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Basel

Polizeikommandant Gerhard Lips nimmt Stellung zu Vorwürfen in Spitzelaffäre

Basler Polizeikommandant: «Sonst müsste ich mir überlegen, einen neuen Job zu suchen»

Dienstwagen-Privilegien, ein Schändungs-Skandal und ein türkischer Spitzel, der sich – wie alle Basler Polizisten – aus dem Depot der eingesammelten Velos bedienen konnte. Der Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt steht unter grösserem Druck denn je. Ein Gespräch über Korpsgeist, Personalrecht und Peinlichkeit im Job. 
11.05.2017, 08:0211.05.2017, 08:53
Daniel Ballmer und Benjamin Rosch / bz Basel
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Herr Lips, im Herbst, nach der Dienstwagen-Affäre und dem Fall einer Schändung innerhalb des Korps, sprachen Sie von einer «Pechsträhne». Seither sind weitere Vorfälle bekannt geworden. Würden Sie immer noch von «Pech» sprechen?Gerhard Lips: Meine Aussage ist damals im Kontext von plötzlich eintretenden Vorfällen entstanden. Der Fall einer Schändung war ein Ereignis, das ich nicht beeinflussen kann. Im Umfeld eines Betriebs, wie es die Polizei ist, können solche auftreten. Dies ist im weitesten Sinn als «Pech» zu bezeichnen. Anders gelagert sind Fälle, die wir selbst verschulden: Vorschriften, die nicht eingehalten werden oder nicht geschrieben sind, Regeln, die wir treffen sollten, aber nicht treffen. Das kann man nicht als Pech bezeichnen. Zentral für mich ist die Frage: Wie verhindern wir, dass Ähnliches wieder passiert?

Jetzt auf

Das scheint Ihnen bislang aber nicht gut zu gelingen.
Doch. Wir kämpfen zum Teil auch mit Ereignissen, deren Ursachen in der Vergangenheit liegen.

«Für die Offiziere mit Dienstwagen gab es damals keinen Anlass, ihr Tun als Unrecht zu empfinden.»

Aber kann man nach acht Jahren im Amt bei den Dienstwagen-Privilegien noch von «Altlasten» sprechen?
Ich habe die Weisung selber auch nie hinterfragt, da ich der Meinung war, wenn die Weisung von einem Departementsvorsteher erlassen worden ist, ist sie rechtskonform. Die Frage, ob sie aber auf einer gültigen Rechtsgrundlage steht, habe ich mir selber nie gestellt. Hier hätte man sicher kritischer hinschauen müssen.

Dass sich Polizisten an der Velosammelstelle bedienen durften, wurde vor anderthalb Jahren gestoppt. Unter anderem die Dienstwagen-Affäre lässt darauf schliessen, dass eine gewisse Selbstbedienungsmentalität von oben vorgelebt wurde.
Diese Vermutung kann ich weitgehend bestätigen. Sicher sein kann ich nicht, da ich es nicht weiss. Ich stelle einfach fest, dass im Zusammenhang mit der Velosammelstelle offenbar während Jahren, vielleicht Jahrzehnten, eine Praxis angewandt wurde, über die man aus heutiger Optik sagen muss: Das geht nicht. Aus einer solchen Handhabe entsteht eine Praxis, für die niemand mehr ein Unrechtsbewusstsein hat. Es hängt auch mit einer gesellschaftlichen Veränderung zusammen, dass man heutzutage staatliche Tätigkeiten vielleicht kritischer beurteilt.

Dieses Verhalten wurde von der Leitung ja vorgelebt. Reagiert wird, so scheint es, nur auf öffentlichen Druck.
Ob dies von der Basis als vorgelebt wahrgenommen wurde: Das mag so sein. Dazu müsste man jetzt einen Mitarbeiter befragen, der sich ein Velo genommen hat, ob er dies wegen der Dienstwagen von Vorgesetzten tat. Beides ist heute nicht mehr akzeptabel, entsprechend muss das Regelwerk angepasst werden. Hier haben wir rückwirkend vielleicht zu lange zugewartet. Für die Offiziere mit Dienstwagen gab es damals keinen Anlass, ihr Tun als Unrecht zu empfinden. Es gab entsprechende Weisungen, zuerst vom Kommandanten, dann vom Departementsvorsteher. Die Offiziere haben sich nie die Frage gestellt, ob diese Weisungen eine rechtliche Grundlage haben. Wir haben auch in anderen Bereichen festgestellt, dass man Infrastruktur nutzte, ohne dass es dafür einen Anspruch gab.

«Wir haben mehrere pendente Verfahren, in denen ich den betroffenen Mitarbeiter gerne loswerden würde.»

Welche denn?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben an der General-Guisan-Strasse ein Sportzentrum, das Korpsmitglieder in der Freizeit kostenlos nutzen dürfen, weil wir fitte Polizisten wollen. Bis vor rund anderthalb Jahren durften auch Angehörige von Mitarbeitern diese Lokalitäten nutzen. Das haben wir abgestellt, das ging zu weit. Das stiess aber wiederum intern auf Kritik: Die Halle stand ja zu diesen Zeiten leer.

Um einen Vergleich zu den BVB zu ziehen: Dort wurde nach zahlreichen Vorfällen eine Zäsur vorgenommen. Diese hatte auch personelle Folgen, bei der Polizei bislang aber nicht.
Ich kann das nicht beurteilen, ich kenne die Vorkommnisse bei den BVB nur aus den Medien. Dass wir einem Mitarbeiter kündigen, tritt sehr selten auf. Hier sind wir auch dem Personalrecht unterstellt. Es ist bekannt, dass es viel braucht, um einen Mitarbeiter zu entlassen. Wir haben mehrere pendente Verfahren, in denen ich den betroffenen Mitarbeiter gerne loswerden würde. In diesen bin ich der Meinung, dass der Mitarbeiter Vergehen begangen hat, die nicht akzeptabel sind. In diesen hindert uns das Personalrecht daran, schnelle Entscheidungen zu treffen. Wenn jemand eine Kündigung nicht akzeptiert, vergehen Monate bis Jahre, bis er aus dem Dienst entlassen wird. In diesen ist er entweder freigestellt oder versetzt, bezieht aber auf jeden Fall Lohn. Es ist nicht wie in der Privatwirtschaft. Das ist für mich auch nicht immer einfach.

Es ist schwer nachvollziehbar, wie ein Polizist, der eine Kollegin schändet, in den Dienst zurückkehrt, nur um dann wieder freigestellt zu werden. Wie ist dies möglich?
Ich kann Ihnen zu diesem konkreten Fall keine Auskunft geben, weil ein Strafverfahren und ein personalrechtliches Verfahren laufen. Aber es handelt sich hierbei genau um einen solchen Fall – und wir haben leider noch zwei bis drei weitere davon, die seit längerem pendent sind. Wenn ein Strafverfahren drei Jahre dauert, sind uns in dieser Zeit personalrechtlich die Hände gebunden: Wir können nichts entscheiden, das Verfahren ist sistiert. Es gab sogar Fälle, in denen wir Leute wieder zurück in den Dienst nehmen mussten. Etwa als ein Polizist sich rassistisch geäussert hat. Das Verfahren dauerte mehrere Jahre. Am Schluss entschied die Personalrekurskommission, dass eine Kündigung nach so langer Zeit unverhältnismässig wäre.

Zum konkreten Fall des Türken-Spitzels: Die Polizeileitung ist bereits im letzten Sommer vom Nachrichtendienst gewarnt worden. Hat man die Situation damals unterschätzt?
Dazu läuft nun eine externe Untersuchung. Daher kann ich dazu kaum etwas sagen. Ein Polizist muss sich bewusst sein, dass er auch in seiner Freizeit einer erhöhten Erwartung entsprechen muss.

Wie sehr hat dieses Vertrauen gelitten nach den ganzen Negativschlagzeilen in den letzten Monaten?
Diese Erwartungen sind einer gesellschaftlichen Veränderung unterworfen. Die Erwartungen in der Bevölkerung sind gestiegen – Stichwort Dienstwagen oder Velo-Sammelstelle.

Spionage: Dürr nimmt Stellung zur Spitzel-Affäre
Sicherheitsdirektor Baschi Dürr (FDP) beantwortete gestern im Basler Parlament zwei Interpellationen zur Spitzel-Affäre. Viel Neues war dabei nicht zu vernehmen. Dürr betonte jedoch, dass es keine konkreten Anhaltspunkte für Spionagetätigkeiten gegeben habe, als die Kantonspolizei zum ersten Mal vom Nachrichtendienst darauf aufmerksam gemacht wurde, dass einer ihrer Mitarbeiter im Netz wegen Aktivitäten für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufgefallen sei. «Die Polizeileitung entschied sich, nach einer grösseren Auslegeordnung, aufgrund der damaligen Fakten- und Rechtslage keine weitergehenden Abklärungen oder Massnahmen einzuleiten», sagte Dürr. 

Sowohl Dürr als auch sein Polizeikommandant Gerhard Lips geraten wegen sich häufender Kritik an Privilegien-Wirtschaft in der Basler Polizei unter Druck. Zuletzt wurde bekannt, dass sich Basler Polizisten aus der Velosammelstelle unentgeltlich bedienen konnten. 

Lassen Sie uns die Frage anders formulieren: Machen Sie sich Sorgen um das Image der Basler Polizei?
Wenn ständig Negativschlagzeilen zu lesen sind, mache ich mir sehr wohl Sorgen. Gleichzeitig aber sehe ich, dass sehr viel gute Arbeit geleistet wird, welche kaum erwähnt wird. Das ist das Dilemma.

«So hätte etwa der Fall mit dem sexuellen Übergriff unter dem Titel Korpsgeist vertuscht werden können; ist er aber nicht.»

Wie geht das Korps mit diesen vielen Negativschlagzeilen um?
Die Mitarbeiter auf der Strasse werden darauf angesprochen und oft in den gleichen Topf geworfen. Was ich eigentlich absolut untragbar finde, aber gleichzeitig nachvollziehen kann. Diese leiden eigentlich fast mehr darunter als ich, weil sie tagtäglich damit konfrontiert sind. So führt jede einzelne negative Handlung eines einzelnen Polizisten zu einem negativen Image der Polizei. Das beschäftigt mich sehr wohl.

An Sie selber gab es in der Sache vor allem ein Vorwurf: Warum haben Sie Regierungsrat Baschi Dürr nicht informiert?
Das ist ebenfalls Bestandteil der Untersuchung. Aus heutiger Sicht stelle ich mir die Frage natürlich auch. Die damalige Betrachtung aber war eine andere. Eine solche Warnung des Nachrichtendienstes ist aber schon eher aussergewöhnlich. Ja, und es könnte auch eher politisch relevant sein ...

... was wiederum für eine Meldung an Baschi Dürr sprechen würde.
Richtig. Das heisst aber nicht, dass es in diesem konkreten Fall tatsächlich sinnvoll gewesen sein muss – aus der damaligen Betrachtung. Darauf darf ich im Moment aber nicht näher eingehen.

Hat sich Ihre Betrachtung bis heute geändert?
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Aus heutiger Sicht würde ich Baschi Dürr wahrscheinlich informieren. Nach dem Motto: lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Das ist ein Lerneffekt. Es ist für mich aber nachvollziehbar, dass man heute in der Aussenbetrachtung den damaligen Entscheid nur schwer verstehen kann. Die Pappteller-Veranstaltung ist ein ähnlicher Fall, bei dem man im Nachhinein betrachtet anders vorgegangen wäre.

Eine Parallele allerdings scheint zu sein, dass von der Polizei erst reagiert wird, wenn die Fälle öffentlich geworden sind.
Der Eindruck ist falsch. So ist die Überarbeitung des Dienstwagenreglements bereits gestartet worden, bevor der Fall bekannt wurde. Es hat einfach zu lange gedauert. Die Probleme bei der Velosammelstelle haben wir längst abgestellt. Wichtig ist: Wenn ich feststelle, dass etwas nicht korrekt läuft, muss ich es abstellen. Das ist meine Aufgabe. Wenn ich das nicht mache und Unzulässiges toleriere, muss ich die Verantwortung übernehmen. Zur Velosammelstelle: Jetzt kann man darüber diskutieren, warum es so lange gedauert hat, bis man das gemerkt hat. Hier geht es um die innere Betriebskultur, um den sogenannten Korpsgeist. Dieser hat auch dazu geführt, dass man intern gewisse Sachen toleriert, bei denen man vielleicht kritischer hinsieht, dass man sich gegenseitig deckt und nicht gegenseitig am Stuhl sägt. Das hat sich in den letzten Jahren aber massiv geändert. So hätte etwa der Fall mit dem sexuellen Übergriff unter dem Titel «Korpsgeist» vertuscht werden können; ist er aber nicht. Ein beteiligter Mitarbeiter hat den Fall gemeldet, was die ganze Untersuchung erst ausgelöst hat. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges geändert.

«Ich habe aber keine Angst um meinen Job.»

Sind die Altlasten jetzt alle behoben?
Ich würde gerne ja sagen. Aber das Restrisiko ... Wir haben nach weiteren Privilegien gesucht, die nicht mehr zeitgemäss sind. Und glauben, dass wir alles bereinigt haben. Ich kann aber nicht ausschliessen, dass neue Sachen auftauchen. Die Wahrscheinlichkeit wird allerdings immer kleiner.

Wir müssen also nicht gleich den nächsten Skandal befürchten?
Wenn ich Angst hätte vor einer solchen Peinlichkeit, wäre es schwierig, meine Aufgabe zu erfüllen. Ich muss mit dem Restrisiko bis zu einem gewissen Grad leben können. Sonst müsste ich mir überlegen, einen neuen Job zu suchen.

Machen Sie das?
Nein, das mache ich nicht.

Macht das Baschi Dürr?
Das weiss ich nicht. Wir haben aber ein gutes Vertrauensverhältnis. Der Job ist aber sicher schwieriger geworden als vor zehn Jahren. Der Druck ist grösser geworden. Man lässt heute schneller jemanden fallen. Ich habe aber keine Angst um meinen Job. (bzbasel.ch)

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5 Kommentare
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Triumvir
11.05.2017 09:25registriert Dezember 2014
Der Mann muss weg. Es reicht einfach nicht zu behaupten, man habe ja von allem nichts gewusst. Was zumindest im Fall des mutmasslichen Spitzels nicht stimmt. Punkt.
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