Manchmal hilft ein Blick zurück, um die Gegenwart zu verstehen. Anfang 2013 organisierte diese Zeitung ein Dreier-Interview mit den bürgerlichen Parteipräsidenten Toni Brunner (SVP), Christophe Darbellay (CVP) und Philipp Müller, der damals relativ neu als FDP-Chef im Amt war. Auf den Fotos sieht man heitere Gesichter, einmal heisst es im Text: «Alle lachen lange.» Die drei Männer versprachen kühn, den «Schulterschluss zu suchen» (Brunner), die «bürgerliche Zusammenarbeit zu stärken» (Müller), und sie stellten fest, dass man sich «in 80 Prozent der Entscheide einig» sei (Darbellay).
Was wie eine Verheissung klang, endete bald als Farce.
Müller wurde mit seiner erfolgreichen Mitte-rechts-Positionierung zum Feindbild der SVP, Darbellay bewegte sich nach links. Das Verhältnis der drei Parteien, die als «Bürgerblock» die Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hatten, wurde nicht besser, als Petra Gössi bei der FDP und Albert Rösti bei der SVP übernahmen. Man betonte Unterschiede statt Gemeinsamkeiten.
Einzig Gerhard Pfister, der Neue bei der CVP/Die Mitte, ist stärker ins bürgerliche Lager eingebunden als sein Vorgänger. Doch ein Dreier-Interview mit Heiterkeit - das gäbe es kaum mehr.
Das ist schade, denn gemeinsam könnten die drei Parteien viel erreichen: Die Sicherung der Altersvorsorge, vernünftige Reformen im Gesundheitswesen - und eine Standortpolitik, welche die Attraktivität der Schweiz auch in Zeiten von globalen Mindeststeuern garantiert. Mit Ausnahme der Europapolitik, wo fundamentale Differenzen herrschen, gibt es überall grosse Überschneidungen. Sogar im Klimaschutz wäre ein mehrheitsfähiger Kompromiss möglich.
Persönliche Animositäten und Marketingüberlegungen lassen einen Schulterschluss in weite Ferne rücken. Der Egoismus der Parteien wächst proportional zu ihrer Erfolglosigkeit, und erfolglos waren zuletzt alle drei. Am vergangenen Wochenende sogar im fast prototypisch bürgerlichen Aargau, wo in vielen Gemeinden parteilose, grüne oder grünliberale Kandidaten die Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerlichen alt aussehen liessen. Vor allem, aber nicht nur bei der SVP.
Am Samstag wählen die Freisinnigen einen neuen Präsidenten. Thierry Burkarts erste Aufgabe wird nicht sein, den bürgerlichen Schulterschluss zu suchen. Prioritär muss er die eigene Partei auf Kurs bringen. Und zwar in dreifacher Hinsicht: Inhaltlich, was Europa und Klima angeht; personell, was Schlüsselpositionen betrifft; und strukturell, was die Sektionen anbelangt, von denen einige in den Tiefschlaf gefallen sind.
Burkart bringt gute Voraussetzungen mit. Er bekommt als alternativloser Kandidat ein starkes Mandat, und im Kanton Aargau hat er als Parteichef und als Grossratspräsident bewiesen, dass er trotz rechtsbürgerlicher Haltung integrierend wirken kann.
Und doch ist unsicher, ob Burkart die Erosion stoppen kann. Nie war die FDP bedrängter als jetzt, wo ihr gleich zwei Parteien Wähler abspenstig machen, die wählerstarke SVP von rechts und die aufstrebende GLP von links. Da wirken gewaltige Zentrifugalkräfte. Die Losung «zurück zu den liberalen Wurzeln» ist gewiss richtig, nur: Was heisst das für die Übersetzung des Programms in konkrete Politik?
Mit Burkart wird das Profil der FDP, ähnlich wie damals mit Philipp Müller, wieder klar Mitte-rechts. Die Distanz zur GLP wächst, jene zur SVP schrumpft ein bisschen. Die Mitte hat mit Gerhard Pfister ebenfalls einen Mitte-rechts stehenden Präsidenten. Das Potenzial, dass der «Bürgerblock» gemeinsame Lösungen findet, wäre mit den traditionellen Partnern FDP und CVP/Mitte vorhanden.
Nur bei der SVP mit Präsident Marco Chiesa ist man sich nicht mehr sicher, ob sie sich überhaupt noch zu diesem Lager zählt. Jüngst hat sie sich in Stil und Inhalt nicht mehr wie eine bürgerliche Partei im ursprünglichen Sinn gebärdet, sondern als Sammelbewegung von Coronaskeptikern und Protestwählern auf dem Land. So bleibt der bürgerliche Schulterschluss auch in der neuen Präsidenten-Konstellation eine Illusion. (aargauerzeitung.ch)