Schweiz
Gesellschaft & Politik

Ständerat und Bundesrat sind Soldaten mehr Geld wert als Mütter

Ständerat und Bundesrat sind Soldaten mehr Geld wert als Mütter – Frauen sind empört

Frischgebackene Mütter sind beim Erwerbsersatz deutlich schlechter gestellt als Männer im Militärdienst. Der Nationalrat wollte diese Ungleichbehandlung aufheben, nun stimmt der Ständerat dagegen. Frauen verschiedener politischer Couleur sind empört.
09.06.2022, 04:49
Chiara Stäheli, Benjamin Rosch / ch media
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Das aktuell geltende Erwerbsersatzgesetz benachteiligt Frauen systematisch. Denn während Männer, die Militärdienst leisten, pro Tag bis zu 245 Franken Erwerbsersatz erhalten, bekommen frischgebackene Mütter maximal 196 Franken. Sie haben zudem - im Gegensatz zu den selbstständig tätigen Militärdienstleistenden - kein Anrecht auf Betriebszulagen.

Parlamentarier debattieren waehrend der Fruehlingssession der Sommersession Raete, am Mittwoch, 8. Juni 2022 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Die Mehrheit der Männer im Ständerat will die Schlechterstellung der Mütter beim Erwerbsersatz nicht aufheben.Bild: keystone

Das darf nicht sein, finden die beiden SP-Nationalrätinnen Priska Seiler Graf und Min Li Marti. Sie fordern in zwei unabhängigen Motionen, dass einerseits die Schlechterstellung der Mütter beim Erwerbsersatz aufgehoben wird. Der Höchstbetrag der Mütter soll analog jenem der Armee- und Zivildienstleistenden auf 245 Franken pro Tag erhöht werden. Andererseits sollen auch selbstständige Mütter künftig Betriebszulagen geltend machen können.

«Analoge Entschädigung ist nicht angebracht»

Während die beiden Motionen im Nationalrat eine deutliche Zustimmung erfuhren, tat sich der Ständerat mit der Motion von Priska Seiler Graf schwer. In der Debatte am Mittwochvormittag regte sich bürgerlicher Widerstand gegen die höhere Maximalentschädigung. Die Begründung der Herren Ständeräte steht freilich auf wackligem Fuss. So sagte etwa Hannes Germann (SVP/SH), dass eine Mutterschaft im Gegensatz zum Militärdienst freiwillig sei. Der Militärdienst «ist eine Pflicht, die wir gegenüber dem Staat zu erbringen haben», so Germann. Eine analoge Entschädigung sei daher nicht angebracht und würde die EO in Schieflage bringen.

Priska Seiler Graf, SP-ZH, spricht waehrend der Debatte um den sicherheitspolitischen Bericht 2021, waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 9. Maerz 2022, im Nationalra ...
Die Motion von Priska Seiler Graf kam im Ständerat nicht durch.Bild: keystone

Auch sein Schwyzer Parteikollege Alex Kuprecht wehrte sich gegen die Motion. Er fürchtet Mehrkosten, die über höhere Lohnbeiträge kompensiert werden müssten. In seinem Votum wandte sich Kuprecht an seine Ratskolleginnen und Ratskollegen:

«Ich möchte Sie bitten, auch in Zukunft vermehrt Zurückhaltung zu üben. So kann und darf es nicht mehr weitergehen.»

Ebenfalls gegen die Motion stellte sich der Bundesrat. Innenminister Alain Berset sprach von «weitreichenden Konsequenzen», sollte der Vorstoss angenommen werden. Die finanziellen Folgen seien beträchtlich und würden sich im Jahr 2030 auf etwa 260 Millionen belaufen.

Bundesrat Alain Berset spricht waehrend der Fruehlingssession der Sommersession Raete, am Mittwoch, 8. Juni 2022 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Auch der Bundesrat stellte sich gegen die Motion.Bild: keystone

Ratspräsident mit Stichentscheid

Die vorbehandelnde Kommission setzte sich in der kleinen Kammer für die Annahme der Motion ein. Auch wenn Kommissionssprecherin Brigitte Häberli-Koller einräumte,« dass die Differenz zwischen der Mutterschaftsentschädigung und der Entschädigung für Dienstleistende das Ergebnis eines historischen Kompromisses» sei, erachte die Mehrheit der Kommission die Ungleichbehandlung als nicht mehr zeitgemäss.

Das sehen auch die Frauen im Ständerat so. Alle anwesenden Ständerätinnen stimmten der Motion zu. Bei den Herren zeigte sich ein anderes Bild: Nur gerade acht Vertreter aus SP und Mitte drückten den Ja-Knopf. Die anderen zwanzig Männer im Saal - alles Mitte-, FDP- und SVP-Politiker - lehnten die Motion ab. Der Entscheid fiel in der Folge denkbar knapp aus: Mit Stichentscheid von Ratspräsident Thomas Hefti (FDP/GL) ist die Motion nun definitiv vom Tisch.

Staenderatspraesident Thomas Hefti, FDP-GL, eroeffnet die erste Sitzung der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 30. Mai 2022 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Ratspräsident Thomas Hefti stellte sich mit seinem Stichentscheid gegen die Motion.Bild: keystone

Der Beschluss löst bei den Befürworterinnen Unmut aus. So bezeichnet etwa Eva Herzog (SP/BS) den Ständerat als «Altherrenkammer, die furchtbar konservativ» sei in Gesellschaftsfragen. Und sie fragt sich, was eigentlich freiwilliger ist in einer Demokratie: Militärdienst oder Kinder kriegen? Ähnlich äussert sich Erich Ettlin (Mitte/OW):

«Wir müssen froh sein, wenn Frauen Kinder kriegen wollen. Da haben wir also schon Geld für Dümmeres ausgegeben.»

Was auffällt: Sieben Mitglieder des Ständerats nahmen nicht an der Abstimmung teil. Die grosse Zahl der Absenzen lässt den Verdacht aufkommen, dass die Vorlage manchen Vertretern im Stöckli nicht so wichtig zu sein scheint.

Tatsache ist aber auch: Anliegen zur Gleichstellung haben es im Nationalrat leichter als in der kleinen Kammer. «Der Nationalrat hat einen Wandel durchgemacht», sagt die grüne Ständerätin Maya Graf (BL), «er ist weiblicher und jünger geworden». Der Ständerat habe diesen noch vor sich. Die Frauen im Stöckli organisieren sich deshalb zunehmend besser: Auf Initiative von Herzog etwa treffen sie sich jede Session einmal zu einem gemeinsamen Nachtessen.

Lieber Handball als Sexualstrafrecht

Derweil sorgte SVP-Ständerat Hannes Germann bereits am Dienstagabend mit einem Tweet für Aufsehen. Der Schaffhauser schrieb:« Um ehrlich zu sein, hätte ich lieber den Titelgewinn unserer Kadetten Schaffhausen live erlebt, als im Ständerat schier endlos über das Sexualstrafrecht zu debattieren.»

Die Kritik an seiner Aussage liess nicht lange auf sich warten. Ein User schrieb, er solle doch einfach zurücktreten, wenn er lieber Sport verfolge, als in seiner Funktion als Volksvertreter über wichtige gesellschaftliche Fragen zu debattieren. Und eine andere Person kommentierte, vielleicht sei eine Sportlerkarriere sinnvoller gewesen als eine als Politiker. (aargauerzeitung.ch)

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bild: watson/keystone
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276 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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satyros
09.06.2022 06:11registriert August 2014
Die Argumente sind hanebüchen. Der Grund für die Ungleichbehandlung war, dass man früher davon ausging, dass ein Mann mit seinem Einkommen eine Familie «ernähren» müsse, während eine Frau etwas «dazu verdient». Das hat 2022 nichts mehr verloren.
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Cpt. Jeppesen
09.06.2022 06:37registriert Juni 2018
Vielleicht hätten die Frauen verlangen sollen den Erwerbsersatz der Männer auf den gleichen Satz zu senken, wie Frauen ihn bekommen, hätte Geld gespart.
Da macht man sich wegen 260 Millionen ins Hemd während man dem Militär schamlos weitere Milliarden zuschaufelt. Gesellschaftlich und moralisch definitiv ein Rückschritt.
Und Politiker, welche Mühe haben die anstehenden Themen auszudiskutieren, mögen doch bitte zurücktreten. Das Land braucht Leute die was bewegen wollen, keine Sesselkleber.
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Pragmatiker17
09.06.2022 06:10registriert Juni 2018
Es scheint hier grundsätzlich um ein Problem der Besserverdienenden zu gehen. Im Alter als ich noch dienstpflichtig war, konnte ich jedenfalls von einem Einkommen, das zu Erwerbeersatz in Höhe von täglich CHF 196.- führt (geschweige denn 245.-), nur träumen.
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