Wie bewegt man den Bundesrat dazu, aktiv zu werden, wenn er nicht aktiv werden will? Diese Frage werden sich linke Politikerinnen und Politiker diese Woche gestellt haben. Auslöser des Streits ist das Hickhack zwischen dem Parlament und dem Bundesrat bezüglich Kurzarbeit, welche per Notrecht während der Pandemie ausgedehnt – und genauso plötzlich beendet wurde.
Geklärt werden soll der Streit nun in einer ausserordentlichen Session. Es wäre die zweite Extra-Session zu Corona-Themen. Gefordert werde sie von Vertreterinnen und Vertreter der SP und der Grünen – nötig wären für einen solchen Antrag gemäss Parlamentsgesetz 50 Mitglieder des Nationalrates, die beide Parteien locker aufbringen könnten.
Gerüchte, wonach ein solcher Antrag demnächst eingereicht werden solle, kursierten am Wochenende. Angefragte Politikerinnen und Politiker wollten dazu öffentlich keine Stellung nehmen oder verwiesen auf die «Kommunikation», die bald erfolgen werde. Unter vorgehaltener Hand geben jedoch mehrere Nationalratsmitglieder eine Bestätigung dafür und sagen, dass eine Session noch vor der bundesrätlichen Sommerpause gefordert werde.
Der Streit dreht sich um die wirtschaftlichen Hilfen des Bundesrates für Arbeiterinnen und Arbeiter, die nicht im klassischen Anstellungsverhältnis ihren Lohn verdienen. Gemeint waren etwa Inhaberinnen und Inhaber von Kleinstbetrieben, KMUs, aber auch tausende Selbstständige im Kultursektor, die wegen des Veranstaltungsverbots unzählige Aufträge verloren hatten.
Die Hilfen des Bundesrates sahen vor, dass die Kurzarbeit für bestimmte Personen ausgedehnt wird und Selbstständige eine Erwerbsausfallentschädigung ausbezahlt erhalten. Die Lösung half zwar nicht allen und es kam zu Nachjustierungen. Die Landesregierung hielt jedoch gewissermassen Wort, als Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga sagte: «Wir lassen euch nicht im Stich.»
«Der Bundesrat kümmert sich um euch», hiess es voller Pathos. Er kümmerte sich jedoch nur bis Mitte Mai. Am 16. Mai liefen die Erwerbsersatz-Massnahmen aus. Und am 20. Mai verkündete der Bundesrat, dass er einen grossen Teil der Kurzarbeit-Erweiterung per Ende Monat auslaufen lassen wolle.
Das kam bei den Betroffenen alles andere als gut an. Kritik gab es etwa aus der Veranstaltungsbranche, die nach wie vor mit Veranstaltungsausfällen bis in den Herbst rechnen muss. «Wir leiden immer noch unter einem Berufsverbot. Es sind alle Veranstaltungen abgesagt. Das heisst, wir haben einfach schlichtweg keine Arbeit», sagte etwa Jürg Gantenbein, Präsident des Schweizer Verbands Technischer Bühnen- und Veranstaltungsberufe, zu SRF.
Der Inhaber einer Zürcher Kreativagentur sagte, dass er es eine «Schande» finde, dass so kurzfristig die Hilfen des Bundes gestrichen wurden. «Wenn wir innovativ sind, dann lobt uns die Politik. Jetzt, wo wir aber Hilfe benötigen, hört uns niemand. Dabei steht unsere Existenz auf dem Spiel!», sagt der Unternehmer im Hintergrund-Gespräch mit watson.
Die Politik hörte diese Kritik kommen und versuchte, zu retten. Keine Woche nach dem Bundesratsentscheid zur Kurzarbeit reichte die Sozialkommission des Nationalrates zwei Vorstösse ein, in der sie Kurzarbeit und Erwerbsausfall-Entschädigung für Betroffene verlängern wollte.
Die beiden Vorstösse lagen am 26. Mai auf den Tisch. Sie kamen jedoch zu spät, wie sich später herausstellen sollte. Und sie konnten nicht pünktlich kommen, woran der Bundesrat rückblickend eine Mitverantwortung trägt.
Der Grund war juristischer Natur: Die beiden Vorstösse waren zwei Motionen, die Aufträge an den Bundesrat richten. Und bevor eine Motion im Parlament behandelt werden kann, muss der Bundesrat dazu Stellung nehmen können. Dafür war es zeitlich zu spät, wie die Bundeskanzlei gegenüber watson erklärt. Im Mail führt Sprecherin Ursula Eggenberger aus, dass der Bundesrat das Parlament Anfang Mai darüber informiert hatte, dass er nur jene Kommissionsmotionen im Schnellverfahren beantworten werde, die «bis zwei Wochen vor der nächsten Session» überwiesen werden.
Zwei Wochen, das sind 14 Tage. Zwischen dem Bundesratsentscheid vom 20. Mai zum kurzfristigen Auslaufen der Kurzarbeitsmassnahme und dem Beginn der Sommersession am 2. Juni waren es auf den Tag genau 13 Tage. Das Parlament hatte gar keine Möglichkeit, rechtzeitig beim Bundesrat eine Korrektur zu verlangen.
Dies führte diese Woche dazu, dass das Parlament zunächst willentlich die eigenen Spielregeln brechen wollte. Am Montag stimmte der Nationalrat überraschend einem Ordnungsantrag des Aargauers Cédric Wermuth (SP) zu, die beiden Motionen – trotz fehlender Anhörung des Bundesrates – noch auf die Traktandenliste zu setzen. Ratspräsidentin Isabelle Moret (FDP) hatte zuvor ausdrücklich auf den Bruch mit dem Parlamentsgesetz hingewiesen.
Tags darauf wurde der Entscheid gekippt. «Das Parlament bzw. unsere Kammer hätte unser Parlamentsrecht klar verletzt und kratzte damit an seiner eigenen Glaubwürdigkeit. Der Bundesrat stünde als Formalist und Arbeitsverweigerer da, obwohl er so handelt, wie es unser Parlamentsgesetz vorsieht», sagt FDP-Nationalrat Kurt Fluri, der mit seinem Ordnungsantrag gegen Wermuths Ordnungsantrag obsiegte.
Es bleibt die Frage, was nun eine ausserordentliche Session bringen könne. Stellen 50 Nationalrätinnen und Nationalräte den Antrag auf eine Extra-Session, so können sie auch bestimmen, welche Vorstösse auf die Traktandenliste genommen werden sollten. Im Falle der Motionen müsste nach wie vor die Antwort des Bundesrates abgewartet werden. Unklar ist jedoch, ob die Regierung gewillt sein wird, diese Antwort auch zu liefern.
Wie stehts so treffend ganz am Anfang der Bundesverfassung "gewiss, dass ...dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen"...