Schweiz
Gesellschaft & Politik

Bundesrat streicht dritte Geschlechtsoption – die Reaktionen sind binär

Die non-binary-Flagge weht im übertragenen Sinn amtlich gesehen (noch) nicht.
Die non-binary-Flagge weht im übertragenen Sinn amtlich gesehen (noch) nicht.Bild: Shutterstock

Bundesrat streicht dritte Geschlechtsoption – die Reaktionen sind sehr binär

23.12.2022, 11:5523.12.2022, 13:42
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In der Schweiz gibt es so bald keine Möglichkeit, sich amtlich mit einem dritten Geschlecht zu identifizieren. Dies gab der Bundesrat gestern bekannt. Das binäre Geschlechtermodell sei in der schweizerischen Gesellschaft nach wie vor stark verankert; vor einem neuen Geschlechtermodell brauche es zuerst einen gesellschaftlichen Diskurs.

Hier die gesammelten Reaktionen aus Politik, Gesellschaft und der Presse:

Politik

Das SP-Organ «SP queer» schrieb noch am Mittwochabend in einer Pressemitteilung, man sei enttäuscht: «Der Entscheid des Bundesrats verkennt die Realität der Existenz non-binärer Menschen in der Gesellschaft», sagt Max Kranich, Co-Präsident der «SP queer». Die non-binäre Einordnung sei bei vielen in der Bevölkerung noch unbekannt, da aber ein Umdenken nicht von selbst stattfinde, solle der Bundesrat proaktiv darauf hinarbeiten.

Die SP Schweiz unterstützt ihre Untergruppe in ihrem Anliegen: «Wir setzen uns auf allen Ebenen für Selbstbestimmung, Chancengleichheit und gegen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung und/oder der Geschlechtsidentität ein. Darum fordern wir als SP Schweiz unter anderem [...] die Einführung eines ‹Geschlechts X› bzw. einer dritten Geschlechtskategorie», schreibt Mediensprecher Nicolas Haesler auf Anfrage.

An einer Demonstration zum Tag der Arbeit spricht die Nationalraetin Sibel Arslan, Gruene-BS, am Samstag, 1. Mai 2021 im Zentrum von Zuerich. Schweizweit sind am Samstag an ueber 30 Orten Veranstaltun ...
Sibel Arslan.Bild: keystone

Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan bezeichnetet die Aussagen des Bundesrats als Ausflüchte. Es sei absurd und rückwärtsgewandt, dass der Bundesrat nicht anerkenne, dass sich die Gesellschaft weiterentwickle. Ein drittes, unbestimmtes Geschlecht sei für viele Menschen ein Bedürfnis. Die Partei kündigte an, eine parlamentarische Initiative oder eine Motion einzureichen, um ein drittes Geschlecht in der Schweiz zu ermöglichen.

Von bürgerlicher Seite her halten sich die Reaktionen in Grenzen. Die FDP findet den Bundesratsentscheid auf Anfrage «nachvollziehbar und schlüssig». Ebenso wie bei der SVP verweist man darauf, dass die Diskussion nicht zu den Kernthemen der Partei gehöre.

Queer-Community

Für Transgender Network Switzerland ist die Haltung des Bundesrats eine «Ohrfeige gegen nicht binäre Menschen». Damit demonstriere der Bundesrat vor allem seine eigene feindliche Einstellung. Zudem kenne die Regierung die Haltung der Schweizer Bevölkerung nicht, denn in einer Untersuchung des Forschungsinstituts Sotomo von 2021 hätten sich 53 Prozent für einen Eintrag für nicht binäre Menschen in amtlichen Dokumenten ausgesprochen.

Medien

Die bürgerliche NZZ begrüsst den Bundesratsentscheid. Katharina Fontana schreibt in ihrem Kommentar, man könne dem Bundesrat nur beipflichten. Die rechtliche Einteilung in Mann und Frau stütze sich auf objektive Kriterien, die von der «riesengrossen Mehrheit» der Bevölkerung akzeptiert würden. Ausserdem habe in der Schweiz jeder das Recht, sich als nicht-binär zu fühlen, das sei Privatsache und der Staat habe sich da nicht einzumischen. Es sei jedoch auch nicht die Aufgabe des Staats, das Rechtssystem an jede noch so kleine Minderheit anzupassen.

Zudem findet Fontana, ganz im Rahmen der bundesrätischen Erklärung, der Aufwand sei schlicht zu gross. Stichworte sind der Militärdienst, die Witwenrente, Anschriften in öffentlichen Räumen, Gesetzessprache und so weiter.

Anders sieht es Edgar Schuler vom «Tagesanzeiger»: Er bezeichnet den Entscheid des Bundesrates als «mutlos und weit weg vom Volk». Die Exekutive verweigere sich jeder Anteilnahme an der Diskussion. Und: Der Bundesrat hinke dem Volk in der Genderfrage massiv hinterher. Auch er bezieht sich auf die Sotomo-Studie, nach der 53 Prozent der Befragten sich mit «Ja» oder «eher ja» für eine dritte Geschlechtsoption für amtliche Dokumente aussprechen.

Soll es amtlich ein drittes Geschlecht geben?

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559 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Roko93
22.12.2022 15:10registriert Dezember 2022
Da selbst hier knapp 68% finden, dass wir das nicht brauchen kann man davon ausgehen, dass eine schweizweite Abstimmung wohl zu 99% abgelehnt werden würde. Ein sehr sehr kleiner Teil der Bevölkerung versucht hier dem Rest etwas aufzuzwingen, dass nicht wirklich benötigt wird. Jeder darf sich als das fühlen, was er ist bzw. will, aber warum muss man immer übertreiben?
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Ohniznachtisbett
22.12.2022 15:15registriert August 2016
Auch hier wieder: Der Eintrag im Pass ist "sex" nicht "gender". Ich fühle mich auch gelegentlich als Walross, trotzdem bleibe ich biologisch ein Mensch. Das Thema geht eigentlich nur Intersexuelle, also Menschen, die biologisch nicht eindeutig zugeteilt werden können, etwas an. Irgendwelche Paradiesvögel, die sich non-binär fühlen sollen das tun. Hat aber nicht mit ihrem biologischen Geschlecht zu tun. Oder gehen die dann auch zum Gynäkologen wenn sie Prostataprobleme haben?
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Bruno Wüthrich
22.12.2022 16:43registriert August 2014
Die Queer-Community sollte endlich damit aufhören, jede/n, der/die nicht auf ihren Zug aufspringt, gleich als Feind zu bezeichnen, denn es könnte irgendwann mal sein, dass man dies wird. Ich war bisher nie Feind und möchte es auch nicht werden. Aber ich sehe nicht ein, weshalb wegen einem verschwindend kleinen Prozentsatz an Betroffenen ein Riesengeld ausgegeben werden soll. Der Nutzen für die Betroffenen wäre trotz allem bescheiden. Bezahlen müsste es die grosse Mehrheit, die gar nichts von dieser Neuerung hat (höchstens noch ein paar zusätzliche Umstände). Hört endlich auf mit der Zwängerei.
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