Jeden Tag registrieren die Polizeien in der Schweiz mehr als drei Kinder, die Opfer von sexueller Gewalt werden. Insgesamt 1278 Kindesmissbrauchsfälle waren es im vergangenen Jahr, wie aus der kürzlich publizierten polizeilichen Kriminalitätsstatik hervorgeht. Doch die Statistik erfasst das Problem nicht in seinem ganzen Ausmass. Die Dunkelziffer ist gross. Eine im Schuljahr 2009/2010 durchgeführte Befragung förderte zu Tage: 22 Prozent der Mädchen und 8 Prozent der Jungen im Alter zwischen 15 bis 17 Jahren gaben an, schon einmal sexuellen Missbrauch erlebt zu haben.
Dunkelfeldstudien in Deutschland zeigen ähnliche Befunde. Pro Schulklasse dürften ein bis zwei Kinder von sexueller Gewalt betroffen sein. Meistens sind Männer die Täter, oft stammen sie aus der Familie oder dem näheren sozialen und schulischen Umfeld der Opfer.
Leisten die Schulen genug Präventionsarbeit, um sexuellen Missbrauch zu verhindern? Sie könne die Frage nicht objektiv beantworten, sagt Monika Egli-Alge, Psychologin und eine der führenden Pädophilen-Therapeutinnen in der Schweiz. Aber: «Subjektiv stehen wir ab und zu vor Situationen, in welchen die Schulen doch mehr im Bereich der Prävention tun könnten und aus meiner Sicht auch sollten.» Prävention müsse zudem permanent geschehen, damit sie erfolgreich sei.
Yvonne Kneubühler von der Fachstelle Limita, ein Kompetenzzentrum zur Prävention sexueller Ausbeutung in der Deutschschweiz, ergänzt: «Es gibt sehr wenig Schulen, die umfassende Schutzkonzepte haben.» Jede Schule entscheide selber, wie sie Präventionsmassnahmen umsetze. Eine Sprecherin der Stiftung Kinderschutz Schweiz sagt:
Kinderschutz Schweiz bietet Präventionsmaterialien für alle Schulstufen an.
Doch jetzt schaltet sich die Politik ein. Vor zwei Wochen hat die Zürcher Kantonsrätin Sibylle Marti (SP) mit sechs Mitunterzeichnenden von links bis rechts – nur die SVP steht abseits – ein Postulat eingereicht, um Kinder und Jugendliche besser vor Missbrauch zu schützen. Die Politikerinnen verlangen, dass in den Schulen flächendeckend Schutzkonzepte installiert werden. Dabei sollen nicht nur die Kinder befähigt werden, Abwehrstrategien gegen sexuellen Missbrauch zu entwickeln. Vielmehr sollen auch Lehrpersonen und Eltern für die Thematik sensibilisiert werden. Schliesslich brauche es eine klare Definition, wie professionelle Nähe im Schulkontext gestaltet werden kann und an wen sich Lehrpersonen, Eltern und Kinder bei Grenzüberschreitungen und Verdachtsmomenten wenden können.
❗Postulat❗
— Hands Off - Stop Child Abuse e.V. (@handsoff___) March 18, 2022
Prävention im Bereich sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Schulen
Unser Postulat wird dem Regierungsrat Zürich vorgelegt. Ein weiterer grosser und wichtiger Meilenstein.#postulat#regierungsratzürich#stopchildabuse#kinderschutz#prävention pic.twitter.com/HbE4JsJURb
Einen Schritt weiter ist eine parteiübergreifende Allianz von Kantonsparlamentarierinnen und Kantonsparlamentariern im Kanton Aargau. Der Regierungsrat hat einen ähnlich lautenden Vorstoss im vergangenen Jahr angenommen. Er hielt dabei fest, die Früherkennung sexueller Gewalt an Kindern sei sehr schwierig. Gleichzeitig betonte er, die Schülerinnen und Schüler würden gemäss dem Lehrplan alters- und stufengerecht über Themen wie Liebe, Sexualität und körperliche Entwicklung aufgeklärt. Auch könnten Schulen bei Fachorganisationen Unterrichtsmaterialien besorgen. Zudem biete die Pädagogische Schule Nordwestschweiz Weiterbildungen zur sexuellen Bildung an.
Jetzt sollen die politischen Aktivitäten zur Missbrauchsprävention ausgedehnt werden. Als Koordinator wirkt der Verein «Hände weg. Stopp Kindesmissbrauch». Der Verein stehe mit Parlamentsmitgliedern aus vielen Deutschschweizer Kantonen in Kontakt, wie Gründer und Vorstandsmitglied Marc C. Riebe sagt. Später wollen Riebe und seine Mitstreiter auch in der Romandie und im Tessin die Politik für ihr Anliegen gewinnen. Das Ziel lautet: In sämtlichen Kantonen sollen Vorstösse wie in Zürich und Aargau eingereicht werden.
Riebes Engagement kommt nicht von ungefähr. Er habe selber miterlebt, dass die Schulverantwortlichen kaum reagiert hätten auf einen Mitschüler seiner Tochter, der vom Kindergarten bis zur Primarschule immer wieder als Schläger aufgefallen sei. Er befürchtet, viele Schulverantwortliche seien überfordert bei Fällen von sexuellem Missbrauch mangels fehlender Ausbildung. Zudem erfuhr er aus seinem Verwandten- und Bekanntenkreis erschreckende Nachrichten über sexuelle Gewalt an Kindern. Riebe sagt:
Hinzu kommt: Viele Opfer getrauen sich nicht, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, die Fälle bleiben oft unbekannt.
Der Verein «Hände weg. Stopp Kindesmissbrauch» mischt nicht nur die Kantonalpolitik auf. In einer Petition verlangt er Massnahmen vom Bundesrat, damit Lehrpersonen, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler über die Gefahren von sexueller Gewalt an Kindern aufgeklärt und sensibilisiert werden. Der Verein hat in Zusammenarbeit mit Fachpersonen selber ein Kinderbuch («Leo Löwe Kinderschutz») verfasst, das in Kindergärten und Klassenzimmern zum Einsatz kommen soll.
Als geeignete Sensibilisierungsmassnahme stuft Riebe auch das Angebot des Basler Vereins «theater vitamin a» ein. Dieser führt auf Stufe Kindergarten und Primarschule die Theaterstücke «Die grosse Nein-Tonne» und «Mein Körper gehört mir» auf. (aargauerzeitung.ch)
Ich verstehe nicht weshalb solche Tatsachen vor den Wahlen jeweils nicht deutlicher kommuniziert werden und die Leute auf die „Ausländer = böse“ Nummer reinfallen.
Je früher die Knöpfe Wissen was läuft desto eher erkennen sie wenn jemand ihnen Unrecht tut.