Im Blick auf den «Wandel im globalen Bewusstsein» gegen die Massenüberwachung, wie es Snowden ausdrückt, ist das ein Schritt in die falsche Richtung. In einer Zeit, in der jeder Teil unseres Lebens von der digitalen Welt durchdrungen wird, brauchen wir die Privatsphäre mehr denn je. Wir wollen keine gläsernen Bürger sein.
Vergessen wir nicht den Fichenskandal. Die Zeit, als Beamte während des Kalten Krieges über 900'000 Personen und Organisationen bespitzelten – aus Angst vor allem, was «unschweizerisch» sein könnte. Die Dimensionen der geplanten Gesetze übersteigen die der Fichenaffäre.
Dazu kommt: Diese Mittel sind bei der Terrorabwehr höchst ineffizient: Bis heute wurde kein Anschlag durch die verdachtlose Massenüberwachung verhindert.
Gemäss einer Studie der New America Foundation, die 225 Fälle von Terrorplänen unter die Lupe genommen hat, wird nur in 7,5 Prozent der Fälle eine Ermittlung mit Hilfe von NSA-Massnahmen initiiert.
Das Max-Planck-Institut kommt in einem 300-seitigen Gutachten zum Schluss: «Es lassen sich keine Hinweise darauf ableiten, dass die in der Schweiz seit etwa zehn Jahren praktizierte Vorratsdatenspeicherung zu einer systematisch höheren Aufklärung geführt hätte.»
Mit der gezielten Beobachtung Verdächtiger haben die Geheimdienste bereits jetzt alle gesetzlichen Möglichkeiten, die sie brauchen.
Doch es geht gar nicht um den Kampf gegen den Terror. Es geht um Macht und wirtschaftliche, diplomatische und industrielle Spionage. Wir haben es nicht nötig, bei diesem digitalen Kalten Krieg mitzumachen.
Die neuen Gesetze sind nicht nur auf grundrechtlicher Ebene problematisch, sondern bringen auch wirtschaftliche Schäden mit sich. Die Schweiz hatte bei Diplomaten und internationalen Unternehmen bis jetzt einen vorbildlichen Ruf. Man wusste: Hier wird die Privatsphäre noch respektiert.
Dieser Standortvorteil ist nun dahin. Kein Wunder, gehen auch Start-ups, die sich im internationalen Markt auf Cybersicherheit spezialisiert haben, auf die Barrikaden. Sie reihen sich ein in eine breite Widerstandsallianz aus Politikern von links bis rechts, Netzaktivisten und Menschenrechts-Organisationen.
Und diese machen kein Geheimnis daraus, dass sie schon ein Referendum gegen die neuen Gesetze planen. So wird das Volk wohl das letzte Wort haben.
Und hoffentlich beweisen, dass wir ein Teil globalen Wandels sind, der der unnötigen Überwachung unbescholtener Bürger Einhalt gebietet, statt sie voranzutreiben.
tux_ping
Es stellen sich aber auch andere Fragen: Wie soll der Trojaner Verdächtigen, die sich schützen (HD-Verschlüsselung, usw...) untergejubelt werden? Gibt's dann staatlich-genehmigte MITM-Attacken?
Pippo30
Petoman