Sie zählte schon nach dem Tod von André Simonazzi am 10. April 2024 zu den aussichtsreichsten Nachfolgerinnen des Bundesratssprechers. Nur: Nicole Lamon sagte damals gegenüber CH Media sehr schnell ab.
Lamon war von 2012 bis 2019 Kommunikationschefin von Innenminister Alain Berset. Sie habe in dieser Zeit «sehr viel» Zeit investiert und strebe keinen vergleichbaren Job mehr an, sagte Lamon, die heute als Inlandchefin der Westschweizer Zeitung «Le Temps» arbeitet.
Ziemlich genau ein Jahr später ist die Situation eine andere: Lamon kandidiert für die Nachfolge von Andrea Arcidiacono, wie Recherchen zeigen. Die neue Findungskommission, die Bundeskanzler Viktor Rossi im Februar für die Nachfolgeregelung eingesetzt hat, suchte den Kontakt zu ihr und bat sie, ihre Bewerbungsunterlagen einzureichen.
Damit wählte die Findungskommission unter der Führung von Vizekanzlerin Rachel Salzmann einen Mittelweg zwischen der Berufung einer Person und der ausschliesslichen Sichtung von eingegangenen Bewerbungsunterlagen.
Die erste Findungskommission, die nach Simonazzis Tod Ende Mai 2024 eingesetzt worden war, hatte noch den Weg der reinen Sichtung gewählt. Sie entschied sich mit Andrea Arcidiacono für einen Bewerber, dessen letzte Kommunikationstätigkeit für einen Bundesrat 17 Jahre zurücklag. Schnell zeigte sich: Findungskommission und Bundeskanzler hatten keine gute Wahl getroffen. Arcidiacono legte sein Amt Ende März nach nur sechs Monaten nieder. Er hatte die Anforderungen an den Job unterschätzt.
Bundesratssprecher und damit Vizekanzler ist einer der prestigeträchtigsten und wichtigsten Jobs in Bundesbern. Aber auch einer der härtesten. Prestigeträchtig, weil der Bundesratssprecher als eine von nur zehn Personen an jeder Bundesratssitzung persönlich teilnimmt und damit Vorgänge im Inneren der Regierung unmittelbar mitbekommt.
Wichtig, weil der Bundesratssprecher das öffentliche Gesicht der Schweizer Regierung ist und ihre Kommunikation entscheidend prägt und verantwortet. Gerade in globalen Krisensituationen, wie sie aktuell mit US-Präsident Donald Trump herrschen, kann ein falsches Wort oder ein schlechter Auftritt viel Schaden anrichten für ein Land.
Hart, weil der Bundesratssprecher ein Aufgabenportfolio bewältigen muss, das unmenschlich erscheint. Er schreibt das Protokoll jeder Sitzung eigenhändig, orchestriert die Kommunikation der Regierung und bereitet sie drei- bis viersprachig auf, koordiniert die Kommunikation der sieben Departemente, koordiniert die Abstimmungskommunikation, regelt die Kommunikation auf Social Media, verantwortet die Krisenkommunikation in ausserordentlichen Lagen – und führt auch noch 70 Personen.
Für die zweite Findungskommission war klar: Sie darf sich bei der Besetzung des Postens aufgrund der internationalen Krise keinen Fehler leisten. Deshalb konzentrierte sie sich in ihrer Suche auf erfahrene Personen, die mit Regierungskommunikation und Verwaltung bestens vertraut sind, sich aber auch mit der Medienseite gut auskennen.
Nicole Lamon erfüllt dieses Anforderungsprofil. Sie bringt einen grossen Erfahrungsschatz mit im Medienbereich, sowohl bei Radio und Fernsehen (RTS) als auch im Print- und Onlinebereich («Le Matin Dimanche», «Le Temps»). Vor allem kennt sie die Verwaltung als Ex-Kommunikationschefin bestens. Da sie 2019 wieder zu den Medien wechselte, war sie nicht in Bersets Corona-Leak-Affäre involviert. Als Westschweizerin vertritt sie zudem die lateinische Schweiz. Das ist wichtig, weil Bundeskanzler Rossi und Vizekanzlerin Salzmann Deutschschweizer sind.
Lamon wäre die erste Frau als Bundesratssprecherin. Bisher besetzten immer Männer das Amt, das 2000 geschaffen worden war. Einiges deutet darauf hin, dass Lamon mit der Findungskommission darüber spricht, ob sich das Jobprofil entschlacken lässt. Sie hatte sich 2024 unter anderem wegen der Fülle der Aufgaben gegen eine Bewerbung entschieden.
Sie gilt zwar als Favoritin für die Nachfolge Arcidiaconos. Doch da gibt es auch noch Urs Wiedmer, seit 2016 Kommunikationschef bei Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Indizien deuten darauf hin, dass die Findungskommission auch auf ihn zugegangen ist und ihn gebeten hat, sein Dossier einzureichen. Es ist allerdings unklar, ob dem so ist.
Auch Wiedmer gilt als sicherer Wert für den Posten dank seiner guten Vernetzung in der Verwaltung und seiner Erfahrung in der Departements- und Regierungskommunikation. Beim Baulandskandal von Guy Parmelin bewies er Standfestigkeit in der Krise. Zudem verfügt Wiedmer über viel Fernseherfahrung bei SRF – als Regionalkorrespondent, Inlandkorrespondent, «Arena»-Moderator und Bundeshauskorrespondent.
Interessiert für das Amt des Bundesratssprechers hat sich auch Pierre Gobet. Er ist seit 2022 Kommunikationschef der ständigen Mission der Schweiz bei der UNO in New York. Zuvor war er langjähriger Journalist des Westschweizer Fernsehens RTS – in Zürich, Bern und den USA. Recherchen zeigen, dass Gobet allerdings nicht mehr im Rennen ist.
Was sagen die Betroffenen auf Anfrage zu den Recherchen? «Kein Kommentar», sagt Pierre Gobet. Auch Urs Wiedmer äussert sich nicht. Und was sagt Nicole Lamon? «Kein Kommentar.»
Die Suche der Findungskommission steht vor dem Abschluss. Es gilt strikte Vertraulichkeit. (aargauerzeitung.ch)