Angelina* suchte mehrere Monate nach einer Wohnung in Zürich. Sie wusste, dass ihre alte Wohnung bald abgerissen werden würde, die Suche wurde immer dringlicher.
Kurz vor dem Abrisstermin wurde sie fündig – eine kleine und gut gelegene Zweizimmerwohnung. Der Mietzins von 1350 Franken wirkte in Ordnung, denn es handelte sich um eine Wohnung im Seefeld, einem beliebten Zürcher Quartier.
Doch Angelina wurde überrascht. Sie erklärt: «Die Vormieterin verlangte von mir, dass ich ihr die Möbel, die bereits in der Wohnung waren, abkaufe.»
Angelina* konnte ihre Bewerbung nicht direkt an die Verwaltung senden, sondern musste den Zettel ausgefüllt der Vormieterin geben. «Sie hat gesagt, dass sie der Verwaltung meine Unterlagen nur senden würde, wenn ich ebenfalls einen anderen Zettel unterschreibe, auf dem steht, dass ich ihr die Möbel für 1500 Franken abkaufe», so Angelina.
Die Vormieterin habe keine Lust gehabt, das Bett aus der Wohnung zu transportieren, und den Schrank – also ein paar an die Wand geschraubte Regale – habe sie nicht abmontieren können und wollen. Zudem hinterliess sie ein blaues Samtsofa.
Angelina war zwar nicht überzeugt von dem Deal, bezahlte der Vormieterin aber dennoch stolze 1500 Franken: «Sie sagte mir, dass das Bett 700 Franken gekostet habe und praktisch neu sei. Deshalb verlangte sie alleine dafür 500 Franken von mir. Als ich schon in der Wohnung lebte, entdeckte ich es auf Ikea für 500 Franken. Da kam ich mich schon für dumm verkauft vor», ärgert sich Angelina.
Sie ergänzt: «Beim Schrank behauptete sie ebenfalls, dass er handgefertigt sei. Auch diese zusammengebastelten Einzelteile entdeckte ich dann auf der Ikea-Homepage.»
Noch bevor Angelina überhaupt eingezogen war, überkam sie ein ungutes Gefühl: «Bei der Wohnungsübergabe meinte die Vermieterin, dass diese Möbel nun schon eine gefühlte Ewigkeit in der Wohnung seien. Aber die Vormieterin hat mir gesagt, dass sie sie alle neu gekauft habe. Das fand ich nicht fair, aber ich sah darüber hinweg, weil ich in einer Notsituation war.»
Angelina fügt an: «Das Ironische an der Sache ist, dass meine Vormieterin eine Juristin war, die damals für ihre Anwaltsprüfung lernte. Man würde hoffen, dass solche Menschen ein starkes Gerechtigkeitsempfinden haben.»
Als Angelina nach knapp einem Jahr wieder aus der Wohnung auszog, verkaufte sie die Möbel auch wieder weiter. «Ich verlangte 800 Franken von meiner Nachmieterin, ich wollte sie nicht über den Tisch ziehen», so Angelina. Danach sei die Sache für sie erledigt gewesen und sie lebte sich in ihrer neuen – von ihr selbst möblierten Wohnung – ein.
An einem Abend scrollte sie durch Facebook und entdeckte auf einer Wohnungssuche-Seite ihre alte Wohnung. Die Nachmieterin hatte sich entschieden, auch wieder auszuziehen. Und natürlich wollte auch sie diese «wie verhexten» Möbel wieder loswerden. «Mich traf fast der Schlag, als ich gesehen habe, was sie für die Möbel, für die sie selbst 800 Franken bezahlt hat, verlangte. 1800 Franken! Ein absoluter Wucher», sagt Angelina.
Sie habe die Nachmieterin nicht konfrontiert, die Sache sei ihr schlicht zu blöd geworden: «Wenn sie das mit ihrem Gewissen vereinbaren kann, dann soll sie das so machen. Die Möbel werden vermutlich für immer in dieser Wohnung stehen.»
Beim Scrollen durch verschiedene Facebook-Wohnungssuche-Gruppen wird klar: Es gibt viele Personen, die unmissverständlich schreiben, dass sie Nachmieter, die ihre Möbel übernehmen, bevorzugen. Das heisst: Wenn man die Wohnung wirklich will, muss man diesen Kompromiss eingehen – so wie es auch Angelina tat.
Hier einige Beispiele:
watson hat den Mieterverband konsultiert und gefragt, ob diese Methode oft angewendet wird. «Diese Unsitte ist uns schon länger bekannt. Die Leute sagen ihren Nachmietern, dass sie die Möbel für einen guten Preis übernehmen könnten, aber wissen, dass sie auf den Internetplattformen nichts dafür bekommen würden», sagt Walter Angst vom Mieterverband. Er fügt an: «Wenn das für beide Parteien in Ordnung ist, besteht kein Problem. Aber wenn Leute über den Tisch gezogen werden, ist das bedenklich.»
«Ein Vertrag zwischen einem ausziehenden und einem einziehenden Mieter zur Übernahme von Möbeln ist nur gültig, wenn der Preis angemessen ist. Der ausziehende Mieter wird die Zahlung nicht durchsetzen können, wenn für gebrauchte Ikea-Möbel der Neuwert verlangt wird. Er muss zudem die Rechnungen zeigen. Deshalb gilt: Man kann den schriftlichen oder mündlichen Vertrag bei der Übernahme der Wohnung widerrufen und dem ausziehenden Mieter ein faires Angebot machen», so Angst.
Zudem funktioniere diese Möbelübernahme auch nur, wenn der Vormieter seine Nachmieterin selbst stellen müsse. Wenn die Verwaltung einen Nachmieter suche, ginge das nicht, erklärt Angst.
Es stellt sich die Frage, was man als Nachmieterin unternehmen kann, wenn man die Wohnung möchte, aber die Möbel nicht übernehmen will. Angst hat eine einfache Lösung: «Man kann dann auch den Mietvertrag unterschreiben und dem Vormieter sagen, dass man die Möbel nun doch nicht übernehmen will.»
Er ergänzt: «Selbst wenn man sich gegenüber dem Vormieter schriftlich zu einer Zahlung bereit erklärt hat, muss der Betrag nicht einfach überwiesen werden. Wenn der Neuwert oder noch mehr eingefordert worden ist, werden Gerichte eine solche Forderung nicht bestätigen.»
* Name von der Redaktion geändert.
OR - Art. 21
III. Übervorteilung
1 Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
2 Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages.